Review: FEAR X - John Turturros manisches Kaleidoskop der Bewältigung



Fakten:
Fear X
USA, Groß Britannien, Dänemark, Kanada. 2003. Regie: Nicolas Winding Refn. Buch: Nicolas Winding Refn, Hubert Selby jr., Mit: John Turturro, Deborah Kara Unger, William Allen Young, Stephen Eric McIntyre, Gene Davis, Mark Houghton, James Remar, Nadia Litz u.a. Länge: 91 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Wachmann Harry versucht mit dem Verlust seiner Frau zu Recht zu kommen. Diese wurde scheinbar ohne Grund von einem Unbekannten erschossen. Die Polizei findet keine brauchbare Spur, was Harry dazu veranlasst das Überwachungsvideo der Tat immer wieder anzuschauen.





Meinung:
Den Verlust eines Menschen kann man – egal wie versessen man es auch versucht - nicht kompensieren. Man kann ihn höchstens akzeptieren und sich früher oder später auf lange Sicht damit abfinden. Doch ein emotionaler Fausthieb dieser gar irrational anmutenden Größenordnung, sorgt in seiner vehementen Gewichtigkeit eben nicht nur für eine einmalige Ohnmacht; die langwierige Schädigung als Folge dessen und in bildhafter Form einer seelischen Caldera ähnlich, bleibt dem Inneren beständig treu. Aus einem solchen Verlust aber kann nicht nur der affektive Zusammenbruch resultieren, der nächstfolgende Schritt, die Schmerzbewältigung, die Realisierung der neuen Umstände, schlägt nicht selten um in eine gar pathologische Manie, in der die von vernichtender Trauer gezeichnete Person einen Schuldigen für die Qualen finden muss, um für eine individuelle Gerechtigkeit zu sorgen, deren juristische Legitimität nur auf persönlicher Ebene funktioniert und reziprok zum moralischen Kodex unserer allgemeinen Weltanschauung steht. Nicolas Winding Refn („Drive“) zeigt in seinem enigmatischen Psycho-Thriller „Fear X“, welche Ausmaße die Tragik der Besessenheit besitzen kann.


Im Film liegt die Wahrheit
Vorab muss natürlich gesagt werden, dass die Reaktionen auf einen Trauerfall situationsabhängig sind und damit aus menschlicher Sicht immer wieder mit einer ganz unterschiedlichen Haltung aufgenommen werden. Die gefühlsbetäubte Frage nach dem 'Warum?' aber ist der erste Schritt in Richtung zugänglicher Versuchsanordnung, deren Antwort – wie auch die obligatorische Schuldzuweisung – ohne klaren Erfolg für das eigene Leben bleiben wird. In seinem ersten englischsprachigen Film „Fear X“ fokussiert der inzwischen im cineastischen Rampenlicht angelangte Däne Nicolas Winding Refn den introvertierten Shopping Center Security Guard Harry (John Turturro), dessen Frau in der Tiefgarage seiner Arbeitsstelle von einem Unbekannten kaltblütig erschossen wurde. Harry fällt daraufhin in eine unausweichliche Spirale der Trauer, konsumiert in seiner Wohnung nach Feierabend mit obsessiver Akribie die Überwachungsvideos des Einkaufszentrums und sucht konkrete Anhaltspunkte, um mögliche Täter aus den Menschenmassen zu inspizieren. Seine Wohnzimmerwand ist übersät mit sorgsam selektierten Karteikarten und fallbezogenen Zeitungschnipseln.


Harry ist seit dem Tod seiner Frau echt mies drauf
Die unkonventionelle Dramaturgie und die narrativen Interpretationsfreiräume für den Zuschauer, die die letzte – oder auch die erste – Stufe innerhalb des Geschehens so durch eigene Kraft ihrer Impressionen erklimmen müssen, welche sich später in seinen ungemein meditativen Ausnahmewerken wie „Walhalla Rising“ und „Only God Forgives“ in leibeigener Perfektion herauskristallisieren sollten, spiegeln sich bis zu einem gewissen Grad auch in „Fear X“ wieder. Nicolas Winding Refn geht dabei nie das Risiko ein, den mysteriösen Schleier über der Handlung gänzlich zu entlüftet, sondern reicht dem Zuschauer immer wieder ein feines Mosaiksteinchen und den Auftrag, dieses Teilchen nun an seinen rechten Platz zu befördern. „Fear X“ mag sich dadurch den zuweilen doch recht sperrigen und vom nebulösen Wesentlichen abgelenkten Tonfall einer surrealistischen Fragmentierung aneignen, weil er sich in seiner wechselseitigen Spezifik in gewissen Momenten nun einfach nicht mehr weiter bewegen (oder entwickeln?) will (oder kann?) und sich temporär um die eigene Achse dreht, verliert dabei aber die zwischenmenschliche Tragik Harrys nie aus dem Blick.


„Fear X“ findet immer genau dann zurück in die passende Spur, wenn Refn seine inszenatorische Finesse unter Beweis stellen darf und dem Zuschauer einen Film offenbart, der ausschließlich durch seine schemenhafte Atmosphäre und die bedrückende Sogwirkung der elegischen Stimmung an Fahrt gewinnt – Ohne das vorgegebene Tempo und sich selbst für effekthascherische Spannungsfelder zu verraten. Man darf mit „Fear X“ weder einen Film erwarten, der sich ganz den Regeln des düsteren Thriller-Genres verschreibt, noch dem des psychologischen Charakter-Dramas und schon gar nicht ein Werk, welches sich in irgendeiner Weise dem Publikum anbiedern will. Nicolas Winding Refn – und das sollte inzwischen wirklich überall angekommen sein – passt in keine definierte Schublade, er bereitet höchstens ähnliche Elemente auf und formatiert diese für einen neuen Rahmen. Und auch wenn ihn „Fear X“ aufgrund unsäglicher künstlerischer wie finanzieller Diskrepanzen beinahe ruiniert hätte, ist dem Dänen ein überaus sehenswerter Einstieg in den englischsprachigen Raum gelungen, gerade weil er Erwartungen nicht bedient und es dem Zuschauer so ermöglicht, sich selbst seine Gedanken zu machen.


6,5 von 10 Tränen im Krankenbett


von souli

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