Fakten:
Blut an den Lippen ( Les lèvres rouges/ Daughters of Darkness)
BE, FR, BRD, 1971. Regie: Harry Kümel. Buch: Harry Kümel, Pierre Drouot, Jean Ferry. Mit: Delphine Seyrig, John Karlen, Danielle Ouimet, Andrea Rau, Paul Esser, Georges Jamin, Joris Collet, Fons Rademakers. Länge: 101 Minuten. FSK: ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Stefan und Valerie haben erst vor wenigen Stunden geheiratet, das junge Paar ist auf dem Weg von der Schweiz nach England. Sie verpassen ihr Schiff und müssen notgedrungen in Ostende, einer belgischen Kleinstadt, übernachten. Das Luxushotel ist unbesucht, bis Baronin Bathory mit ihrer Sekräterin Ilona ebenfalls dort aufschlägt. Der Anfang vom Ende...
Meinung:
"- Stefan loves me, what ever you may think."
"-
Of course he does. That's why he dreams making out of you whatever man
dreams of making out of every Woman. A slave, a thing, an object of
passion."
Der Film von Harry Kümel ist bis heute der erfolgreichste, belgische Exportschlager. Bemerkenswert, dass er trotzdem so unbekannt und auch unterbewertet ist. Denn "Blut an den Lippen" ist ein außergewöhnlicher Genrefilm, der so viele Stilrichtung kreuzt, auf eine sehr avantgardistische Art und Weise, eigentlich müsste so ein Werk viel mehr Beachtung verdienen. Ein unglaubliches Crossover aus 70er Ex- und Sexploitation Grindhousekino, dabei handwerklich so grandios, anspruchsvoll und subtil inszeniert, das es leicht an den wenige Jahre später erschienenen Klassiker "Wenn die Gondeln Trauer tragen" erinnert.
Femme fatale extrem... |
Die Mischung aus sexuellem
Befreiungskino, Horror und Arthouse-Anspruch scheint sehr gewagt, gerade
dadurch bezieht "Blut an den Lippen" seinen einzigartigen Reiz, ist
(heute ohnehin nicht) kaum kopierbar und ein Unikum für sich. Eine
wahnsinnig ausgeklügelte, perfekte Inszenierung trifft explizite Erotik,
bewusste Stilbrüche (Homoerotik auf beiden Seiten), und ein klares
Statement zu den spießigen Nachkriegsrollenbildern der 50er und frühen
60er. Der Mann als unantastbares Alphatier wird abgelöst, langsam, aber
konsequent. Zum besseren Verständnis, starten wir am
Anfang: Wir sehen ein frisch verheiratetes, wild-vögelndes Ehepaar, auf
der Heimreise zu "der Mutter" (super!), das sich mit einem Zwischenstop
in der flämischen Provinz begnügen muss. Das unbekümmerte, sexuell
tüchtige Honeymoon-Feeling wird durch die äußerst gut konservierte
Baronin und ihre lüsternde Sekräterin gehörig aufgemischt. Dazu gibt es
unerklärliche Morde mit erstaunlich wenig Blut, aber offenen Kelen, was
stimmt da wohl nicht? Richtig....
Das perfekt-laszive Dinner |
Harry Kümel
inszeniert einen eigentlich typischen, erotisch wie trashig angehauchten
Genrefilm der 70er, aber will und schafft viel mehr. Denn "Blut auf den
Lippen" ist extrovertiertes Ausnahmekino, das viel
Mut, Inspiration und Können erfordert. Kümel scheiter nicht, er adelt
es. Seine Bildsprache, generell das Zusammenspiel von Optik, Akustik und
Stimmung, ist sagenhaft. Selbst seiner ruhig-bedachten ersten Hälfte
zaubert er so eine subtil-spannende Bedrohung auf die Visage, einnehmend
und faszinierend. Was noch so folgen wird, ist jederzeit angedeutet,
nur explodiert dieses Werk erst im letzten Drittel. Dann immer noch
bedacht und überlegt, der durchschnittliche Horrorfan (keine Abwertung,
nur eine Feststellung) sollte vorgewarnt sein. Wer auf Bodycount, Blut
und (offensichtlichen) Terror hofft, ihr seit raus. Es gibt in dem Film
nur wenig Figuren, viel Raum zum Sterben bleibt da nicht. Darum geht es
auch gar nicht.
"Blut an den Lippen" bezieht seine Faszination nicht aus dem "10 kleine Negerlein"-Prinzip, sondern aus seiner Atmosphäre und dem Subtext. Devotes, erotisches Rollengehabe und Machtgefüge, stimmig verpackt in die Vampir-Mythologie, die sich irgendwann diese Methode (Verführung = Horror) angeeignet hat, was ursprünglich gar nicht so gedacht war. Es nahm seinen Anfang wohl bei Bela Lugosi und seiner kühl-verführerischen Art, steigert sich durch Christopher Lee und spätestens ab dann, war der Vampir ein Gleichniss für die morbide Konstellation aus Tod, ewigen Leben, Lust, Begierde und der tragischen Quintessenz: Du kannst (musst) ewig Leben, aber kannst (praktisch) nie ewig lieben und begehren.
" I want to be loved. I want everybody to love me. Do you love me Valerie, don't you?"
"Blut auf den Lippen" ist anspruchsvolles, exzentrisches Genrekino ohne einfache Schockeffekte und Who-will-be-next-Momente, er lauert, reizt und verzaubert durch seine wunderbare Bildsprache, seine grandios-subtilen Spannungs-Sequenzen und seinen selbstauferlegten, aber kompromisslos-getroffenen Anspruch, der jede Minute zu einem Genuss macht.
"I`m so cold. The sun rises in every hour."
8 von 10 Queer-Horror-Arthaus-Bissen
"Blut an den Lippen" bezieht seine Faszination nicht aus dem "10 kleine Negerlein"-Prinzip, sondern aus seiner Atmosphäre und dem Subtext. Devotes, erotisches Rollengehabe und Machtgefüge, stimmig verpackt in die Vampir-Mythologie, die sich irgendwann diese Methode (Verführung = Horror) angeeignet hat, was ursprünglich gar nicht so gedacht war. Es nahm seinen Anfang wohl bei Bela Lugosi und seiner kühl-verführerischen Art, steigert sich durch Christopher Lee und spätestens ab dann, war der Vampir ein Gleichniss für die morbide Konstellation aus Tod, ewigen Leben, Lust, Begierde und der tragischen Quintessenz: Du kannst (musst) ewig Leben, aber kannst (praktisch) nie ewig lieben und begehren.
" I want to be loved. I want everybody to love me. Do you love me Valerie, don't you?"
"Blut auf den Lippen" ist anspruchsvolles, exzentrisches Genrekino ohne einfache Schockeffekte und Who-will-be-next-Momente, er lauert, reizt und verzaubert durch seine wunderbare Bildsprache, seine grandios-subtilen Spannungs-Sequenzen und seinen selbstauferlegten, aber kompromisslos-getroffenen Anspruch, der jede Minute zu einem Genuss macht.
"I`m so cold. The sun rises in every hour."
8 von 10 Queer-Horror-Arthaus-Bissen
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