Review: FAMILIENGRAB - Der letzte Vorhang für Hitchcock

                                                                   
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Fakten:

Familiengrab (Family Plot)
USA, 1976. Regie: Alfred Hitchcock. Buch: Ernest Lehman. Mit: Karen Black, Bruce Dern, Barbara Harris, William Devane, Ed Lauter, Cathleen Nesbitt, Katherine Helmond, Warren J. Kemmerling, Edith Atwater, William Prince, Nicholas Colasanto u.a. Länge: 116 Minuten. FSK: ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Pseudo-Medium Blanche zockt zusammen mit ihrem Lebensgefährten George gutgläubige Menschen ab, die auf ihren Hokuspokus reinfallen. Nur so richtig viel kommt dabei nicht rum. Bis Blanche einen dicken Fisch am Haken hat: Eine alte, reiche Dame, deren Gewissensbisse sie um den Schlaf bringen. Einst zwang sie ihre Schwester, ihr uneheliches Kind wegzugeben. Jetzt verspricht sie Blanche 10.000 Dollar, wenn sie ihren einzigen Erben auftreiben kann. Auf ihrer gierigen Suche kreuzen Blanche und George den Weg eines anderen Gaunerpärchens, die sich eher auf Entführungen verstehen...




Meinung:
Der letzte Film von Alfred Hitchcock, gerne als altersmildes Spätwerk belächelt und allgemein mit einem weniger guten Ruf ausgestattet, zu unrecht. Sicherlich ist "Familiengrab" nicht der beste Film von Hitch, sicher auch nicht einer seiner Besten, doch immer noch ein würdiger Abschied von der großen Bühne, auf der er uns über 40 Jahre mit etlichen Perlen beschenkte. "Familiengrab" zählt zu der Hitch-Kategorie Nummer 2: Kein Meisterwerk, aber auch heute noch unterhaltsam, gut und ganz klar eine Empfehlung.


Beerdigung oder Überfall?
Viele Werke des Meisters waren zwar nicht unbedingt geprägt, dennoch stets durchzogen mit bissigem Humor. "Familiengrab" besitzt davon etwas mehr (mal abgesehen von "Immer Ärger mit Harry", einer reinen Komödie), ohne sich dabei in das Komödiengenre einordnen zu lassen (was trotzdem gerne geschieht). Nein, eine Komödie ist das nicht, nur ein Thriller, der nicht mit zynisch-sarkastischen Momenten spart und hier und da einige bewusste Schmunzler einbaut (aber wie gesagt, das war ja nichts neues). In erster Linie ist es ein waschechter Thriller mit einem hochinteressanten, geschickt erzählten Plot, der den Zuschauer zunächst leicht im Dunkeln tappen lässt. Innerhalb des ersten Drittels werden gleich zwei kriminelle Pärchen präsentiert, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben. Das sie sich logischerweise irgendwann treffen werden ist klar, nur warum? In diesen Minuten baut Hitchcock gewohnt souverän Spannung auf, keine Sekunde will verpasst werden, denn er spielt mal wieder mit dem Zuschauer und dessen Neugier. Allein daran lässt sich erkennen, dass Hitch weder altersschwach noch gesättigt war. Das ist nur minimal schwächer als zu seinen besten Zeiten. 


Tja, hätte sie sich mal angeschnallt
Seinen Drive büßt "Familiengrab" im weitern Verlauf nur geringfügig ein, was aber sehr zu verschmerzen ist. Bis zum Schluss werden immer wieder kleine Haken geschlagen, die Inszenierung ist gewohnt abgeklärt (ohne neue Highlights zu setzen) und das Kribbeln wie das Interesse reißt niemals ab. Darüberhinaus ist der Cast gut gewählt, was bei Hitch ja nicht immer höchste Priorität genoss. Von Karen Black über Bruce Dern, Barbara Harris bis zu William Devane passt hier alles wunderbar. Hitchcock zeigt auf seine alten Tage nochmal einen Querschnitt durch sein gesamtes Schaffen, bestehend aus Suspense, doppelten Spiel, versteckten Identitäten, satirischen Humor, halsbrecherischen Autofahrten, Betrug, Schein und Sein. Gerade das ist rückwirkend, bezogen auf seine gesamte Karriere, so bemerkenswert, fast schon erstaunlich: Er war immer "nur" Regisseur, schrieb nie das Script, verfilmte oft Romanvorlagen, aber alle Filme tragen seine Handschrift. Irgendwie gelang es ihm, jedem Werk einen unverkennbaren Stempel aufzudrücken, sie fast wie aus einem Guss wirken zu lassen, sogar genreübergreifend (kleine Ausreisser inbegriffen, aber schlecht war keiner seiner Filme).


Allein deshalb entzieht es sich meiner Wahrnehmung, warum "Familiengrab" so eine Enttäuschung sein soll. Mal wild in den Raum spekuliert: Wäre das kein Hitchcock, viele Kritiker würden kaum meckern. Das soll nicht heißen, dass das hier ein perfekter, großartiger Film ist, aber mehr Wertschätzung wäre schon angebracht. Flott, unterhaltsam, toll inszeniert und niemals nur im Ansatz langweilig, über gewisse Strecken sogar sehr clever und faszinierend. Eine schöne Mischung aus bösem Humor und intrigantem böse Buben und Damen Spielchen, niemals zu vorhersehbar und konstant auf hohem Niveau vorgetragen.


Wenn wir zum Schluss schon bei Konstanz sind: Ich kenne keinen Regisseur, der über so einen langen Zeitraum in der Qualität seiner Werke eben das garantierte. Klar, einiges war nicht immer Gold, aber vieles und mindestens genau so viel Silber. Das ist eine Messlatte, die heute kaum noch jemand überspringen kann. Selbst jedes aktuelle Regiewunderkind muss sich 2050 die Frage stellen: Was bin ich gegen Hitchcock? Die Antwort dürfte oft eindeutig sein. Bis auf Scorsese und die Coens habe ich das noch nie über so eine Distanz gesehen...und Hitch war noch viel fleissiger.

7,5 von 10 würdigen Schlusspunkten

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