Review: PRISONERS - Der Zuschauer wird selbst zum Gefangenen



Fakten:
Prisoners
USA. 2013. Regie: Denis Villeneuve. Buch: Aaron Guzikowski. Mit: Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Terrence Howard, Viola Davis, Maria Bello, Melissa Leo, Paul Dano, Dylan Minnette u.a. Länge: 153 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren freigegeben. Ab 13. Februar 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
In einer Kleinstadt werden die Tochter des Schreiners Keller Dover und deren beste Freundin entführt. Detective Loki soll die beiden Kinder wiederfinden. Doch Dover und Loki geraten schon bald aneinander, denn dem Familienvater gehen die Ermittlungen des jungen Polizisten nicht schnell genug geht. Als der Hauptverdächtige, der geistig zurückgebliebene Alex Jones, von der Polizei wieder freigelassen wird, nimmt Dover das Gesetz in die eigene Hand. Weiterhin überzeugt von der Schuld des jungen Mannes entführt er Alex und will das Versteck der Kinder aus ihm herausfoltern.




Meinung:
Besonders groß ist der Frankokanadier Denis Villeneuve noch nicht in Erscheinung getreten. Zwar hat er mit „Die Frau die singt – Incendies“, der für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert wurde, bereits auf sich aufmerksam gemacht, doch darüber hinaus dürfte er nur echten Filmexperten ein Begriff gewesen sein. Dies dürfte sich in Zukunft ändern, denn mit seinem US-Debüt „Prisoners“ ist dem Regisseur ein echter Lichtblick im Thrillergenre gelungen. Bei einem Budget von 46 Millionen Dollar hat er einen düsteren, extrem spannenden Film geschaffen, der mit Starbesetzung und angespannter Atmosphäre gleichermaßen punkten kann.


Keller Dover glaubt nicht, dass Alex unschuldig ist.
Der Titel des Films spricht für sich, denn eigentlich alle Figuren sind in irgendeiner Form gefangen. Manche ganz wörtlich, wie die beiden entführten Kinder oder Alex, der von Keller ebenfalls eingesperrt und brutal gefoltert wird. Aber auch Keller selbst ist gefangen in seinen Vorstellungen, dass er Recht hat und das Richtige tut. Seine Ehefrau ist in der Hand von Tabletten, die Eltern des anderen Kindes in der Frage zwischen Richtig und Falsch. Ja, selbst Detective Loki ist durch die Vorschriften und die Bürokratie zumindest eingeengt und kann dadurch seinem Job nicht so nachgehen, wie er es vielleicht gerne möchte. Und sie alle sind gefangen darin, dass sie zu keinem Zeitpunkt aufgeben wollen, die beiden Mädchen wieder zu finden. Vielleicht, und das ist der einzige kleine Schwachpunkt des Films, sind die Figuren etwas zu klischeehaft angelegt, aber fällt das kaum ins Gewicht, da der Film dies an anderer Stelle doppelt und dreifach wieder ausgleichen kann.


Gemeint ist die unheimlich packende Atmosphäre des Films. Es ist nahezu unmöglich, nicht wie gebannt im Sessel zu sitzen, um der spannenden Story zu folgen. Immer wieder kommen schockierende Momente, die einen den Atem stocken lassen, vor allem aber fiebert man mit den Protagonisten mit, ob und wenn ja wie sie die Vermissten Kinder wiederfinden werden. Und dann gibt es auch die Szenen, in denen man seine Fingernägel in die Armlehne krallen will – wenn man denn noch welche hätte, denn die dürften schon nach kurzer Zeit abgeknabbert sein. „Prisoners“ stellt abr auch die interessante Frage, wie weit man in einer solchen Situation, in der sich Keller befindet, gehen darf, um seine Kinder wieder zurück zu bekommen. Ist Selbstjustiz okay? Wenn ja, mit welchen Mitteln und mit welchen Folgen? Angenehmerweise liefert Villeneuve aber nicht auch gleich die Antworten dazu, sondern lässt den Zuschauer sich selbst ein Bild machen, selbst Stellung beziehen. Moral und Ethik gehen Hand in Hand mit faszinierend-grausamen Bildern und einer spannenden Entführungsgeschichte, die Villeneuve mit den Motiven eines Serienkillerfilms vermischt, dabei aber weniger auf die Arbeit des Verbrechers eingeht, sondern Polizei und Angehörige auf der Suche nach den Vermissten zeigt. Er gibt den Zuschauern viel Freiraum, selbst mitzurätseln und immer wieder neue Theorien aufzustellen. Dennoch dürfte die Auflösung in der Form wohl kaum zu erkennen sein und die meisten Zuschauer überraschen.



