JP. 2014. Regie: Sono Sion. Buch: Sono Sion, Santa
Inoue (Vorlage). Mit: Tomoko Karina, Akihiro Kitamura, Ryohei Suzuki, Shota
Sometani, Kokone Sasaki, Hitomi Katayama, Yosuke Kubozuka, Haruna Yabuki, Riki
Takeuchi, ua. Länge: 118 Minuten. FSK: noch nicht bekannt. Ab dem 16. Juli 2015
im Kino.
Story:
Die Polizei hat nichts zu melden in dieser Version von
Tokyo, stattdessen haben die Klans absolutes Herrschaftsrecht in ihren eigenen
Bezirken. Das funktioniert auch ganz gut, bis irgendjemand machtgierig wird und
einen Krieg zwischen den Klans entfacht.
Meinung:
Schon mal einen Film vom Japaner Sono Sion gesehen?
Wenn nicht, dann ist es sehr schwierig, den richtigen Eindruck von „Tokyo
Tribe“ entstehen zu lassen. Seine letzten beiden Filme, „Why Don’t You Play in
Hell?“ und eben dieser hier, zeichnen sich durch offenbar durch das Missachten
jeglicher Regeln und Grenzen aus. Regeln und Grenzen des Filmemachens und
menschlichen Verstandes gleichermaßen. Für Sonos Arbeit lassen sich schlicht
und ergreifend keine Vergleiche heranziehen, die einem eine ungefähre
Vorstellung erleichtern. Es handelt sich hier um einen Film, der schwierig zu
sehen, schwierig zu bewerten und kommentieren, aber auch schwierig zu hassen
ist. Ein Versuch der Erklärung und Würdigung.
Aufnahme fürs Bewerbungsvideo an James Franco
War „Why Don’t You Play in Hell?“ noch eine Reminiszenz an den Beruf, die große
Liebe und den Lebensinhalt von Sono Sion, den Film nämlich, handelt es sich
hier nun um eine Zelebrierung der Liebe an die Musik, speziell das Rap-Genre.
Als „das größte Rap-Battle der Welt“ beschrieb der Regisseur seinen Film und
damit wird er absolut Recht haben. Das Rap-Battle erstreckt sich nämlich über
die volle Laufzeit von zwei Stunden und wechselt beliebig Akteure, Handlungsort
und -Zeit und macht generell das, was es auch immer vorhat. Die einführenden
Minuten lassen dabei nur erahnen, was hier später alles noch abgerissen wird.
Etabliert der Regisseur zu Beginn das fiktive Tokyo, in dem sich die Geschichte
abspielen wird, werden dem Zuschauer Schlagworte wie Einsamkeit, Armut und
Kriminalität an den Kopf geworfen. Ein Vergleich zur Stadt Sin City ist da
nicht Fehl am Platze. Nur ein wenig abgefahrener und lauter. Musik gibt es
nämlich über die gesamte Laufzeit, von der ersten viereinhalbminütigen
Plansequenz bis zum bombastischen finalen Kampf. Dieser scheint keinen
wirklichen Anfang zu haben, alles läuft irgendwie ineinander über und ergibt,
nach einer zehnminütigen Exposition einen wilden Mix, ein abgefahrenes Etwas
von Film in drei Akten.
Nicolas Cage in "Face/Off" war sein Vorbild
Der Plot kann dennoch, gelinde gesagt, einem jeden Zuschauer gepflegt am Gesäß
vorbeigehen. Der geht über den obigen Umriss nämlich nicht hinaus. Es gibt
Klans, die kriegen sich in die Haare. Das war’s. Der Rest ist eine Chaos-Party,
ein Wort, das jetzt einfach mal für dieses Werk erfunden wurde. Doch, doch,
Sono bleibt sich seiner Arbeit aus „Why Don’t You Play in Hell?“ treu. Der
Absurdität, dem Exzess, dem Humor. War es im Genannten vor allem die
Ausgangssituation, die schon wahnwitzig war, ist es hier alles andere, woran
man denken und nicht denken mag. Einfach alles. Der Humor ist mal
unterschwellig, wenn eine Domina mit der Peitsche knallt und die Kamera ein
wenig zuckt, ganz so, als hätte sich der Kameramann erschrocken. Dann aber, und
zwar für die überwältigende Mehrheit, ist der Humor so exzessiv auf die Zwölf,
dass man sich davor gar nicht retten kann, es sei denn, man schließt die Augen.
