Review: DER BABADOOK - Geister gibt’s gar nicht… oder?




Fakten:
2014. AUS. Buch und Regie: Jennifer Kent. Mit: Essie Davis, Noah Wiseman, Daniel Henshall, Hayley McElhinney, Barbara West u.a. Länge: 93 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab dem 17. September 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.

Story:
Amelia ist seit der Geburt ihres Sohnes Witwe. Eines Abends möchte Sam, dass sie ihm aus dem Buch The Babadook vorliest. Das tut sie auch eine Zeit, bis er traumatisiert ist und sie das Buch geschockt weglegt. Weg damit und schnell vergessen. Aber damit fing es erst an.






Meinung:
Der Independant-Horrorhit des letzten Jahres war ohne Zweifel „It Follows“. Nur ein paar Monate später, nun im Jahre 2015, veröffentlichte die australische Regisseurin Jennifer Kent einen Gruselfilm über ein Pop-Up-Buch, dessen unheimliche Figur Einzug in das Leben einer Familie zu erhalten scheint. Das Budget wurde teilweise mittels Crowdfunding zusammengekratzt, sodass letztendlich ein Betrag von etwas über zwei Millionen Dollar zur Verfügung stand. Überaus erfolgreich war der Film letztendlich und gewann in einigen wichtigen Kategorien des letztjährigen Australischen Filmpreises. Beste Regie, bestes Drehbuch und bester Film. Letzteren Preis musste der Film sich ungerechterweise mit Crowes neuestem Prestige-Film teilen.


Ein tolles Buch für lesefaule Menschen
Jennifer Kent selbst sagte, sie verstünde nicht, weshalb es so wenig weibliche Horror-Regisseure gebe. Schließlich wissen Frauen auch, was Angst ist und schauen nach Statistiken ebenso gern Gruselfilme, wie Männer. Konsequenterweise stellt sie hier einen Film auf die Beine, der funktioniert, der gruselt und vor allem: Ein Film, der nicht der ermüdenden Haudrauf-Mechanik verfällt, die so viele moderne Horrorfilme aus Amerika zu einem Einheitsbrei verkommen lassen. Stattdessen hält sie dem Zuschauer zeitweise gar den Spiegel vor die eigene Nase, wenn man denkt, man hätte es wieder einmal mit dem üblichen Foreshadowing zu tun und sich damit gehörig irrt. Das ist keck, das ist frisch und das weiß zu begeistern. Interessant ist, dass das Gehirn des Menschen die Geschehnisse auf der Leinwand von dem eigenen Wohlbefinden trennen kann. Man mag sich gruseln, aber das Gehirn ist sich bewusst, dass man selbst nicht in Gefahr schwebt. Kent ist sich dem bewusst und versucht dennoch, dieses System so gut es geht auszuhebeln. Bei dem Buch mit dem Babadook handelt es sich um eine fiktive Geschichte, die in das wahre Leben Einzug nimmt. Der wahre Subtext des Filmes jedoch ist so real und realistisch gehalten, dass die Grenzen zeitweise zu verschwimmen scheinen und der Zuschauer hin- und hergerissen ist, zwischen einem Gefühl der Geborgenheit und dem der inneren Sorge.


"David after Dentist"? Pah, hier kommt "David before Excorcism"
Hinter der Fassade zeigt der australische Grusler nämlich ein Gespür für das Innenleben seiner Figuren, vorrangig der Mutter. Dass eine Familie einen Schicksalsschlag erlitt ist nichts Neues in dem Genre, aber selten wird es so subtil, unterschwellig aber gleichzeitig mit der angemessenen Signifikanz behandelt. Die Mutter Amelia verlor ihren Ehemann an dem Tag, an dem sie ihren Sohn Samuel geschenkt bekam. Seitdem schlägt sie sich durch das Leben (ihr Name bedeutet „die Tapfere“) und hat mehrere Aufgaben, die sie seit Jahren jeden Tag den ganzen Tag erfüllen muss. Sie muss einerseits den Verlust verarbeiten, sie darf den Rhythmus ihres eigenen Lebens nicht verlieren und vor allem darf muss sie ihren Sohn erziehen, sodass er durch den Verlust, den er nicht „aktiv“ mitbekommt, da er seinen Vater nie kennenlernte, kein schlechteres Leben mit weniger Möglichkeiten hat, als andere Kinder. Dass ihr Sohn selbst auch mit Schwierigkeiten kämpft kommt dann noch erschwerend dazu. In all dieser Zeit kann Amelia nicht einmal ihre wahren Emotionen zeigen, sie darf nicht in den Augen der Gesellschaft „die Kontrolle verlieren“. Sie darf nicht als „schlechte Mutter“ abgestempelt werden. Frauen mit Emotionen werden schnell als „Furien“ und „Zicken“ hingestellt, die nicht in der Lage sind, „dem Kind“ zu helfen.


 
Endlich ein Horrorfilm, der zum lesen animiert
So findet Amelia keine wirkliche Ruhe, hat nicht wirklich Zeit für sich, darf sich nicht entspannen und hat über alle dem noch Angst, dass sie falsch handelt, dass sie sie selbst ist, weil das in diesem Moment in ihrem Leben von allen anderen als Unfähigkeit abgestempelt werden könnte. Der Babadook selbst verkörpert diese Angst. Er gibt dem Fremdkörper, dem Bösen, das schon lange Einzug in den Haushalt der Familie erhalten hat, eine Gestalt. Und zeigt der Mutter, die sich an ihre Situation gewöhnt zu haben scheint, dass sie innerlich eine tickende Zeitbombe ist. Ein Wolf im Schafspelz. Und so wird Amelia, als ihr durch den Babadook klargemacht wird, was in ihr vor sich geht, zum ersten Mal frei, in dem Sinne, dass sie all die angestauten Emotionen und Gedanken rauslassen kann, die sie sonst nie aussprechen durfte. Sie löst sich von dem ständigen Zustand der Gefühls- und Persönlichkeitsunterdrückung und kommt damit auf den Pfad zur Besserung. Die Meinung der anderen werden außen vor gelassen. Sie sind über den Hauptteil des Filmes nicht existent und werden ganz und gar vergessen. Ehrliche Emotionen sind nämlich die Hilfreichsten.


Die böse Seite existiert in jedem von uns und wir alle haben Angst, dass wir sie aus Versehen aus dem Ruder laufen lassen. Aber ebenso deutlich wie diese Furcht ist die Tatsache, dass wir auch diese Seite von uns benötigen. Ohne sie sind wir nicht ganz, nicht wahrhaftig. Jennifer Kent zeigt Horror mit Hintersinn. Das ist Etwas, was heutzutage so selten geworden ist, dass man jedes Mal, wenn man es denn sieht, die Hände über den Kopf reißen und jubeln möchte. Hallelujah, es klappt ja! Ebenso erfreulich ist, dass der Film sich von den eingerosteten Klischees und üblichen Kniffen und Hebeln entfernt und einen eigenen Weg geht. Das Endergebnis sind durchaus knackige 90 Minuten, die im Gesamtbild noch etwas Luft nach Oben und ein etwas wackeliges Ende haben, die man aber dennoch nicht verpassen sollte. Wer weiß, wie lange es dauert, bis man ähnlich gelungene Gruselkost vorgesetzt bekommt.


7 von 10 ungeeigneten Kinderbüchern


von Smooli

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