Review: DER EISKALTE ENGEL - Wie ein Tiger im Dschungel




Fakten:
Der eiskalte Engel (Le samouraï)
FR, IT, 1967. Regie: Jean-Pierre Melville. Buch: Jean-Pierre Melville, Georges Pellegrin, Joan McLeod (Vorlage). Mit: Alain Delon, Nathalie Delon, François Périer, Caty Rosier, Jacques Leroy, Michel Boisrond, Robert Favart, Jean-Pierre Posier u.a. Länge: 101 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray (Import) erhältlich.


Story:
Profikiller Jeff Costello wird bei seinem letzten Auftrag, der Ermordung eines Barbesitzers, von mehreren Zeugen bei der Flucht gesehen. Bei einer groß angelegten Gegenüberstellung sind sie sich jedoch uneinig und dank eines perfekten Alibis durch seine Geliebte muss die Polizei ihn wieder auf freien Fuß setzen. Trotzdem heftet sich die Polizei an seine Fersen. Damit nicht genug, denn auch seine Auftraggeber wollen kein Risiko eingehen und Costello beseitigen. Er kann zunächst seine Verfolger abschütteln und wählt den Weg der direkten Konfrontation.



Meinung:
-„Wer sind Sie?“
-„Das ist völlig uninteressant.“
-„Was wollen Sie?“
-„Sie umbringen!“

Selbst aus so einem großen Gesamtlebenswerk wie dem von Meisterregisseur Jean-Pierre Melville („Vier im roten Kreis“) gibt es mitunter eine Arbeit, die besonders herausragt. In seinem Fall (darüber lässt sich aufgrund seiner Vielzahl an grandiosen Filmen natürlich immer streiten) dürfte es die stilbildende Gangster-Tragödie „Der eiskalte Engel“ („Le samouraï“) sein. Wenn die Namen von Melville wie Hauptdarsteller Alain Delon (die hier zum ersten Mal zusammenarbeiteten) fallen, wird dieser Film wohl auf ewig in einem Atemzug genannt. Zurecht, obgleich das Werk seinerzeit nicht flächendeckend lobend aufgenommen wurde, sich erst im Nachhinein seinen Status als Meisterwerk erarbeitete und rein oberflächlich relativ wenig erzählt, dabei nicht einmal irgendetwas Neues, Innovatives, selbst 1967 nicht.


Stets mit und auf der Hut: Jeff Costello.
Die Geschichte eines einsamen Hitmans, der bei der Ausführung seiner „Pflicht“ in den Fokus der Ermittler rückt und dadurch zur Zielscheibe für seine Auftraggeber wird, wurde seit dem Aufkommen des Film noir in den 40er Jahren etliche Male in der ein oder anderen Variation aufgeführt. Was Melvilles Beitrag entscheidend abhebt ist neben seiner formellen Klasse (wobei diese anderen Werken natürlich nicht abgesprochen werden soll) ein ausgeprägter Hang zum nahezu perfekten Minimalismus. Kein unnötiges Wort wird verloren, keine Szene über Gebühr gestreckt, nichts muss zwingend erklärt werden. Die Regie Melvilles funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk, ein Zahnrad greift ohne Reibungsverlust in das nächste, das nuancierte Spiel seines unnahbar-kühlen Hauptdarstellers steuert sein Übriges dazu bei. Dies in Kombination lässt „Der eiskalte Engel“ wie eine gut geölte Maschine ihren Dienst verrichten, deren Funktionalität nicht durch fehlende Sideplots oder ausführliche Charakterisierungen eingeschränkt wird. Gerade Letzteres erfolgt fast nebenbei, zumindest gemünzt auf den Protagonisten. Durch das Beobachten seines Handelns, seiner Vorgehensweise, seiner Körpersprache (wie prägnant kann man eigentlich einen Hut aufsetzen?) und den wenigen Gefühlsregungen, die während der Handlung nicht aus ihm herausbrechen, sondern als kurzer, leiser Moment durch seine fast autistisch wirkende Schale hindurch schimmern. Während z.B. in dem grob vergleichbaren „Explosion des Schweigens“ („Blast of Silence“, 1961) von Allen Baron das Wesen des Killers durch innere Monologe oder Verweise auf seine Vergangenheit mit Hintergründen gefüttert wurde, lässt uns Jeff Costello nicht mal auf diese geheime, nur an den Zuschauer gerichtete Weise an seinem Ich teilhaben. Trotzdem erfahren wir über ihn alles, was wir wissen müssen; was seine eigentlich tief-tragische Existenz und seine letztlich gewählte Konsequenz für uns verständlich macht. Leise, fast wortlos, dennoch direkt und unmissverständlich; so wie er selbst.


