2014. USA. Regie und Buch: Brett Morgan. Mit: Kurt Cobain, Krist Novoselic, Courtney Love u.a. Länge: 132
Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 28. Mai 2015 auf DVD und Blu-Ray
erhältlich.
Story:
Es wird versucht, Kurt Cobains Leben und Schaffen auf
den Grund zu gehen. Interviews gibt es mit seinen Eltern, seiner Frau, dem
Bassist von Nirvana und anderen.
Meinung:
Es ist wahrscheinlich überaus schwierig, sich dem
Wesen Kurt Cobains und seinem Vermächtnis zu entziehen. Schwierig, ihn nicht
interessant zu finden und manchmal gar schwierig, nicht begeistert zu sein. Von
der rohen Musik, die man schnell als „Krach“ abstempeln kann, ihr dabei aber
viel Wert und vor allem Wahrheit abspricht. Montage of Heck wird beinahe
universell gefeiert und ist fast schon eine Sensation. Als Kinoerlebnis
gedacht, wurde sie nun auf HBO ausgestrahlt, kam dennoch vereinzelt in die
internationalen Kinosäle, um Fans, Musiker und Interessierte zu erfreuen und
ist bald im freien Handel erhältlich.
Wirklich ein Engel, oder doch mehr ein Teufel?
Was macht eine Dokumentation zu einer guten Dokumentation? Was sind ihre
Aufgaben, ihre Pflichten, wovon sollte sie Abstand halten, um nicht an Wirkung
und Glaubwürdigkeit zu verlieren? Reicht es als Qualitätsmerkmal, wenn die
Dokumentation dem Zuschauer eine Meinung solange eindröhnt, bis dieser am Ende
der gleichen Meinung ist? Der Film ist ein mächtiges Medium mit vielen
Möglichkeiten. Nicht selten wird das ausgenutzt, wie zum Beispiel Al Gores
Prestige-Werk „An Inconvenient Truth“ zeigte. Zu vergleichen sind die beiden
Dokumentation jedoch keineswegs, da die Intentionen grundlegend verschieden
sind. Brett Morgan wollte mit dieser Dokumentation einen tiefen Einblick in den
Menschen Kurt Cobain liefern. Nicht umsonst ziert ein Zitat das Plakat, das
dieses zweistündige Werk als die „most
intimate rock doc ever“ bewirbt. Anfangs scheint das auch zu stimmen, wenn
dem Zuschauer Videoaufzeichnungen aus Kurts Kindheit gezeigt werden und
Interviews mit den Hinterbliebenen aus der Familie Cobain geführt werden.
Anderen Dokumentationen über Cobain wird vorgeworfen, ihn nicht als Menschen,
sondern als Legende zu inszenieren, wodurch Nähe zum Zuschauer ganz einfach
nicht gegeben sein kann. Das ist hier glücklicherweise anders. Man lernt über
Cobains Sehnsucht, Hass und Einsamkeit. Nähe zur Person Cobain wird vor allem
mit Fortschreiten der Laufzeit erreicht, wenn man ihm mit seiner Tochter und
Frau beim Herumspaßen zusehen kann.
Cobain mit Töchterchen Francis Bean
Doch schon bei den Interviews bilden sich erste Schwierigkeiten. Die
Interviewten wirken nämlich, mit Ausnahme von Nirvana Bassist Krist Novolesic,
als würden sie die Möglichkeit nicht zur Aufklärung über Cobain nutzen, sondern
um sich selbst darzustellen beziehungsweise zu erklären. Das ist befremdlich,
nimmt die Freude und lindert die Überzeugung, dass man den Menschen wirklich
Glauben schenken möchte. Mit der Zeit wird dies leider alles andere als besser,
wodurch die Qualität der Aussagen der Interviewten abnimmt. Einzig die Eltern
schaffen mit dazugehörigen Videoaufnahmen aus dem eigenen Haus ein Bild von
Kurt, der als Kleinkind das Zentrum jedes Geschehens und von Anfang an
hyperaktiv, emotional, sensibel, interessiert aber auch verwirrt war. Er fühlte
sich ausgestoßen, abgewiesen, anders, so wie man ihn sich eben vorstellt, wenn
man ihn singen hört. Mit der Zeit wurde aus ihm ein Mann, der einen Traum hatte
und ihn erreichte. Doch anstatt Erfüllung erwartete ihn Enttäuschung, weil er
sich mehr versprochen hatte. Die unheimlich graphischen und privaten
Aufzeichnungen von Cobain schreien dem Betrachter förmlich diese zerrissene und
verletzte Seele entgegen. Interessant anzusehen, alarmierend und damit stets
mit dem bitteren Beigeschmack verbunden, dass es zu spät ist. Wäre es nicht um
diese Kritzeleien, Zeichnungen und andere Werke; die Dokumentation wäre nicht
halb so interessant.
