Review: DER KILLER VON WIEN - Der schmale Grat zwischen Schund und Kunst



Fakten:
Der Killer von Wien (Lo strano vizio della Signora Wardh)
IT, ES, 1971. Regie: Sergio Martino. Buch: Vittorio Caronia, Ernesto Castaldi, Eduardo M. Brochero. Mit: Edwige Fenech, George Hilton, Ivan Rassimov, Alberto de Mendoza, Conchita Airoldi, Manuel Gil, Carlo Alighiero, Bruno Corazzari, Marella Corbi u.a. Länge: 96 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Julie Wardh begleitet ihren Gatten Neil bei einem Geschäftstermin nach Wien. Ihre Ehe leidet unter dem beruflichen Ehrgeiz ihres Ehemanns, steht praktisch vor dem Aus. Auf einer Party stellt ihr Freundin Carol ihren Cousin George vor. Zwischen Julie und George entbrennt ein heißer Flirt, schon bald landen sie gemeinsam im Bett. Unerwartet taucht auch noch Julie’s Ex-Lover Jean auf, mit dem sie einst eine sadomasochistische Beziehung führte und der immer noch besessen von ihr scheint. Nach ihrem Seitensprung erhält Julie anonyme Erpresserbriefe. Ist es etwa Jean? Noch viel dramatischer: In Wien treibt gerade ein Serienkiller sein Unwesen, der es auf junge, hübsche Frauen abgesehen hat. Und Julie muss nicht lange um seine Aufmerksamkeit betteln…






Meinung:
„Ich bin nicht verrückt, ich kann nur kalte Unterwäsche nicht ausstehen“ (sprach sie und nahm den BH aus dem Ofen).

Auf Unterwäsche, ob kalt oder gut gewärmt, hält hier niemand große Stücke und Sergio Martino von Natur aus sowieso nicht. Wie üblich dem nackten Frauenkörper äußerst zugetan lässt er in der ersten halben Stunde von „Der Killer von Wien“ keine sich bietende (oder auch nicht bietende) Gelegenheit ungenutzt, seine Damen in voller Pracht zu präsentieren. Zwischen drei und fünf Minuten muss man(n) maximal ausharren, dann hängen schon wieder Möpse im Bild. Notfalls müssen sich zwei tanzende Weibchen auf einer Party ganz „versehentlich“ in einem Handgemenge die komplette (!) Kleidung vom Leib reißen, während die männlichen Gäste drumherum (und wohl auch Martino selbst) das bejubeln. Na, wenn das nichts ist. Was Martino hier für ein fragwürdiges, bald schon beschämendes Frauenbild zeichnet, ist mit sexistisch noch schmeichelhaft bezeichnet.


Heiße Liebe im kalten Matsch.
Nicht nur die für die Geschichte eher wenig bedeutsame Präsentation von Brüsten in jeder Situation, auch die Charakterisierung der Hauptfigur Julie wird bei auf Emanzipation wertlegenden Zuschauern nicht gerade für Begeisterung sorgen. Wie ein triebgesteuertes, hilfloses Reh steht sie aufgrund ihrer unbefriedigten sexuellen Bedürfnisse zwischen ihrem langweiligen Ehe-Schnarchsack, dem attraktiven wilden Stecher mit der flotten Karre und ihrem aggressiven, dominanten Sado-Maso-Ex-Lover. Fremdficken muss dennoch bestraft werden, zumindest bei untreuen Ehefrauen (was die Kerle so treiben, ist halt Männersache), somit sind die schwarzen Handschuhe mit der scharfen Klinge nicht mehr fern. Wer bei so was empört aufschreit, ist hier schon mal an der völlig falschen Adresse, wie eigentlich bei fast jedem Giallo. Gerade, wenn Martino sein lüsternes Zepter schwingt. Mit extrem sleazigen Pinselstrichen feiert er ein schlüpfriges Fest und bringt bereits nach 1 ½ Minuten schon die erste, halbnackte Dirne durch die schwarze Hand des Unbekannten zur Strecke. Die Mordszenen stehe danach weniger im Fokus, eher nackte Haut und, das verwundert sogar, der Aufbau einer Geschichte. Zugegeben, anfangs ist das echt etwas zu viel des „Guten“ (bezogen auf den Fleischbeschau) und wird mit einigen unglaublichen dummen Dialogen noch  verfeinert (-„Wie sind sie hier reingekommen?“„Durch die Tür…“), dafür reibt man sich danach erstaunt die Augen, wie sich „Der Killer von Wien“ ab dann entwickelt.