Wer hat hier wohl mehr Angst? Gute Frage...
Es ist beinah schon befremdlich, wie sehr einem dieser eigentlich verabscheuungswürdige Mensch, diese augenscheinlich skrupellose, gefühlskalte Tötungsmaschine mit der Zeit fast ans Herz wächst, man ihm die Erlösung gönnt, wie immer sie letztendlich auch aussehen mag. Abseits von Ganoven-Schickeria und dem angeblich glamourösen Dasein in der Unterwelt haust er in einem heruntergekommenen, tristen Loch von einem Appartement, irgendwo im anonymen Großstadtdschungel von Paris. Sein einziger Begleiter ist ein Dompfaff, der durch sein Zwitschern einen Hauch von Leben, winziger Farbtupfer in die erdrückenden vier Wände bringt. Wie mit Scheuklappen jedwede Ablenkung ausgeblendet hat er nur die Durchführung seines nächsten Auftrags vor Augen, bei dem er nichts dem Zufall überlässt, soweit es ihm möglich ist. In den ersten Minuten von „Der eiskalte Engel“ wird praktisch kein Wort gesprochen, der Film nur durch seine Bilder und das Spiel von Alain Delon erzählt, was die Fokussierung unweigerlich auf Wesentliche richtet. Ihn, diesen einsamen, irgendwo verloren scheinenden Krieger und seine unerschütterliche Professionalität. Selbst wenn das letzte Restrisiko sich nicht gänzlich vermeiden lässt, er ist auf alles vorbereitet und weicht auch dann nicht von seinem Pfad ab, wenn der Fall X eintritt.


Nur die Welt um ihn herum bekommt kalte Füße, verliert die Nerven und so muss er sich anpassen. Die Flucht nach vorne antreten, denn das Zurück liegt nicht in seiner Natur. Er ist ein Beute- kein Fluchttier. Das weiß er selbst nur zu gut. Aber was macht ein Beutetier, wenn sich das Netz der Jäger immer dichter um ihn zieht, der Frontalangriff keine Option mehr ist? Kurz scheint selbst er unsicher, immer noch vergraben unter dieser Schutzschicht. Was vorher in aller Seelenruhe wie am Fließband ablief, bekommt hektische Züge, in die Enge getrieben zeigt der Samurai plötzlich für einen Bruchteil von Sekunden doch so was wie Angst, Panik, Zweifel. Nun kann er eigentlich nur noch den Schwanz einziehen, untertauchen und versuchen, seinem Schicksal zu entfliehen. Doch ein Mann wie er erkennt, wann seine Zeit gekommen ist. Er folgt seine Bestimmung, er hadert nicht mit ihr. Kompromisslos bis zum Ende. Kompromisslos wie der ganze Film, mit dem Jean-Pierre Melville eindrucksvoll unter Beweis stellt, wie man Effizienz definiert. „Der eiskalte Engel“ braucht keinerlei ausschmückenden Firlefanz, ergänzt seine geradlinige, grob betrachtet eher schlichte Geschichte dennoch durch eine psychologische Komponente, ohne diese als blinkendes Ausstellungsstück in den Vordergrund zu rücken. Wenn etwas gesagt wird, wird alles gesagt, jeder Blick, jede Geste macht weitere Worte überflüssig. Gar nicht aufzuzählen, wie viele (ebenfalls als Klassiker und Meisterwerke gehandelten) Filme nach „Der eiskalte Engel“ sich unbestreitbar auf ihn beziehen und zitieren. In seiner Art, in seiner angepeilten Intention nah am perfekten Film, wenn es so was geben sollte.

„Es gibt keine größere Einsamkeit als die eines Samurai, außer vielleicht die eines Tigers im Dschungel.“

10 von 10 einsamen Vögeln im Käfig

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