Die zwei sind sich bei der Vorgehensweise nicht einig.
Optisch erinnert der Film immer wieder an große Thriller der Vergangenheit. Vieles spielt sich in großer Dunkelheit ab, ist düster und schmutzig, wie es in David Finchers Filmen „Sieben“ oder „Zodiac“ oft der Fall ist. Aber dazu kommen auch immer wieder fast neonartige, gleißend blaue und gelbe Lichter, die dann eher an die 80er-Jahre-Optik eines Michael Manns erinnern. Eine Teilschuld am hervorragenden Aussehen des Films trägt Kameramann Roger Deakins, der besonders für seine Zusammenarbeit mit den Coen-Brüdern bekannt ist und für seine Leistung im neuesten James Bond Abenteuer „Skyfall“ bereits zum zehnten Mal für einen Oscar nominiert wurde, ihn aber noch nie gewinnen konnte. Seine Bilder fangen die rohen Augenblicke von Gewalt genauso ein wie die großen Gefühle oder die nervenzerfetzende Spannung. Manchmal sieht man dabei nur schemenhafte Figuren ohne klare Kontur, ein anderes Mal nur vereinzelte helle Flecken in sonst tiefer Schwärze.

Detective Loki bei den Eltern des verschwundenen Kindes.
Ein weiterer der vielen Höhepunkte des Films sind aber die darstellerischen Leistungen. Hugh Jackman beweist einmal mehr, dass er tatsächlich ein herausragender Schauspieler ist und stapft relativ ungestüm durch den Film. Ja, sein Gang ist fast noch beeindruckender als seine blutunterlaufenen Augen, die die Trauer, Müdigkeit, Verzweiflung und Wut stark symbolisieren. Jake Gyllenhaal, der mit vielleicht etwas merkwürdiger Frisur zu Beginn noch den Scheißegal-Cop gibt, wird im Lauf des Films immer stärker, reißt ihn mehr und mehr an sich und spielt, eigentlich kaum vorstellbar, den hervorragenden Jackman an die Wand. Es ist schwierig, aus der illustren Runde der Nebendarsteller einer Leistung besonders herauszuheben, eindrucksvoll und vor allem zur Atmosphäre des Films passend sind sie nämlich ohne Ausnahme. Denn sie alle, neben den beiden Hauptdarstellern sind dies Viola Davis, Terrence Howard, Maria Bello, Paul Dano und Melissa Leo, bekommen nämlich die Möglichkeit, ihre Stärken auszuspielen. Jeder erhält genügend Raum, um seine Rolle weiter auszuschmücken und zu beweisen, welch gute Schauspieler hier versammelt sind.


Mit „Prisoners“ ist Denis Villeneuve bei seinem US-Debüt ein unheimlich packender Thriller gelungen, der in Tradition von Finchers „Sieben“ oder auch einem Michael Mann steht. Schauspielerisch exzellent, besonders Jake Gyllenhaal als tätowierter und bis nach oben hin zugeknöpfter Cop ist hier hervorzuheben, kann der Thriller aber vor allem durch seine spannende Geschichte punkten, die den Zuschauer zu keiner Zeit zu Ruhe kommen und die 153 Minuten wie im Flug vergehen lässt. Themen wie Moral und Religion bringen immer wieder neue Aspekte hinein und machen den Film abwechslungsreich. „Prisoners“ schafft es, dem zum Großteil etwas angestaubten Thrillergenre wieder zu neuem Glanz zu verhelfen, wobei dieser Glanz erfreulicherweise düster und schmutzig ist.
„Prisoners“ macht auch die Zuschauer zu Gefangenen, denn er lässt sie zweieinhalb Stunden wie gefesselt auf die Leinwand starren und gibt ihnen keine Chance zu entkommen. Ganz klar eines der Highlights des Kinojahres 2013.


9,5 von 10 verschlossene Plastiktruhen



von Kobbi







Meinung:
"Prisoners" gilt bei vielen Leuten jetzt schon als der Film des Jahres und bezieht im Schnitt unglaublich gute Kritiken. Das der Film vom Ansatz und Vorhaben sicherlich keine Hollywood-Stangenware ist, vollste Zustimmung. Nur ob das alles so geglückt ist, nun ja, Ansichtssache. Als missglückt kann das Werk von Denis Villeneuve auch nur schwer bezeichnet werden, dafür wurde dann doch zu viel gut und auch richtig gemacht. Dieses bezieht sich in erster Linie jedoch auf rein handwerkliche Aspekte sowie das vorhandene Potenzial. Davon ist reichlich vorhanden, scheint sich zunächst zu entfalten, fällt dann leider im weiteren Verlauf in sich zusammen und lässt am Ende mit einem etwas merkwürdigen, fast schon verärgerten Empfinden zurück. Was hätte das werden können, was ist es schlussendlich? Diese Diskrepanz schlägt leicht bitter auf den Magen.