Cobain wie man ihn kennt
Es sind nämlich diese hinterlassenen Dinge, die der Welt ein Geschenk sind,
weil sie mehr über Cobain aussagen, als je irgendein Film im Stande wäre. Sie
beweisen, dass Cobain ein Expressionist war, der seine innere Seele, das
Ungewisse, Fremde und Extreme verarbeitete. Die Animationen der Werke sind gut,
erschreckend, informativ, unterhaltsam, fordern aber auch einen aufmerksamen
Zuschauer, der Willens ist, sich damit auseinanderzusetzen. Umso erschreckender
ist es, dass die Dokumentation nachlässig mit diesen Notizen, Zeichnungen, etc.
umgeht. Sie werden instrumentalisiert, um den Zuschauer zu manipulieren.
Textzeilen von Notizen werden vollkommen aus dem Zusammenhang geblasen, um zu
schocken und Eindruck zu schinden. Das ist nicht nur schade, sondern auch einer
sogenannten „intimen Dokumentation“ in höchstem Maße unwürdig. Zudem strahlt
der Film zuweilen die gleiche Sensationsgeilheit aus, die Cobain Zeit seines
Musikerdaseins verachtete, gegen die er kämpfte. Dadurch verliert die Arbeit
von Brett Morgan unheimlich viel Glaubwürdigkeit, denn so scheint es, als hätten
die Macher aber auch gar nichts von dem verstanden, wofür Kurt Cobain stand.
Dadurch wirkt das Werk weniger wie ein Herzensprojekt der Macher, sondern wie
Kalkül, wie ein Bedienen der Massen ohne wirklichen Sinn und Verstand.
Bessere Zeiten für Cobain, trotz Chaos
„Cobain: Montage of Heck“ instrumentalisiert einen Mann, der sich gegen den
Strom stemmte, gegen an arbeitete, Anarchie versprühen wollte. Dessen Anarchie
schließlich instrumentalisiert wurde, was ihn verwirrte, seinem noch jungen
Lebenswerk widersprach und ihn wahrscheinlich in den Suizid trieb. Diese Ironie
muss man sich erst einmal verdeutlichen, bevor man diese Dokumentation dafür
abfeiert, dass sie Kurt Cobain verstünde. Es stimmt, dass die Archivaufnahmen
sehr interessant sind, den Menschen Cobain an sich zeigen. Auch eine Intimität
zwischen Zuschauer und Cobain entsteht zuweilen. Aber dennoch lassen sich nach
einem überraschend unspektakulären Ende folgende Fazits ziehen: Wer sich schon
vorher mit Kurt Cobain auseinandergesetzt hat, der erfährt nicht viel Neues und
kann sich nur ein paar privaten Bildern und Videos aus der Wohnung der Cobains
erfreuen. Die Doku scheint die Aussagen hinter Cobains Werk entweder zu
ignorieren oder unwissentlich gegen sie zu arbeiten. Beide Fälle sind
gleichermaßen zu verachten, weil sie eine intime und intensive
Auseinandersetzung mit der Person Kurt Cobain ausschließen. Die Dokumentation
geht zuweilen kalkulierend mit Dokumenten um, damit sie die Regeln der Dramatik
erfüllen kann. Da bekommt die Aussage des Regisseurs, der Film sei für das Kino
gedacht, eine ganz neue Dimension. Was macht eine Dokumentation zu einer guten
Dokumentation? Dies sicherlich nicht.
In Kurt Cobains Abschiedsbrief stand der Satz „It’s better to burn out than to fade away.“ Etwas, was sich
die Dokumentation nicht zu Herzen genommen hat, da der Abspann anfängt und den
Zuschauer mit einem seltsamen Gefühl der Unfertigkeit sitzen lässt. Fans und
Interessierte erfahren hier sicherlich nicht viel Neues. Stattdessen kann man
hier über zwei Stunden hinweg sein Wissen abnicken, bis der Bildschirm schwarz
wird und zum ersten Mal die legendären Klänge der Gitarre von Smells Like
Teen Spirit ertönen. Wer wirklich mehr über den sagenumwobenen Menschen
erfahren will, der sollte sich einen ganz bestimmten Satz zu Herzen nehmen, den
Kurt Cobain in einem Interview sagt: „It’s
all in the music.“
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