Review: THE GIRLFRIEND EXPERIENCE - Über Geld und die Illusion nicht allein zu sein

Fakten:
The Girlfriend Experience
USA. 2009. Regie: Steven Soderbergh. Buch: Brian Koppelman, David Levien, Mit: Sasha Grey, Chris Santos, Timothy Davis, Peter Zizzo, Glenn Kenny, Vincent Dellacera, Kimberly Magness, Mark Jacobson u.a. Länge: 77 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Christine Brown arbeitet als Escort-Dame. Unter dem Namen Chelsea begleitet sie Kunden zu Empfängen, hat Sex mit ihnen oder gibt ihnen das Gefühl an ihrem Leben teilzuhaben. Christines Freund Chris, der als Fitness-Trainer arbeitet, weiß von ihrem Beruf und versucht es zu akzeptieren, dass sie mit anderen Männern schläft.




Meinung:
Steven Soderbergh gehört wohl zu den interessantesten Regisseuren unserer Zeit. Der Amerikaner bedient seit vielen Jahren das große Blockbuster-Kino genauso wie ein etwas anspruchsvolleres Publikum. Ob er nun Hochglanz-Produktionen wie die „Ocean’s Elevene“-Reihe inszeniert oder im Sektor des Low Budget Films unterwegs ist, wie etwa „Voll Frontal“, bei dem sich die Darsteller sogar selbst um ihr Catering kümmern mussten, Soderbergh pendelt zwischen den Budgetwelten, verliert dabei aber niemals seinen ganz eigenen Stil. Nun, nach knapp drei Jahren erscheint in Deutschland endlich sein Blick auf das Leben einer Escort-Dame für den Heimkinomarkt. „The Girlfriend Experience“ ist ein ehrlicher wie nüchterner Blick auf die Mechanismen des Berufs und zeitgleich auch ein Kommentar zu unserer heutigen Zeit.




Christina alias Chelsea: Ein Frau für besondere Stunden
Aufmerksamkeit genierte der Film nicht nur durch seine Thematik, sondern vielmehr durch seine Hauptdarstellerin Sasha Grey. Diese war lange Zeit eine Ikone, der modernen US-Pornoindustries. Für viele war Grey nie wirklich eine gewöhnliche Aktrice, sondern mehr ein Phänomen. Mit ihren eigenwilligen, oftmals die Standards der Adult Film Industry sprengenden Filme und Performances, wurde sie zu einem der ganz großen Superstars des Marktes. 2009 stieg sie aus, macht seitdem erfolgreich Musik und ist auch als Künstlerin anerkannt. Soderbergh, der einen Artikel über Grey las uns sie danach unbedingt für die Rolle der Christine/Chelsea wollte, verlässt sich bei „The Girlfriend Experience“ voll und ganz auf ihre Ausstrahlung und auch wenn (Ex-)Pornodarsteller/innen nicht den besten Ruf haben, was schauspielerisches Talent außerhalb des Koitus haben, so spielt Sasha Grey hier doch sehr überzeugend. Vielleicht hat sie Talent, vielleicht hat ihre berufliche Vergangenheit und ihre Rolle auch einfach nur genügend Gemeinsamkeiten? Wer weiß. Wer sich hier aber eine Softcore-Variante von Greys früheren Filmen erhofft, hat sich geirrt. „The Girlfriend Experience“ ist ein ernsthafter Versuch den beruflichen wie auch privaten Alltag einer Escort einzufangen, ohne dabei auf alte, verstaubte Stereotype zurückzugreifen.


Christine gibt einem Journalisten ein Interview
Steven Soderbergh erzählt den Film ohne chronologische Reihenfolge und stichpunktartig. Es gibt nur einen losen Handlungsrahmen. Er springt immer wieder zu einzelnen Szenen. Wir sehen Chelsea, wie sie mit einem ihrer Kunden kuschelt, fast so, als ob sie mit ihm wirklich liiert wäre. Wir werden Zeuge, dass ihre Dienste eine erweitere Fassung von Prostitution sind. Sex ist hier nicht alles, oftmals auch gar nicht existent. Sie verkauft ihren Körper, aber auch ihre Präsenz. „The Girlfriend Experience“ zeigt Bilder voller emotionaler Intimität, die dann zerrissen werden, wenn Chelsea den Raum verlässt, in ein Taxi steigt und ihr Honorar zählt. Gleichzeitig werden wir Zeuge wie ihr Lebensgefährte Chris, der vom Job seiner Freundin weiß, versucht beruflich weiterzukommen, sich aber nur auf der Stelle dreht. Er wirkt verloren in dieser Welt. Die wenigen Momente, die er mit seiner Freundin hat wirken wie Aufzeichnungen aus einer früheren Zeit. Oftmals erzeugt das Zusammensein des Paares auch den Eindruck, dass er auch ein Kunde ist.


