Review: BLACKOUT - ANATOMIE EINER LEIDENSCHAFT - Zwischen Zuneigung und Ablehnung liegt nicht viel Platz



Fakten:
Blackout – Anatomie einer Leidenschaft (Bad Timing: A Sensual Obsession)
GB. 1980. Regie: Nicolas Roeg. Buch: Yale Udoff. Mit: Art Garfunkel, Harvey Keitel, Theresa Russell, Denholm Elliott, William Hootkins, Daniel Massey, Dana Gillespie u.a. Länge: 122 Minuten. FSK: freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD (Unter dem Titel „The Dark Inside“) erhältlich.


Story:
Es ist unbestreitbar, dass Alex Linden und Milena Flaherty vordergründig nicht zusammenpassen: Während er ein bodenständiger Seelenklempner ist, sucht Milena ihre Freiheit – selbst in einer Beziehung. Doch die Beiden verfallen sich und ziehen sich in ihrer Unterschiedlichkeit genauso an, wie sich in der Unfähigkeit sich vollständig und unabdingbar zu Liebe. Es entsteht eine obsessiv-komplexes Beziehungskonstrukt, in dem niemand als Sieger hervorgehen wird…




Meinung:
Gegensätze ziehen sich an, bleiben aber dennoch in ihrer individuellen Modalität von Grund auf verschieden. Ein Psychoanalytiker (Art Garfunkel) und eine freiheitssüchtige Frau (Theresa Russell) verfallen einander, um sich schließlich in ihrer ganzen Antinomie zu verstoßen. In Nicolas Roegs „Blackout“ kollidieren zwei differente Welten: Die intellektuelle, augenscheinlich gefestigte und die unkonventionelle, ungeplante. Eine unbeschwerte Zuneigung entsteht – von Liebe darf nicht gesprochen werden – in der die sexuellen Reize vollständig ausgekostet werden, in der viel Zeit miteinander verbracht wird, um schließlich zu realisieren, dass wir alle doch nur liebesunfähige Opfer unserer Gelüste und Sehnsüchte sind. „Blackout“ arbeitet mit einer assoziativen Bildsprache der Extraklasse und erzählt seine Geschichte durch subjektive Erinnerungsfetzen, mal vor, mal zurück, aber niemals einer linearen Narration folgend. Der Zuschauer muss die Stückchen selbst kleben und sich dabei vollkommen in der Geschichte verlieren.


Love will tear us apart
Roeg beweist mal wieder in seiner ganzen Klasse, dass er nicht nur ein hervorragender Handwerker war, mit nahezu perfektem Verständnis für Montagen und detaillierte Ausstaffierungen, sondern auch ein enormer Menschenkenner, der der Bedeutung eines zwischenmenschlichen Verhältnisses auf den Zahn fühlt: Ist es überhaupt möglich, eine standhafte und ehrliche Beziehung zu führen? Wahrscheinlich nicht. In „Blackout“ gehen menschliche Abgründe und vertraute Grundbedürfnisse Hand in Hand; wir erleben die Phase der Blindheit im Kontext der Verliebtheit, wir erfahren ebenso was Ablehnung und Abhängigkeit bedeutet. Hier werden nicht nur die Sonnentage im Leben eines Paares beleuchtet, die dunkle Seite der Psyche saugt jeden Charakter in sich auf; Roeg lässt die Charaktere dabei wieder gegeneinander antreten, um sie schlussendlich in einem inneren Kampf gegen sich selbst zu entblößen.


So ironisch der Originaltitel „Bad Timing“ klingen mag, so wahr ist er auch und trifft den Nagel jeder Beziehung auf den Kopf. Das altbekannte „Was wäre wenn“-Prinzip wird zwischen dem hedonistischen und gesellschaftlichen Zwiespalt ausgereizt und Roeg entlädt seine undefinierbare Chronologie der interpersonellen Entfremdung in einem charakterbezogenen Psychogramm ohne jede Überdramatisierung oder Verlogenheit. In „Blackout“ stehen die Zeichen auf Zerstörung, das Innenleben wird aus den Figuren gerissen und dem Zuschauer in schonungsloser Präzision vorgeführt. Antworten gibt es keine, Ursachen haben keine Bedeutung, „Blackout“ muss man in seiner ganz eigenen Systematik ordnen. Roeg hat wieder einen Film ohne Verankerung oder zeitlichen Zusammenhang geschaffen. Alles was hier gezeigt wird, ist auch noch in 100 Jahren von einschneidender und wahrheitsgetreuer Relevanz. Kein Wunder, dass derart weitsichtiges Kino in seinem Entstehungsjahr nur als „krank“ verstanden werden konnte. In Wahrheit kennt jeder das Gefühl, welches „Blackout“ letztlich impliziert.


8,5 von 10 Augenblicken, die dein Leben verändern


von souli

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