Der Stadtneurotiker (1977)
Die
Feststellung ist wenig neu: Der kommerzielle wie mediale Auftrieb geht nicht
immer Hand in Hand mit der filmischen Qualität. Und gemessen an seiner
Popularität, ist „Der Stadtneurotiker“ gewiss das ikonische Prunkstück im Œuvre
von Woody Allen – Schlussendlich geht das aber vollkommen klar, denn die feinen
geschmacklichen Differenzierungen übernimmt ja letztlich die Subjektivität. Mit
„Der Stadtneurotiker“ offeriert Allen hingegen einen effektuierten Mittelweg,
der in seiner beflügelten Funktionalität sowohl seine unleugbare
Massenkompatibilität unter Beweis stellt, dabei aber nie in die stur-strukturierte
Banalität abdriftet. Allen erzählt von einer neuen Liebe sowie verblühten
Techtelmechteln, über die diffizile Schneise zwischen beruflicher Potenz und
intimer Disparität. Man muss den Moment leben, denn rückblickend werden diese
Augenblicke die berechtigten Hoffnungsschimmer dafür sein, dem leidigen Gefühl
zu entgehen, umsonst gelebt zu haben. Entzückend, wie gewichtig die
Leichtigkeit des Seins doch manchmal ist.
8 von 10
Privaten Scherbenhaufen
Innenleben (1978)
Was für ein
effizienter Bruch, was für ein nachhaltiger, performanter Schmerz. Woody Allen
kniet nieder vor seinem Idol Ingmar Bergman und artikuliert sich in seiner
fröstelnden Hommage keineswegs mit kleinlauter Ehrfurcht. „Innenleben“ - und
das ist unter keinerlei Bedingung vermessen intendiert – muss sich nicht hinter
den Werken des schwedischen Meisterregisseurs verstecken. Der New Yorker
blickt, ebenso wie es sein skandinavisches Vorbild häufig getan hat, auf
innerfamiliäre Strukturen und lässt die zerrütteten Verhältnisse dieser in
ihrer psychologischen Division vereinigt zersplittern. Allens präziser
Nihilismus im porträtierten Niedergang einer Familie, ist so erschreckend
apodiktisch wie unverhofft belastend: Vom neurotisch-intellektuellen
Pausenclown ist keine Spur mehr zu finden. Die Wellen peitschen ein letztes Mal
an den Strand, danach gibt es nur noch Stille und innere Leere. Woody, bist du
es wirklich?
9 von 10
Schicksalsschlägen
Manhattan (1979)
Ein Film über
die elementare Selbsterfahrung und willensstarke Einsicht, über das Wagnis,
alles auf eine Karte zu setzen und dadurch – möglicherweise - in
Sekundenschnelle in den Dunstkreis gesellschaftlicher Stigmata zu rutschen: Am
Ende zählt einzig und allein die Courage, sich nicht von äußeren Einflüssen
beirren zu lassen und genau den Weg einzuschlagen, den das eigene Herz auch
vorgegeben hat. Natürlich wird diese Aussage von Woody Allen nicht derart
phrasenhaft wie in jeder trivialen 08/15-Schnulze publiziert, „Manhattan“ ist
lakonisches, melancholisches und sublimes wie subversives Gefühlskino der
vollends versierten Kategorie. Kino, wie es eben nur unter der
charakteristischen Allen-Obhut entstehen konnte, herzerwärmend, humorvoll und
ehrlich. Wer bekommt das heute schon noch so fulminant unter einen Hut, ohne
sich anzubiedern und damit selbst zu belügen? Eben.
9 von 10
neurotischen Liebeleien
Zelig (1983)
Seinen
autobiographischen Prinzipien bleibt Woody Allen auch in „Zelig“ treu,
wenngleich das Multitalent im Stile einer Mockumentary eine fiktive
Persönlichkeit fokussiert, repräsentiert das Chamäleon Leonard Zelig natürlich
auch den wandelbaren Konformismus Allens: Ein Mann, der alles sein konnte,
außer er selbst. Mit gestellten Tonband- und Archivaufnahmen tauchen wir in ein
Leben, das es nie gab und werden so von Allen an die fingierte
Manipulationskraft des Mediums erinnert, gleichzeitig aber auch mit einem
Aushängeschild der Realität konfrontiert, wie es die Zeiten konsequent
überbrückt: So schnell ein Personenkult entsteht, so schnell kann sich dieser
auch in Luft auflösen oder gar zum Feindbild konvertieren. Die Figur Zelig wird
im Laufe der Narration zu einer Art Symbol, in dem jeder Intellektuelle etwas
anderes zu erkennen glaubt, aber „Zelig“ an sich ist in seiner psychologischen
Motivation ein Mahnmal, das nicht nur an den Individualismus appelliert,
sondern auch aufzeigt, in welche Extreme der Anpassungsdrang ausufern kann. Ein
Film über den Persönlichkeitsverlust, aber auch ein Film über den Weg zurück
zum wahren Ich und der dazugehörigen Selbstverbesserung.
