Fakten:
Der Schamane und die Schlange (El
abrazo de la serpiente)
AR, CO, VE. 2015. Regie: Ciro Guerra. Buch:
Ciro Guerra & Jacques Toulemonde Vidal. Mit: Jan Bijvoet, Brionne Davis,
Nilbio Torres, Antonio Bolivar, Luigi Sciamanna, Yauenkü Migue, Nicolas Cancino
u.a. Länge: 125 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Im Kino.
Story:
Im Jahre 1909 reist der deutsche
Forscher Theodor Koch-Grünberg nach Südamerika, um die Eingeborenen und die
Region zu erforschen. 30 Jahre später bricht der amerikanische Biologe Richard
Evans Schultes in die gleiche Region auf und will Pflanzen untersuchen. Beide
treffen auf den Schamanen Karamakate, den letzten Angehörigen seines Stammes.
Er soll die Männer zu einer sagenumwobenen Pflanze führen, deren Standort und
Zubereitung das große Geheimnis seines Volkes ist.
Meinung:
Selbst unter aufgeschlossenen
Filmfans werden bestimmte Länder und sogar Kontinente als Herkunftsland
filmischer Qualität oftmals sträflich vernachlässigt. Neben dem afrikanischen
Raum gehört vor allem Südamerika zu ebenjenen Gebieten, die vielen Zuschauern
so gut wie gar nicht geläufig sind. Umso erfreulicher ist es jedoch, wenn ein
kolumbianischer Film verhältnismäßig betrachtet weltweit größere Wellen
schlägt. Nach der Nominierung für den besten fremdsprachigen Film bei den
Oscars schafft es „Der Schamane und die Schlange“ nun Zuschauer und Kritiker
gleichermaßen in seinen Bann zu ziehen. Erfreulich, denn Ciro Guerras Werk zählt
zu den bisher besten Filmen des Jahres.
Basierend auf den
Reisetagebüchern zweier Forscher verfolgt der Film eine äußert fein
konstruierte Zweiteilung. Die 30 Jahre auseinanderliegenden Stränge verflechtet
der kolumbianische Regisseur geschickt ineinander und so verleiht er der
zunächst simpel anmutenden Geschichte zusätzliche Würze. Indem er beide Ebenen
durch den Schamanen Karamakate verbindet und nach und nach die selben Stationen
des Dschungel abklappert, macht der Film eindrucksvoll deutlich, wie wenig sich
der Wald und wie sehr sich der Mensch verändert. Denn neben seiner
charakterorientierten Erzählung und der Entwicklung Karamakates vermittelt „Der
Schamane und die Schlange“ vor allem die Wichtigkeit traditioneller Werte.
Völlig unaufgeregt und ohne mit der Moralkeule zu schwingen, erklärt der Film
seinen Zuschauern die Bedeutung von Nachhaltigkeit, den Stellenwert von Natur
und macht zugleich auch deutlich, dass Fortschritt keinesfalls negativ behaftet
sein muss. In seiner formalen Prägnanz verteufelt der Regisseur nie eine der
beiden Seiten, sondern stellt Veränderung final als etwas Unabwendbares und
dadurch auch wichtiges heraus. Durch seine naturalistischen Bilder wird „Der
Schamane und die Schlange“ zu einem meditativen Erlebnis, welches verbunden mit
seiner essentiellen Botschaft eine mehr als lohnende Filmerfahrung bietet.
Die Reise ins Herzen des Urwalds
wandelt sich zusehends zu einer Reise ins eigene Ich. Die Suche nach einer
seltenen Pflanze ist gleichsam die Suche nach der eigenen Identität. Das
funktioniert nicht bei allen Figuren auf die gleiche Art, und doch müssen alle
Charaktere in sich gehen. Beim Schamanen Karamakate ist es die Interaktion mit
anderen Individuen, jahrelang für sich allein zwingt ihn jeder Kontakt,
jegliche Art von Kommunikation zur Selbstreflexion. Die Gesellschaft anderer
Menschen hält ihm den Spiegel vor. Ganz anders bei den beiden Forschern.
Während der eine vor allem aufgrund seiner schweren Krankheit und des immer
wieder auftretenden Fieberwahns zur Auseinandersetzung mit sich selbst
gezwungen wird, ist es bei dem anderen die omnipräsente Erscheinung des
Urwalds, welche ihn tiefer in sich selbst führt. Interessant ist auch, wie sich
beide zunächst an ihren Besitz, ihrer einzigen Verbindung zur Heimat festklammern
und diesen dann bei wachsender Erkenntnis doch aufgeben. Das wohl spannendste
an dieser Selbstfindung ist jedoch die leise und meditative Art an welcher der
Film seine Zuschauer teilhaben lässt. Auch für den Betrachter kann der
Kinobesuch zu einer nachdenklich stimmenden Reise werden.
In seiner behäbigen Erzählweise
und durch seine langsamen schwarz-weiß Bilder ist „Der Schamane und die
Schlange“ sicherlich kein Film für Jedermann. Zu minimalistisch ist dabei die
Erzählung, zu sperrig der Wechsel zwischen den Sprachen und zu ungewohnt die
komplette Bildsprache. Schade, denn Ciro Guerras faszinierendes Werk ist im
positivsten Sinne des Wortes ungewöhnlich und hat jedem etwas zu sagen, der nur
aufmerksam genug hinschaut und hinhört.
8 von 10 halluzinogenen
Pflanzen
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