Für eine gepflegte Rasur gibt es keinen unpassenden Ort.
Tatsächlich an Originalschauplätzen wie dem Schlossgarten gedreht, entsteht ein handwerklich fein ausgearbeiteter, undurchschaubarer und ziemlich spannender Giallo, mit dem Martino in der obersten Liga des Sub-Genres mitspielt. Ihm gelingt zwar nicht die brillante, extravagante audio-visuelle Finesse wie einem Mario Bava in dessen Prunkstück „Blutige Seide“ oder einem Dario Argento zu seinen Glanzzeiten, das Ganze ist eher bodenständiger, weit weniger abstrakter, dennoch hervorragend in Szene gesetzt. Kamera, Score und Beleuchtung greifen stilsicher und überlegt ineinander und sorgen für einige prägnante Sequenzen, die zu den erinnerungswürdigsten ihrer Art zählen dürften. Wenn Julie und George beispielsweise in das dunkle Haus von Jean eindringen und das Bild nur von einer einzigen Lichtquelle beleuchtet wird, entsteht eine packende Atmosphäre. Ebenso wie in dem Überfall auf Julie in der Tiefgarage. Das ist Giallo-Kunst auf ganz hohem Niveau. Das wahre Kunststück des Films ist es jedoch, dass er nicht nur von seinen (jetzt) eindrucksvollen Einzelsequenzen zehrt. Das Rätsel um die mysteriösen Erpresserbriefe und die Identität des Killers ist wirklich so aufregend, undurchsichtig und gut vorgetragen, dass „Der Killer von Wien“ allein durch seine Geschichte deutlich mehr Spannung erzeugt, als viele seiner Kollegen.


Zwielichtige Stelzböcke unter sich.
Weltenbummler Martino – der ja gerne mal seine Handlung auf verschiedene Länder ausweitet, wie danach z.B. bei „Der Schwanz des Skorpions“ – verlagert das Geschehen irgendwann von Wien nach Spanien und sorgt kurz dafür schon für eine faustdicke Überraschung, bei der man sich verdutzt fragt, was denn nun noch passieren soll. Ab dem Punkt überschlagen sich die Ereignisse und der Film hebt sich noch deutlicher vom Giallo-Einheitsbrei ab. Während sonst im Genre die finale Auflösung eher wie ein notwendiges Übel erscheint, in dem irgendeiner Figur ein haarsträubendes Motiv angedichtet werden muss wie als „Kind zu heiß gebadet“ oder ähnliches, haut „Der Killer von Wien“ eine Kehrtwende nach der anderen raus. Heute heißt das Twist und ist bald selbstverständlich, für einen Film seines Alters und seiner Zunft ist das eher verwunderlich und funktioniert in seinem Knalleffekt erschreckend gut. Okay, besonders clever oder gar intelligent ist das nicht und am Ende wird es auch damit deutlich übertrieben. Praktisch im Minutentakt wird das Ruder wieder rumgerissen, mindestens die letzte Finte hätte man sich schenken müssen, da wird es arg albern. Sei es drum, dafür ist das mit Sicherheit völlig unvorhersehbar und in seinem Bereich ein selten zu bestaunender Schachzug, zumindest in dieser Konsequenz.


„Der Killer von Wien“ ist auf seine Art ein wirklich verblüffender Giallo. Schmuddeliger, bald schon übertriebener Sleaze und echt Klasse geben sich so selbstverständlich die Klinke in die Hand wie eine erstaunlich überlegt konstruierte Geschichte und ein trotzdem überdrehtes Twist-Gewitter mit eigentlich dämlicher Schlusspointe. Diese Kombination ist derart kurios, erzeugt einen wahnsinnigen Sog und funktioniert vielleicht wegen seiner Gegensätze so grandios, dass man sich dem Reiz dieser Wiener Melange mit Titten-Häupchen und Schlitzer-Keks kaum entziehen kann. Zurecht als ein Highlight seines Fachs gefeiert, dieses Allerlei aus Schund und Kunst.

7,5 von 10 Blumengrüßen von geheimen Verehrern

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