Fakten:
Stadt in Angst (Bad Day at Black
Rock)
USA, 1955. Regie: John Sturges.
Buch: Millard Kaufman, Don McGuire, Howard Breslin. Mit: Spencer Tracy, Robert
Ryan, Anne Francis, Dean Jagger, Walter Brennan, John Ericson, Ernest Borgnine,
Lee Marvin u.a. Länge: 78 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD
erhältlich.
Story:
1945 hält zum ersten Mal seit 4
Jahren ein Zug in der kleinen Wüstenstadt Black Rock. Ein Fremder namens
Macreedy steigt aus und zieht sofort das Misstrauen der Einheimischen auf sich.
Deutlich geben sie ihm zu verstehen, dass er hier nicht willkommen ist. Erst
recht nicht, als er beginnt Fragen über den Verbleib eines Farmers japanischer
Herkunft zu stellen, der angeblich kurz nach dem Angriff auf Pearl Harbor in
ein Internierungslager gebracht wurde.
Meinung:
Im Südwesten der USA ist 1945 die
Welt noch in Ordnung. Hier ist man unter sich, pellt sich ein Ei auf das, was
die überheblichen Snobs aus den Großstädten über sie denken und regelt alle
Angelegenheiten noch intern. Eine funktionelle, selbstreinigende Gemeinde
bodenständiger Patrioten, die so lange makellos funktioniert wie keine lästigen
Fragen gestellt werden und jeder die Nase nur in seine Angelegenheiten steckt.
Diese behütete Ruhe ur-(US)amerikanischster Werte wird erschüttert, als urplötzlich
der Stromlinienzug nicht einfach wie sonst durch den Bahnhof rauscht, sondern
tatsächlich stoppt und sich ein Eindringling in das Biotop der grob gestrickten
Traditionalistin verläuft. Doch Zwangsrechtshänder John Macreedy ist nicht
zufällig hier und wird so gastfreundlich empfangen, als wenn es sich um einen
Marsmenschen, Sitting Bull, Jossif Stalin oder andere gerngesehene
Persönlichkeiten handeln würde.
Gästen wird sogar das Bett vorgewärmt. |
Mit seinem stählernen Ross reitet
der mysteriöse, smarte Haudegen Spencer Tracy in diese von der Zivilisation
ignorierten und damit nicht zwingend unglücklichen Gegend ein, mitten in ein
Art Nachkriegs-Noir-Western unter gleißender Wüstensonne und in großzügigem Cinemascope.
In das Herz des einst (und immer noch) Wilden Westens und in die Höhle der
Löwen, die er mit einem Ruck aus ihrem Fresskoma und somit auch ihren
Jagdinstinkt wieder weckt. Regielegende und Westernfachmann John Sturges („Die
glorreichen Sieben“) bleibt von Grundmotiv und Ablauf dem klassischen Gerüst
des Genres treu, inszeniert seine unendlich charismatischen und großartig
überlegen aufspielenden Star als den kantigen und geheimnisvollen Lone Ranger,
der allein durch sein Auftauchen in ein auf Schweigen und Angst erbautes
Wespennest sticht, die Reaktion des aufgescheuchten Schwarms lässt nicht lange
auf sich warten. Was in der kleinen Gemeinde geschehen ist und nun das
Pulverfass explodieren lässt, ist schnell kein Geheimnis mehr, nur die genaue Rolle
des alten Mannes mit den Steifen Arm in diesem Spiel lässt sich „Stadt in Angst“
erst spät entlocken. Seine Mission ist klar: Er bringt die Wahrheit ans Licht –
die hinter vorgehaltenen Hand selbst die Unbeteiligten sowieso alle kennen –
und sorgt für Gerechtigkeit, (fast) nur mit Geschick und Standhaftigkeit, nicht
mit dem Colt…dafür nach Bedarf mit einer geraden Rechten an den Hals.
Auch Männer dürfen sich Blumen schenken... |
Vom typischen Western unterscheidet
sich der Film natürlich schon von seiner historischen Installation, die nicht
willkürlich gewählt ist und gleichzeitig den für seine Zeit sehr kritischen
Unterbau der Thematik liefert. Althergebrachte Weltanschauungen und
fehlgeleiteter Patriotismus kippen blitzartig in Rassismus, blanken Hass und
primitive, brutale Gewalt; Lynchjustiz an Schuldigen aufgrund ihrer Abstammung
und nicht ihrer Taten als Akt der Fahnentreue. Ein noch junges, amerikanisches
Trauma als Aufhänger und Initiator einer staubtrockenen Geschichte um
Gerechtigkeit und Genugtuung, die dabei nicht den prähistorischen Weg von Gewalt-mit-Gegengewalt
propagiert. Macreedy geht der physischen Konfrontation so lange es geht aus dem
Weg, entlockt seinen Rivalen ihre verbitterte Ansichten durch penetrante
Hartnäckigkeit und setzt sich nur dann zur Wehr, wenn kein Weg mehr daran
vorbei geht. „Stadt in Angst“ wagt sich über die Grenzen der Wohlfühlzone des
amerikanischen Kinos in den 50er Jahren und ist mutig genug direkt das
aufzuzeigen, was im Glanz des Landes der unbegrenzten
Möglichkeiten, dem der Freiheit und Selbstherrlichkeit speziell damals nicht
gerne eingestanden wurde, aber eigentlich allgegenwärtig war und immer noch
ist. Die Angst vor Fremden (übrigens ganz aktuell auch leider wieder
übertragbar auf uns), paranoider Tendenzen verpackt als Pflichterfüllung und
Verantwortung dem Heimatland gegenüber, womit nur die eigene Beschränktheit,
Intoleranz und Gewaltbereitschaft scheinheilig gerechtfertigt wird.
Sturges arrangiert das als kurzen,
knarzigen und atmosphärisch aufgeladenen Thriller, dem seine knappe Laufzeit
nicht zwingend schadet und für ein flotte Narration sorgt, dadurch aber auch
nicht alles aus dem Potenzial herausholt. Geschichte, Setting, die Figuren und
ihre Konstellation wie Entwicklung bieten noch mehr Raum, als ihnen gewährt
wird. Das war er erzählen will bringt „Stadt in Angst“ aber auch in straffen 80
Minuten auf den Punkt, inklusive eines bösen Finales. In einer generell
mutigeren Periode des Kinos wie den späten 60ern und besonders den 70ern hätte
man sich vielleicht noch mehr getraut und das Ding auf seinen Höhepunkt
konstruiert, aber zu dem Zeitpunkt ist das schon sehr beachtlich. Und wenn man
Charakterfressen wie Robert Ryan, Ernest Borgnine und Whiskey-Stimme Lee Marvin als
Bösewichte auffährt, kann man wenig falsch machen.
7,5 von 10 wilden Blumen auf geheimen
Gräbern
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