Review: YI YI - Die Geschichte der Menschen ist eine monotone



Fakten:
Yi Yi (A One and a Two)
TW/ JP. 2000. Buch und Regie: Edward Yang. Mit: Nien-Jen Wu, Elaine Jin, Issey Ogata, Kelly Lee, Jonathan Chang, Hsi-Sheng Chen, Su-Yon Ko u.a. Länge: 173 Minuten. FSK: freigegeben ab 6 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Nachdem die Großmutter in ein Koma fällt, wird den Familienmitgliedern bewusst, wie einsam, kurz und hektisch das Leben sein kann. Jeder versucht auf seine Weise, damit umzugehen und vernachlässigt dabei andere Verantwortungen. Der Rest ist Orientierungslosigkeit.





Meinung:
Edward Yang erhielt für seine Arbeit an „Yi Yi“ den Regiepreis von Cannes im Jahre 2000. Zwei Jahre später wurde dieser Film von dem britischen Film-Magazin Sight and Sound in die Liste der zehn größten Filme der letzten 25 Jahren aufgenommen und genießt dort Gesellschaft wie „Apocalypse Now“, „Blue Velvet“ und „Blade Runner“. Weiß man das, bevor man den Film sichtet, sind das gehörige Vorschusslorbeeren, die der Film erst einmal rechtfertigen muss. In diesem Fall nimmt sich das Werk dazu knapp drei Stunden Zeit - drei sehr ruhige Stunden voll Krisen, Schwierigkeiten und immer wieder diesen interessanten „Stimmt eigentlich“-Erhellungsmomenten.



Die Charaktere, mit denen sich der Film zum Großteil beschäftigt, werden sich den Krisen und dem festgefahrenen Zustand, in welchem sie verweilen, immer stärker bewusst, als die Großmutter der Familie in ein Koma fällt. Die Mutter der Familie zieht sich zurück, der Vater zweifelt an der Arbeit, die er seit Jahren in einer Firma durchführt. Die Tochter bekommt von ihren Eltern keine Anhaltspunkte und muss sich mit Liebe, ihren Hobbys und ihrem Gewissen allein beschäftigen, ohne zu wissen, was, wie und wieso. Der kleine Sohn schließlich, er ist in etwa acht Jahre alt, versucht einfach nur herauszufinden, wie man groß wird, und ist überrascht, wenn er erfährt, dass zwischenmenschliches Interesse anscheinend keine Eigenschaft ist, auf die Wert gelegt wird. Alle beisammen und alle einzeln sind in Lebensphasen, in denen sie nicht wissen, wo sie sind, wo sie hingehören und wo es hingeht. Jeder in seiner Lebensphase und jeder auf seine eigene Art. Das Leben ist ein reines Durcheinander, undurchdringlich und ein Rätsel, dass es nicht zu lösen gilt. Vor allem Letzteres wird oft vergessen. Von Anfang an lässt Yang Charaktere an einen Handlungsort kommen, ohne dass die Figuren wissen, wieso sie da jetzt eigentlich hin wollten und was sie eigentlich noch mal im Sinn hatten.


Das ist eine der beiden großen Stärken dieses Films: wir schauen hier keinen Helden zu, keinen Underdogs, keinen stigmatisierten Schablonen sondern wirklichen und wahrhaftigen Menschen. Aufgezwungen wird dem Zuschauer hier nichts und niemand. Man kann und soll sich sich eine eigene Beziehung zu den Figuren aufbauen - oder eben nicht. Anfangs beobachten wir die Charaktere oft von außen durch ein Glas (Auto, Café,…), was den Eindruck erweckt, dass hier nichts geplant oder gar gespielt wird, sondern man lediglich das Leben beobachtet. Die Glasscheibe als Trennwand wird von Yang auch großartig genutzt, wenn sich große Straßen mit hektischem Verkehr in den Gläsern spiegeln. Der Film mag ruhig sein, die Charaktere aber sind es nicht. Weder innerlich noch äußerlich. Sie stehen nämlich unter Strom, unter Druck und zerfressen sich von Innen. Der Film verdeutlicht anfangs, dass man das Selbstverständliche nicht zu schätzen weiß, bis es genommen wird. Die Aussage an sich ist nichts Neues und auch beinahe schon als ausgelutscht zu bezeichnen, würde der Film nicht deutlich machen, dass dieses Prinzip genau so zum Scheitern verurteilt ist, wie der Mensch und seine Versuche, eben jenes zu verändern.