„The Girlfriend Experience“ ist ein, vor allem durch seine punktuelle Inszenierung etwas wirr und auch recht anstrengend geratener Versuch sich einer Welt bewusst zu werden, in dem Geld alles ist. Dies ist die Kernaussage des Films: Wir können uns alles kaufen. Nicht nur Sex, sondern auch Zärtlichkeit oder die Illusion nicht allein zu sein. Wir leben in einer Gesellschaft des Geldes. „The Girlfriend Experience“ lässt daran keinerlei Zweifel und erlaubt uns einen kurzen Blick auf eine Form der Prostitution, bei der Sex zweitrangig ist.

8 von 10



von stu






Meinung:
Den beruflichen Ethos heutiger Pornodarstellerinnen vergegenwärtigt Steven Soderbergh vorbehaltlos als selbstbewusst strahlende Gewissen- wie Standhaftigkeit ihrer selbst. Wo Künstler dieser Gattung von der Gesellschaft zwar immer wieder gerne mit angewiderten Blicken abgestraft werden, ist es für diese heute keine wirkliche Schwierigkeit mehr, den stigmatisierten Tellerrand zu überqueren und auch im ernstzunehmenden Fachjargon Fuß zu fassen, anstatt eine solche Karriere von vornherein an suppressiven Klippen in tausend Hoffnungssplitter zerschellen lassen zu müssen. Wen verwundert es da schon, dass Porno-Queen Sasha Grey inzwischen auch Hauptrollen in Spielfilmen übernimmt und sich in diesen tatsächlich nicht in voller Gänze blamiert.



Für Geld gibt es alles, sogar Umarmungen
Geht es aber um das Inhaltliche, dann stellt sich das altbekannte Problem Soderberghs ein: Der Mann überschätzt sich in einem a-b-n-o-r-m-a-l-e-n Ausmaß. In „Girlfriend Experience“ macht der Tausendsassa erneut auf neophil-progressiven Beziehungs- und Gegenwartsanalytiker, und möchte die frigide Zerrissenheit einer jungen Frau mit der kapitalistischen Disparität der amerikanischen Metropolen gleichsetzen - Und das in äußerst knapp bemessenen 70 Minuten. Was Soderberghs hastige Hybris in dieser Sisyphusarbeit zerstört, hält hingegen sein künstlerisches Verständnis für klinisch-sterile Fotografien - die auch hier wieder symptomatisch für eine ganze Generation stehen sollen - in der mäßig rettenden Balance. Ein marginaler Trost.


Zu sagen hat Soderbergh letzten Ende auch in „Girlfriend Experience“ zeitweise erschreckend wenig und lässt dabei die durchaus ansprechende Prämisse mit der bedeutungsschwangeren Modalität seiner Ägide kollidieren, um das hohle Innere seiner Narration freizuschlagen und auch wirklich für jeden Konsumenten erkennbar zu machen. Es ist ein mühevolles Unterfangen, „Girlfriend Experience“ richtig anzufassen und zu kategorisieren; ein Regelfall im Schaffen Soderberghs, aber dieser unfertige und anmaßende Nachgeschmack auf der Zunge währt einfach zu dominant. Wahrscheinlich war es schon ein weiser Schritt, die Filmkarriere (erst mal) an den Nagel zu hängen, obgleich gerade sein Abschiedsprojekt „Side Effects“ Lust auf mehr gemacht hat. Aber man soll bekanntlich gehen, wenn es am schönsten ist, und wirklich "schön" war es mit Soderbergh schließlich nur sehr, sehr selten.


4 von 10 bezahlten Umarmungen


von souli
 

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