Und das wird manchmal ganz gut tun, sonst könnte man Gefahr einer
Reizüberflutung laufen. Alles ist flamboyant, grell, überreizt, anstrengend,
erheiternd und einfach nur vier Nummern zu viel. Es ist wahrlich
faszinierend.
Woop that Shit, Biatches! DJ Demenzia is indahouse!
Und da wurde ja noch kein Wort über die Kulissen verloren. Die sind nämlich der
eigentliche Star des Films. Das Set ließ Sono von Studenten errichten und ließ
ihnen offensichtlich weitestgehend freie Hand. Das Ergebnis ist einmalig,
abgefahren, nimmt Popkultur ebenso auf’s Korn wie es sie ehrt. Man stelle sich
eine Mischung aus dem Fleisch-Fest in Steven Spielbergs „A.I.“, einem
Jahrmarkt, einem Problembezirk einer beliebigen Stadt und den Strand-Sets von
Baz Luhrmanns Version von „Romeo und Julia“ vor. Dann kommt man vielleicht im
Entferntesten gedanklich an die Optik, die sich einem hier offenbart. Durch
diese Kulissen lässt Sono dann eine Menschengruppe nach der nächsten tanzen,
jagen, rennen und kämpfen. Die Hommagen an Musicals jedweder Art sind da
natürlich nicht weit. Den Anfang bildet da noch ganz subtil (Spaß) eine
Menschenmenge, die mit Schirmen im Regen tanzt und singt. Die andere berühmte
Version von „Singin’ in the Rain“ von Alex DeLarge bekommt auch ihren Platz,
wenn wir später urplötzlich in einer Korova Milchbar sind. Wer solche
Referenzen und diese japanische „Ich setz noch einen drauf“-Art mag, der wird
sich hier sicherlich im Himmel wähnen. Der Film löst jedenfalls jedes
Versprechen ein, das er machen konnte und der Name Sono Sion ankündigt.
Als Filmkritiker hat man gewisser Weise die Pflicht, auf die technischen und
inhaltlichen Komponenten des Filmes gleichermaßen zu achten und dann ein aus
den Einzelteilen ein großes Ganzes zu basteln. Das macht es so schwierig,
diesen Film einzuordnen; er funktioniert nämlich nur, wenn man die Birne
ausmacht, sich nicht auf jedweden weltbewegenden Inhalt versteift, sondern sich
von Sono einfach mal gehörig die Visage polieren lässt. Bei diesem Film gibt es
nichts zum Erfassen oder Verstehen, nur etwas zum Erleben. Sono erzählt die
Geschichte des Raps, nicht historisch, sondern emotional gesehen. Er macht sich
lustig über die sexualisiert, chauvinistische und oberflächliche Form der Musik
(jedoch nicht, ohne liebevoll zu sein) und verehrt das kraftvolle Wesen des
Genres. „Tokyo Tribe“ ist ein Film, der sich so klar und deutlich „Ich mach
jetzt, was ich will“ auf die Stirn gestempelt hat, dass er einerseits
faszinierend und sympathisch ist, andererseits den Zuschauer zu Zeiten auch
etwas zu vergessen scheint, in seinem ungebremsten Exzess. Am Ende bleiben
Ungläubigkeit, hochgezogene Mundwinkel, Verwirrung, Freude und vor allem die
Wahrheit, dass Gewalt keine Lösung ist. Musik aber schon.
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