Review: DER TALENTIERTE MR. RIPLEY - Ein abgebrühtes Babyface



Fakten:
Der talentierte Mr. Ripley (The Talented Mr. Ripley)
USA, 1999. Regie: Anthony Minghella. Buch: Anthony Minghella, Patricia Highsmith (Vorlage). Mit: Matt Damon, Gwyneth Paltrow, Jude Law, Cate Blanchett, Philip Seymour Hoffman, Jack Davenport, James Rebhorn, Sergio Rubini, Philip Baker Hall, Celia Weston, Stefania Rocca u.a. Länge: 139 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Tom Ripley ist mittellos, dafür äußerst talentiert. Auf dem Gebiet der Täuschung. Durch eine Verwechslung kommt er an einen lukrativen Job: Der reiche Geschäftsmann Greenleaf beauftragt ihn, in Italien dessen Sohn Dickie aufzuspüren, den er fälschlicherweise für einen alten Collegefreund von Ripley hält. Für 1000 Dollar plus Spesen soll er ihn überreden, sein Lotterleben dort aufzugeben und endlich in die Heimat zurückzukehren. In Italien angekommen kann Tom sich tatsächlich mit Dickie und dessen Freundin Marge anfreunden, gesteht ihnen sogar schnell seinen Auftrag und gibt fortan mit Dickie das Geld seines Vaters mit vollen Händen aus. Doch bald schon kommt es zu Spannungen. Tom soll wieder in die USA zurück, dabei hat er sich schon längst nicht nur mit Dickie angefreundet, er identifiziert sich bereits mit ihm. Will sein Leben, alles, bedingungslos. Bei einer Bootstour kommt es zum Streit. Nur Tom kommt wieder an Land und muss nun ein Geflecht aus Lügen aufrechterhalten…





                                                                                       

Meinung:
Bereits 1960 erschien mit „Nur die Sonne war Zeuge“ eine französische Adaption des Romans „Der talentierte Mr. Ripley“ von Patricia Highsmith. Unter der Regie von Réne Clément schlüpft der damals international noch relativ unbekannte Alain Delon in die Rolle des gewieften Betrügers Tom Ripley, der eigentlich einen verwöhnten Millionärssohn davon überzeugen soll, seinen ausschweifenden Müßiggang unter der italienischen Sonne aufzugeben und endlich nach Hause zurückzukehren, stattdessen sich mit ihm anfreundet und auf Kosten des Familienoberhaupts das Dolce Vita genießt. Bis seine Mission abgeblasen, der Geldhahn abgedreht wird, Ripley sich in die Verlobte seines Freundes verguckt und beschließt, den Konkurrenten verschwinden zu lassen, um dessen Identität anzunehmen.


Auf lange Sicht ist hier jemand überflüssig...
Diese fast 40 Jahre später gedrehte Version von Anthony Minghella („Der englische Patient“) soll eindeutig nicht als Remake des zum Klassiker gewordenen und heute noch fantastischen Thrillers von Clément verstanden werden. Vielmehr wagt sich Minghella an eine neue Verfilmung der Romanvorlage, geht diese ganz anders an und erlaubt sich einige künstlerische Freiheiten in Bezug auf die Werktreue. Dennoch bleibt es logischerweise kaum aus, bei Kenntnis beider filmischer Umsetzungen sie miteinander zu vergleichen. Nicht in der üblichen Original/Remake-Gegenüberstellung, in der das Remake von vornherein schon mal mit schlechteren Karten spielt, sondern in ihrer Art den Stoff zu interpretieren. Rein formal lässt sich über Minghellas elegante, formvollendete Inszenierung kaum ein schlechtes Wort verlieren. Sein Film schmiegt sich an den Zuschauer wie ein maßgeschneiderter Anzug. In erlesenen Bildern und mit einem behutsamen Händchen baut er deutlich ausführlicher als Clément seiner Zeit die Handlung auf. Um es an Fakten zu markieren: Die damalige Eröffnungsszene gibt es auch bei Minghella…nach gut 35 Minuten! Bis dahin betreibt der Mann keine Zeitverschwendung, sondern nutzt den üppigen Vorlauf um die Figuren und ihre Beziehung zueinander zu festigen. Vor malerischer Postkartenkulisse erleben wir, wie der höfliche, etwas unsichere, milchgesichtige, dennoch offensichtlich mit allen Wassern gewaschene Überlebenskünstler Tom Ripley sich das Vertrauen des Lebemannes Dickie Greenleaf erschleicht.