 
Ein bisschen Ruhe, ein bisschen Menschlichkeit
Die zweite große Stärke des Films, neben den echten, ehrlichen und wahren Charakteren ist die unfassbar besonnene Ruhe, mit der Yang hier zu Werke geht und ernste und große Themen anspricht. Nichts wird stilisiert (alles in allem mutet der Film beinahe schon dokumentarisch an) oder überdramatisiert, sodass die Laufzeit von drei Stunden relativ locker über die Bühne geht. Und das, ohne dass sich der Film zu sehr anstrengen muss, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Vielleicht ist es das, was der Zuschauer endlich mal gebraucht hat. Einen derart nüchternen Umgang mit der Winzigkeit des Menschen. Liebevoll geht der Film mit dem Leben um, zeigt aber auch ebenso liebevoll und lächelnd-schulterzuckend, dass das Leben im Großen und Ganzen unbedeutend ist. Fast schon schelmisch ist es, wie die Geschichte mit dem kleinen Sohn umgeht. Er ist es, der die logischsten und bei näherem Hinsehen auch ehrlichsten und menschlichsten Fragen stellt. Wenn ich Menschen ignoriere, wieso nehme ich mir das Recht, über sie zu urteilen? Wie soll ich Menschen kennenlernen, wenn ich sie nicht angucken und ansprechen darf? Er ist die Hauptperson in diesem Werk und das, obwohl er relativ selten zu sehen ist und von niemandem akzeptiert, dafür aber von allen gescholten wird. Konsequenterweise ist es der Junge, der die letzten Worte des Filmes spricht - und zu Tränen rühren mag.


Bitte recht freundlich
Hat der Mensch verlernt, Mensch zu sein? Die Figuren sind stets unterwegs, sie halten nicht an (wieder einmal kommen die Spiegelungen der Verkehrsadern ins Spiel), sie besinnen sich nicht auf sich selbst und nehmen sich keine Zeit zum Denken oder Lernen. Zu sehr sind sie beschäftigt mit Fusionen und Aktien von Firmen, die nie im Leben einen wirklichen Effekt auf die wahren Probleme der Charaktere haben. Die sagenhafte Visualisierung und das astreine inszenatorische Timing von Edward Yang führt dazu, dass so manche Szene zu einer Offenbarung wird. Wenn das verzweifelte Kreischen eine Teenagers abgebrochen wird, und der Ort des Geschehens zu einem kreischenden Baby in einem Krankenhaus wechselt. Oder wenn ein Mädchen aufsteht und ihre Silhouette die Leinwand halb verdeckt, auf der eine Dokumentation über die Natur gezeigt wird und davon spricht, wie zwei entgegenwirkende Kräfte funktionieren. Es sind solche Szenen, bei denen man nickt und zugeben muss, dieser Film hat all die Preise und all das Lob verdient, das er bekommen hat. „Yi Yi“ was sinngemäß „einer nach dem anderen“ bedeutet, zeigt wie Menschen an dem Druck scheitern, den sie sich selbst aufhalsen und nicht einmal wissen, wieso überhaupt.


„Yi Yi“ ist ein faszinierender Film, ein schöner, trauriger, bedrückender Film. Ein ruhiges, beruhigtes und beruhigendes Werk, das das Leben zeigt, wie es ist und dem Zuschauer noch so einiges beizubringen vermag. Man kann es dem Film nicht verweigern, das Lob. Zu flüssig sind diese drei Stunden Laufzeit trotz dem Fehlen jeglicher technischer Spielereien. Zu präzise und einfühlsam-passiv zeigt Yang, wie sich die Charaktere stückweise entschälen und sich selbst und dem Zuschauer offenbaren. Zu menschlich und wahrhaftig ist dieser Film in seiner Gestalt und in dem, was er erreicht. Yang mag keine allgemeingültigen Antworten finden. Aber er stellt Fragen auf so eindringliche und ehrliche Art und Weise, dass man sich nicht vor ihnen verschließen kann und nicht umhin kommt, auf sie weiter einzugehen.


8 von 10 Fotos von Hinterköpfen


von Smooli

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen