Story: Der einsame Samurai Tsugumo Hanshiro bittet einen Fürsten darum, auf seinem
Hof den ehrenvollen Selbstmord durchführen zu dürfen. Aber ist das wirklich
sein einziges Anliegen? Und wieso scheint er mehr zu wissen als alle anderen?
Meinung:
Masaki Kobayashi beeindruckte in den Jahren 1959 bis
1961 mit drei langen, wichtigen und kräftigen Filmen über die Auswirkungen des
Zweiten Weltkrieges. Die „Barfuß durch die Hölle“-Trilogie ist ein Monstrum.
Und niemand hätte es Kobayashi übelnehmen können, hätte er danach seine Hände
abgeputzt und die Kamera an den Nagel gehängt. Hat er aber nicht, stattdessen
veröffentlichte er ein Jahr später einen verhältnismäßig kleinen Film. Zwei
Stunden Laufzeit, eine absolut begrenzte Zahl von Figuren und Handlungsorten.
Was er aber mit diesen Komponenten anstellt, was er aus den limitierten
Möglichkeiten alles rausholt, das sprengt jeglichen Rahmen.
Für die Ehre, oder zumindest einfach so zum Spaß
Das Harakiri, oder auch Seppuku genannt, war eine Art der Selbsttötung, mit
denen herrenlose Samurai, die sogenannten Ronin, sich selbst auf ehrenhafte
Weise in die nächste Welt befördern konnten. Was sie dazu machen mussten, ist
sich ein Schwert in den Bauch zu stechen und rumzurütteln, bis alles rausfiel,
was rausfallen konnte. Danach wurde ihnen von einem Sekundanten der Kopf
abgeschlagen. Alles höchst ehrenwert. Kobayashi nutzt dieses Zeitalter des 17.
Jahrhunderts, rüttelt gehörig an den Fundamenten der Zeit und ihren
(Moral-)Vorstellungen und stößt dem Samurai-Genre kräftig vor den Latz. Besonders
deutlich in diesem Film, der lediglich zwei Kampfszenen beinhaltet und
ansonsten aus Dia- und Monologen besteht, ist wie sehr es Kobayashi am Herzen
liegt, den romantisierten Mythos des Samurai freizulegen, und ihn in seiner
realen rauen Wahrheit zu zeigen. Sich selbst den Bauch aufzuschneiden, um
ehrenhaft zu sterben ist Schwachsinn. Kobayashi weiß das und nimmt sich dem
Beispiel des Harakiri an, um eben dies deutlich zu machen. Der Begriff der Ehre
dient bei den Meistern als Vorwand, um sich die Untertanen gefügig zu machen.
Das wird solange zelebriert, bis die Untertanen selbst glauben, was ihnen von
oben eingetrichtert wird. Die Macht der Ehre geht dabei so weit, dass die
Samurai Liebe, Familie und Gesundheit an zweite, dritte und vierte Stelle packen,
und so unwissend ins verblendete Elend laufen.
"Jemand Lust Flaschendrehen zu spielen?"
Und diese unwissende Zerstörung des eigenen Lebens wird nicht nur von ihren
Herren in Kauf genommen, sondern wissentlich so inszeniert. Sie predigen
Begriffe der Ehre und erheben diese Eigenschaft zur Tugend aller Tugenden.
Selbst daran glauben, was sie da erzählen tun sie jedoch nicht. Sie handeln,
wie es ihnen grad in die Karten spielt. Von Anfang an. Es hat etwas
Tyrannisches bloß um die Komponente der Gehirnwäsche erweitert, sodass der
Tyrann gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Hanshuro schließlich ist es,
der die Definitionen der Ehre und Wortvorstellungen der Herren anzweifelt und
offen kritisiert. Wo bleibt seine Ehre, wenn er materiellen Besitz über das
Leben seiner Familienmitglieder setzt? Wo bleibt seine Ehre, wenn er im Eifer
nach jener vergisst, was zu Lieben bedeutet? Erst werden diese Fragen und
Anmerkungen von den Meistern als Schwachsinn abgetan. Bis eine Grenze
überschritten wird und abgeschnittene Zöpfe ins Spiel gebracht werden. Winzig,
absurd und unbedeutend liegen sie auf dem Kies. Desto wahnsinniger erscheint
das, was sie bedeuten. Ein abgeschnittener Zopf eines Samurai ist die größte
Schande, die ihn ereilen kann. Nicht einmal ein Freitod durch Harakiri würde
ihn davon befreien. Kobayashi muss gar keine inszenatorischen Kunststücke
aufführen, damit dem Zuschauer klar wird, wie kaputt und scheinheilig dieses
System ist.
"Gibt's die auch in Größe 34?"
Wie erwähnt bestehen die zwei Filmstunden zur überwältigenden Mehrheit aus Dialogen.
Von Langeweile ist dieser Film dennoch so weit entfernt, dass man stattdessen
aus der Begeisterung nicht heraus kommt. Quentin Tarantino sagt zwar viel, wenn
der Tag lang ist, aber er sagt auch viel Schlaues. Zum Beispiel, dass eine
Geschichte nicht chronologisch erzählt werden muss, um zu fesseln. Es kommt
ganz und gar darauf an, wie sie sich entfaltet. Deshalb macht es nicht nur
Sinn, es fühlt sich auch verdammt gut an, wenn Vincent und Jules am Ende von
„Pulp Fiction“ aus dem Diner gehen. Es fühlt sich komplett an. Auch „Harakiri“
erzählt in mehreren Zeitebenen und springt mittels Erzählungen von der
Gegenwart in die ferne Vergangenheit, ein paar Tage weiter noch vorne, wieder
zurück in die Gegenwart, … Und das alles ist derart elegant und mit Bravour
gelöst, dass man, sollte man sich die Zeit nehmen, mit diesem Film eine der
dichtesten und spannendsten 130 Minuten vor sich, die bis jetzt auf Film
gebannt wurden. „Harakiri“ ist ein dramaturgisches Meisterwerk. Aber nicht nur
das, das Drehbuch, das Zeitgefühl, die Dialoge und die Bildregie, alles,
wirklich alles ist derart großartig geplant und ausgeführt, dass man wünschte,
man könne eben ein paar neue Superlative erfinden.
Martin Scorsese war es, der, nachdem er Eastwoods Western „Erbarmungslos“
gesehen hat, sagte, es sei alles zum Western-Genre gesagt worden, was es zu
sagen gibt. Gleiches könnte man über das Samurai-Genre sagen, nachdem die
Sichtung von „Harakiri“ erfolgte. Kobayashi nimmt die Zügel in die Hand und
bedient sich einiger Komponenten, wandelt sie jedoch ab ebenso geschickt wie
gekonnt ab und schafft etwas Großartiges. Etwas, das selten geschieht und
diesen Film in die Liga der ganz Großen katapultiert. Wenn filmische Akribie
und Perfektion, ein beeindruckend konsequenter Hintergrund und die
tiefgreifende Doppelbödigkeit ineinandergreifen wie perfekt laufende Zahnräder,
dann wird das Sehen eines Films zu einem Erlebnis. „Harakiri“ ist definitiv
eines und zeugt von den grandiosen Fähigkeiten eines Regisseurs, der selbst zu
dem Zeitpunkt der Entstehung schon niemandem mehr irgendwas beweisen musste.
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