7,5 von 10
meisterlichen Verwandlungskünstlern
Purple Rose of Cairo (1985)
Es ist der
feuchte Traum eines jeden Fans, einmal vor sein Idol treten zu dürfen, das Wort
an eben dieses zu richten und ein echtes Gespräch zu entfachen, anstatt sich
nur in platten Branchefloskeln zu kugeln und die peinlichen Posen aus dem Scheindasein
abzuarbeiten. Cecilia (Mia Farrow) wird in „Purple Rose of Cairo“ Teil einer
solch prägenden Erfahrung und der von ihr angehimmelte Tom Baxter (Jeff
Daniels) steigt während einer Kinovorstellung urplötzlich aus der Leinwand und
stolziert geradewegs auf die Frau zu. Es kommt, wie es kommen muss: Eine
Liebesgeschichte bahnt sich an, doch Tom Baxter ist eine Illusion, die nach dem
Küssen auf die Abblende wartet. Als dann auch noch der echte Darsteller des
galanten Stars vor Cecilia auftaucht, kollidieren nicht nur drei Welten, sie
stolpert auch in einen Konflikt mit ihrer Gefühlen – Für wen soll sie sich nur
entscheiden? Woody Allen huldigt der Kraft des Kinos, er liebt es abgöttisch,
verpasst „Purple Rose of Cairo“ am Ende aber eine so bittere Note, dass es
schmerzt, dieser naiven Dame bei ihren fortlaufenden Fehlentscheidungen zu
beobachten. Derartiges schafft aber auch nur unser Woody: Er verschenkt sein
Herz, vergisst aber nie die Schattenseiten, hier den hungrige Egoismus, der
hinter der Leinwand lauert. Romantisch, oh ja, und doch immer mit dem Blick auf
den wahren Lauf der Dinge.
8 von 10
Unvergesslichen Kinobesuchen
Hannah und ihre Schwestern (1986)
Auch „Hannah
und ihre Schwestern“ verdeutlicht wieder einmal Woody Allens innige Liebe für
Ingmar Bergman; und es wird infolgedessen natürlich auch mit einem Lächeln
angenommen, den tollen Max von Sydow in diesem komplexen Netz aus
zwischenmenschlichen Beziehungen und familiären Gefügen mitmischen zu sehen.
„Hannah und ihre Schwestern“ ist in erster Linie zwar hervorragend gespieltes
Schauspielkino, exquisit besetzt mit gestandenen Größen von Michael Caine bis
Mia Farrow – und dem Meister höchstpersönlich als Hypochonder auf
Selbstfindungskurs. Die wahre Genialität lässt sich aber (erneut) im Drehbuch
finden, das es nicht nur schafft, eine ganze Bandbreite an Charakteren
aufmerksam wie plastisch zu fokussieren, „Hannah und ihre Schwestern“ ist auch
eine ebenso philosophische wie reflektierte Sensation, in der Allen jeden
Zuschauer unentwegt anspricht: Warum machen wir es uns immer so schwer? Warum
sind wir glücklich, realisieren diesen Zustand aber nicht oder erst dann, wenn
es zu spät ist? Warum sind wir so unfähig zu leben und warum schätzen wir
nicht, was wir haben? Wir müssen endlich lernen zu genießen, Vernunft spielt
keine Rolle! Recht hat er.
8,5 von 10
Familienkomplexen
Verbrechen und andere Kleinigkeiten (1989)
Woody Allen ist
sich nicht nur seiner Sterblichkeit bewusst geworden, er unterbreitet dem
Zuschauer in „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ auch fundamentale Fragen um
die individuelle ethische wie religiöse Instanz des Menschen. Er lotet ihre
tiefenpsychologische Semantik aus und projiziert sie auf einen gutsituierten
Arzt (Martin Landau), der langsam Probleme mit seiner Affäre bekommt und diese
kurzerhand aus dem Weg räumen möchte und den erfolglosen Dokumentarfilmer Cliff
Stern (Cliff Stern), für den das Schicksal, sagen wir einfach mal, einige
Überraschungen parat hält. Es sind Fragen von existenzialistischer
Beschaffenheit, mit denen Allen hantiert, sie in ein überaus unterhaltsames
Korsett verpackt, aber den Ernst der Situation nie in den blanken Klamauk
fließen lässt. „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ ist scharfsinnig und
anspruchsvoll, und trotzdem kommt Spaß in der moralischen Brisanz nicht zu kurz
– Beeindruckend. Woody Allen, der Meister der tonalen Balance.
8 von 10
Gesprächen am Piano
Vicky Cristina Barcelona (2008)
Vor der
gemütlichen Kulisse des sonnigen Kataloniens lädt uns Woody Allen mit „Vicky
Cristina Barcelona“ dazu ein, den ungleichen Charakteren Vicky, Cristina, José
und Maria dabei zuzusehen, wie sie allesamt die gleichen Ziele im Leben
verfolgen: Der Versuch, die wahre Liebe zu erreichen. Unterstrichen mit sanftem
Gitarrenzupfen und begleitet durch das südländische Flair, werden wir in die
Beziehungskonstellationen eingebunden und folgen den Menschen, die sich darum
bemühen, ein festes Zusammensein mit der persönlichen Philosophie zu
komprimieren und dadurch in einen konformen Einklang zu führen. Das Leben wird
genossen, der Verführung hingegeben, neue Erfahrung angenommen und doch kann
niemand die unendlichen Dimensionen der Liebe erklären oder begreifen. „Vicky
Cristina Barcelona“ steckt voller Hingabe und Aufgabe, voller Charme und
Esprit, aber letzten Endes sind die Enttäuschung und die Überforderung exakt
die Gefühle, mit denen sich die Betrachter am besten identifizieren kann, genau
wie die Protagonisten, die zwischen ihren Liebeleien und emotionalen Ausbrüchen
– die immer wieder mit herrlichen Klischeebrüchen verknüpft sind – dem Wunsch
des ständigen Etikettierens entfliehen wollen, ihren Moralvorstellung aber
dennoch unterlegen sind. Hier geht es um viel, doch konstatieren kann und will
auch Woody Allen nicht, was im Menschen vorgeht, wenn sich die Liebe in ihm
entfaltet. Ein erfrischend ehrliches und ebenso treffendes Abschlusswort,
zwischen all den regellosen Aufs und Abs.
8 von 10
sommerlichen Flirts
von souli
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