Die Party ist vorbei, es muss Tacheles gesprochen werden.
Gegensätzlicher könnten sie kaum sein. Greenleaf ist ein braungebrannter, charismatischer Playboy. Ein Partylöwe und Schürzenjäger, dem die Welt nicht nur aufgrund seines Wohlstandes, sondern auch wegen seines sich kaum zu entziehenden Charmes zu Füßen liegt. Jeder sonnt sich gerne im Schatten seiner fast magischen Ausstrahlung. Auch Ripley. Ein käseweißer, aschfahler, unauffälliger Kerl mit hässlicher Cordjacke und dicker Buchhalterbrille. Schnell gelingt es ihm, sich in das Leben des Berufssohns zu schummeln, sich wie ein Parasit an ihm festzusaugen und von seinem Glanz zu zehren. Minghella beschreibt diesen Prozess in einem bedächtigen, jedoch nicht lähmenden Tempo detailliert und lässt bereits durchblitzen, dass Ripley mehr sein will als „nur“ ein guter Freund. Durchaus spannend, sogar (oder vielleicht ganz besonders) wenn einem der weitere Handlungsverlauf bekannt sein mag. Sogar ein (weder im Roman noch in der ersten Verfilmung vorhandener) homoerotischer Unterton wird suggeriert, der das Ganze noch etwas undurchsichtiger, eigenständiger macht und an sich gar kein uninteressanter Ansatz ist. Dank dieses ausgiebigen, individuellen Prologs schafft sich „Der talentierte Mr. Ripley“ bis dahin eine ganz klare Daseinsberechtigung und lässt gespannt darauf werden, wie sich der deutlich um psychologische Muster bemühte Aufbau entwickeln wird. Minghella will viel (Neues) aus dem Stoff herausholen, sehr löblich, nur stolpert er ausgerechnet dann über seine guten Vorsätze, als der Plot richtig ins Rollen kommt und sich wieder deutlicher „Nur die Sonne war Zeuge“ annähert.


Erkennt sich Ripley nicht mehr wieder?
Während Delon und sein Ripley eindeutig als gerissener, eiskalter Mörder und Identitätsdieb angelegt war, stolpert der hier von Matt Damon verkörperte Ripley eher unfreiwillig durch das Geschehen, handelt im Affekt und reagiert nur fast reflexartig mit einer durchtriebenen Hinterlist, die ihn selbst oft erschrecken zu scheint. Natürlich erzeugt auch das eine gewisse Spannung, allerdings lange nicht so packend und intensiv. Nicht nur die Figur des Ripley, auch das Skript mutet nun oft unsicher an, lässt seinen „Helden“ immer mal wieder anders, wechselhaft auftreten. Mal panisch, hektisch und bald bemitleidenswert, dann wieder skrupellos und erstaunlich überlegt. Ambivalenz ist in solchen Filmen zwar eigentlich eine schöne Sache, nur bleibt dieser Ripley für den Zuschauer die ganze Zeit über zu wenig greifbar, in seinem Handeln zu wenig konsequent, eigenartig-unangenehm (im negativen Sinne) fremd. Was will er, was soll er sein? Der vorher bemühte, psychologische Aspekt erfährt keine schlüssige Fortführung. Zumindest nicht in dem Maß, wie es erforderlich wäre. Dazu kommt ein Matt Damon, der diese – zugegeben, nicht einfache – Rolle nicht richtig zu stemmen vermag. Man könnte annehmen, er käme gerade von der eigenen Konfirmation und wurde in die Klamotten seines großen Bruders gesteckt. Zu selten lässt er irgendetwas aufblitzen, was ihn in seiner Rolle außergewöhnlich macht, ihr diese entscheidenden Konturen verleihen kann, zu denen auch das Skript nicht recht in der Lage ist. Das ist nicht dankbar, aber machbar. Zudem wird er auch noch von den Nebendarstellern locker überflügelt. Speziell Jud Law als Dickie Greenleaf und Philip Seymour Hoffman in einer sogar recht kleinen Rolle stehlen Damon alle gemeinsamen Szenen.


Die sich nun aufstauenden Kritikpunkte sind bedauerlich, denn die Geschichte ist nach wie vor enorm faszinierend wie im Kern großartig, die technische Umsetzung exzellent und – das muss man Minghella lassen – das Ende ist deutlich besser als damals bei Clément. Wie das aussieht und aussah, wird selbstverständlich nicht verraten. Man wird somit noch ganz versöhnlich aus „Der talentierte Mr. Ripley“ entlassen, der sicherlich auch insgesamt kein schlechter Film ist, sich jedoch eindeutig am eigenen Anspruch verhebt und besonders daran scheitert, dass es schon eine „einfachere“, in den wesentlichen Dingen (bis auf das Ende) jedoch deutlich bessere Verfilmung gibt, gegen die er nun mal keine Chance hat. Ihn sogar unnötig macht, ganz hart formuliert. 

5,5 von 10 gefälschten Unterschriften.

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