Nicht nur ein Fenster trennt Keller und Det. Loki
Schon bevor die heile Familienwelt grausam zerbricht lässt Villeneuve eher Tristes sprechen, die das drohende Unheil praktisch schon ankündigt. Obwohl zunächst ein normaler, recht unbeschwerter Vorortalltag gezeigt wird, bereiten seine leicht trostlosen, grauen Bilder den Zuschauer auf die Stimmung der folgenden 2 1/2 Stunden vor. Lange dauert der Vorlauf nicht, bald schon werden die Familien Dover und Birch in einen Alptraum gestürzt, der so tragisch und erschreckend real ist in unserer Zeit: Ihre kleinen Töchter verschwinden spurlos, ein Verbrechen wird vermutet, es gibt sogar einen Verdächtigen. Als dieser schnell gefasst wird gibt es jedoch keine Erlösung, im Gegenteil: Keine Beweise für seine Schuld, keine Hinweise auf Zustand und Verbleib der Kinder, der Justiz sind die Hände gebunden. Was nun folgt ist grausam nachvollziehbar und scheint auch zunächst Kernthema des Films zu werden. Ein machtloser Ermittler, verzweifelte Eltern und deren Streben nach der Wahrheit, Erlösung, Vergeltung. Ein Drama um Elend, Hilflosigkeit, Wut, Rache und Selbstjustiz. Menschlich, nachvollziehbar, am Ende der Moral und des sozialen Wertesystems. Wenn das jetzt alles wäre, womöglich ein sehr starker Film. Vor allem, wenn es letztendlich fokussierter, besser und tatsächlich tiefergehender fortgeführt werden würde. Denn irgendwann verlässt "Prisoners" diesen Weg. Nicht abrupt und wahrscheinlich nicht mal absichtlich. Doch es passiert, leicht schleichend, bis am Ende einige der ersten Punkte kaum noch eine größere Rolle spielen, die moralischen Fragen eine nicht vergessene, aber eher lapidare Randnotiz und der nun vorangetriebene Thriller-Plot über reichlich Klischees, fragwürdige Logik und eine überzogene Konstruktion auffällt. Da geht wahnsinnig viel verloren, was eigentlich schon gesichert schien.



Verliert Kellers Frau auch ihren Mann?
Die zunächst im Mittelpunkt stehende Frage nach "gerechtfertigter" Gewalt, dem "Wie-weit-darf-man-gehen" bzw. "Wann-werde-ich-selbst-zum-Monster", wird durchaus packend und vernichtend schonungslos dargestellt, was nicht zuletzt an den guten Darstellern liegt. Hugh Jackman agiert als von blinder Wut und verzweifelter Ratlosigkeit getriebenen Vater beeindruckend stark, selten war er besser zu sehen. Ebenso glaubwürdig und intensiv: Terrence Howard, Maria Bello und Viola Davis in den übrigen Elternrollen. An den Darstellern liegt es definitiv nicht. Das Skript entfernt sich nur bald zu sehr von diesen seelischen Abgründen, gegen Ende stehen sie eigentlich kaum noch zur Debatte. Dumm gelaufen, aber eigentlich ja halb so wild, jetzt haben wir ganz andere Probleme. Das ist jetzt etwas überspitzt, nur das hätte dem Streifen nicht passieren sollen, da er so hintenheraus nicht mehr die Wirkung erzeugt, auf die er eigentlich zusteuerte. Eine kleine Banalisierung der Ereignisse. Stattdessen entwickelt sich eine zwar halbwegs spannende Suche nach den Kids, dessen Auflösung - inklusive vollkommen unglaubwürdiger Täterentlarvung, bei der natürliche dessen übliche, selbstständige (und leicht lächerlich aufgezogene) Motiverläuterung nicht fehlen darf - eher an einen B-Film aus der Thrillerecke der Videothek erinnert. Klar, so was kann man sich dort auch gut und gerne ansehen, nur in diesem Film, mit diesem selbstauferlegten Ansprüchen, kommt das sehr merkwürdig und extrem unpassend rüber.



Insgesamt wirkt "Prisoners" dezent überfrachtet, zu viel gewollt und dafür zu schwächelnd auf den Punkt gebracht. Sieht top aus, ist hervorragend gespielt (Jake Gyllenhaal sei an der Stelle auch noch erwähnt, auch wenn er schon stärker war), ist durchaus anschaubar, nur lange nicht so gut, wie er wohl geplant und konzipiert war. Enttäuschend und trotzdem kein schlechter Film, Zeitverschwendung sieht anders aus. Der beste Film des Jahres aber sicher auch.


6 von 10 verlorenen Kindern


von JackoXL

 

2 Kommentare:

  1. Den Film muss ich unbedingt sehen, da liest man ja nur gutes drüber. Der Trailer hat mir auch schon wirklich gut gefallen.

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    1. Ja, den Film solltest du dir wirklich ansehen. Ich bin ja schwer begeistert, so viel Spannung und Mitfiebern hab ich schon lange nicht mehr gehabt. Viel Spaß im Kino :)

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