Review: DIE WAND - Wenn die Einsamkeit zur Rückbesinnung verhilft



Fakten:
Die Wand
Osterreich, BRD. 2012. Regie: Julian Pölsler. Buch: Julian Pösler, Marlen Haushofer (Vorlage). Mit: Martina Gedeck, Karlheiz Hackl, Ulrike Beimpold, Julia Gschnitzler, Hans-Michael Rehberg, Wolfgang Maria Bauer u.a. Länge: 108 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.



Story:
Nachdem die namenlose Frau sich in der Berghütte aus ihrem Schlaf erwacht, muss sie feststellen, dass das Paar, mit der sie in der Hütte wohnt, nicht von ihrem abendlichen Ausflug zurückgekehrt sind. Zusammen mit Hund Luchs begibt sie sich auf die Suche und stößt auf eine unsichtbare Wand. Der Frau gelingt es nicht, diese zu durchbrechen. Sie ist von der anderen Seiten isoliert und muss feststellen, dass alle Menschen hinter der Wand wie regungslos verharren. Die Frau muss alleine auf sich gestellt, in der Isolierung überleben.





Meinung:
Alles auf Anfang. Zurück zum Ursprung. Nur das Individuum, Mutter Natur und die unsichtbare Barriere, die den von Hektik und Raffsucht gezeichneten Menschen aus der Modernität zerrt, um an seine wahren und oft vergessenen Stärken zu appellieren. Diese unsichtbare Kuppe, wie sie „Die Wand“ auftritt, gibt es in Wahrheit im Leben von uns allen, nur gehen die Wahrnehmungsfähigkeiten individuell auseinander. Während gewisse Personen mit Bedacht durch die Welt schreiten und sich früh genug darauf entsinnen, worauf es wirklich ankommt, durchbrechen andere Menschen diese Wand mit Anlauf und realisieren ihr zügelloses Fehlverhalten erst, wenn Blick nicht mehr nach vorne gerichtet wird und der von Bluttropfen gezeichnete Weg zur retrospektiven Erkenntnis verhilft – wenn auch leider zu spät.


Martina Gedeck (hier rechts im Bild) und Hund Luchs
„Die Wand“ ist ein eben solcher Film, der sich durch seine eigentlich simple Rahmenhandlung wie eine durchschnittliche Mystery-Bauchlandung anhören mag, doch letztlich eine philosophische und ebenso bedeutungsvolle Erfahrung für jeden Einzelnen darstellt. Wo Fragen aufgeworfen werden, finden wir die Antwort oft genug nur in uns selbst. Die Zeit der Besinnung muss zurückkehren, in der deutlich wird, was im Leben wirklich zählt und was der Mensch wirklich braucht. Wo die Wand noch zu Anfang für die unfreiwillige Isolation steht, wird sie mehr und mehr als Stütze der Selbstfindung. Die wunderschönen Landschaftsaufnahmen mögen auf den ersten Blick Grenzenlosigkeit und Schönheit suggerieren, die namenlose Frau im Zentrum lernt jedoch von Tag zu Tag mehr, dass es diese Grenzenlosigkeit nicht mehr zu geben scheint.
Hilflosigkeit macht sich breit, die Deformation der gegenwärtigen Kulturen scheint sich auf den Schultern dieser Frau abgelegt zu haben, und doch ist sie die einzige Person, die weitermacht, die durchhält, obwohl ihre Außenwelt scheinbar zum endgültigen Stillstand gekommen ist. Nullpunkt. Wo sich die physische und seelische Überforderung anhäuft, wird „Die Wand“ immer mehr zu einem kräftezehrenden Sinnbild für die subjektive Einkehr. Die Frau findet ihre Mitte, die Tiere werden ihr sechster Sinn und die Metamorphose vom früheren Ich, zum neueren Ich, bis hin zum innehaltenden Wir ist ein Prozess, der durchaus von mühevoller Einsamkeit gezeichnet ist, darüber hinaus aber den Menschen vom starren Widerstand gegen natürliche Mechanismen abbringt, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist: Kaltherzig, freudlos, profitgierig.


Dass die Tiere in „Die Wand“ von essentieller Signifikanz gehandhabt werden, versteht sich von selbst. Die Frau wäre ohne die Gegenwart der Tiere schnell zerbrochen, denn wenn ein Mensch in einer solch prekären Lage Halt bekommen kann, dann nur durch die Möglichkeit, mit anderen Wesen in Kontakt zu treten und Emotionen zu verspüren - welcher Art auch immer. Natürlich hat Julian Pölsler keine leichte Kost inszeniert, doch wer sich auf den Film und sein Anliegen einlassen kann, der erlebt ein Werk, dass sich gegen die depressive Entfremdung stemmt und den Menschen mit sich selbst konfrontieren lässt: Hier gibt es keine Fluchtmöglichkeiten. Meditativ, sensitiv, feinfühlig und kalt. Alles trifft auf „Die Wand“ zu, am Ende zählt jedoch nicht die zyklische Routine, die sich durch die Gewöhnung an die neue Lebenssituation angeeignet hat, sondern die innere Kraft, die in jedem Menschen schlummert und nur darauf wartet, endlich wieder entfesselt zu werden. Kino zum Nachdenken.


8 von 10 mühsamen Stiergeburten


von souli


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen