Fakten:
Armee im Schatten (L’armée des
ombres)
FR, IT, 1969. Regie: Jean-Pierre
Melville. Buch: Jean-Pierre Melville, Joseph Kessel (Vorlage). Mit: Lino
Ventura, Paul Meurisse, Jean-Pierre Cassel, Simone Signoret, Claude Mann, Paul
Crauchet, Christian Barbier, Serge Reggiani, André Dewavrin u.a. Länge: 145
Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
1942 wird der Résistance-Kämpfer Philippe
Gerbier von den deutschen Besatzern inhaftiert, doch ihm gelingt die Flucht. Als
sein Verbündeter Felix einige Zeit später in die Hände der Nazis fällt, setzen er
und sein Kameraden alle Hebel in Bewegung, um ihn vor der Folter-Haft der
Gestapo zu befreien. Dabei geraten sie selbst in größte Gefahr und in das
Visier des übermächtigen Gegners.
Meinung:
Wie kaum ein Zweiter beherrschte
Jean-Pierre Melville den Drahtseilakt zwischen Arthaus- und Genrekino. Seine
Filme wandeln unnachahmlich auf dem schmalen Grat von hohem Anspruch und
erstklassiger Spannung, womit er mehrfach beweisen konnte, dass sich diese Eigenschaften
nicht zwangsläufig im Wege stehen müssen. So auch bei „Armee im Schatten“, der
selbst in der qualitativ wahnsinnigen Vita von Melville noch eine
Ausnahmeerscheinung darstellt, (nicht nur) aus ganz persönlichen Gründen.
Wo gehobelt wird,... |
Melville – Jahrgang 1917 – war ein
junger Mann, als sein Heimatland von Nazi-Deutschland überfallen, besetzt und
sich über Jahre im Würgegriff des faschistischen Regimes befand. Er selbst war
nicht nur ein unmittelbar betroffener Zeitzeuge, sondern aktives Mitglied der
Résistance, die unter Einsatz ihres Lebens sich gegen den übermächtigen Feind
stemmte. Diese Erfahrungen verarbeitet er bei „Armee der Schatten“, wobei es
sich natürlich formal um eine Romanverfilmung von Joseph Kessel handelt.
Unverkennbar ist dennoch der persönliche Bezug von Melville zu der Thematik,
allein durch etliche Details und besonders den sehr authentischen, ungeschönten
wie schmerzhaften Blick in die individuellen Einzelschicksale, die dieser
Krieg im Hintergrund erfordert, die aber im Blick auf das große Ganze keine
Rücksicht erfahren können…zumindest, wenn das Wohl des Einzelnen die Sache
im Gesamten in Gefahr bringt. Dann, was die größte Stärke dieses ohnehin
bärenstarken Films ist, wird diese perverse Diskrepanz offen gelegt, die sich
allgemein wie ein roter Faden durch die Werke von Jean-Pierre Melville zieht.
Loyalität und interne Moral sind wichtig, sogar unabdingbar, doch wenn eine
Grenze überschritten wurde, ob freiwillig oder unverschuldet, greift nur eine
Konsequenz. Ein heftiger Zwiespalt, der in den von ihm geschilderten Fällen
jedoch eine absoluten Logik zu Grunde liegt, und dadurch wird erst so deutlich,
wie unglaublich präzise und klug er über menschliche Abgründe balanciert und
seine Figuren auch nicht davor schützt, den tiefen Fall zu erleben.
Den rechten Arm heben wäre einfacher, aber wer will das? |
Die Résistance kämpfte für Freiheit
und Gerechtigkeit, gegen ein sadistisches und menschenverachtendes System, muss
sich gleichzeitig dadurch schützen, im Ernstfall ähnlich skrupellos zu handeln,
wenn es die Situation erfordert. Melville thematisiert eher den internen
Konflikt und die damit verbundenen Gewissensbisse, als den aktiven Kampf gegen
den direkten Feind, davon bekommen wir genau genommen nichts zu sehen, erleben
nur die Folgen. Die Faschisten bilden im Prinzip nur den Rahmen und sind als
omnipräsente Bedrohung vorhanden, alle zwischenmenschlichen und dadurch
wichtigen Aspekte spielen sich ausschließlich innerhalb des Widerstands ab.
Dort wird schon früh klar, das Opfer unabdingbar sind, wenn man für etwas
Großes kämpft. Jedem wird eingebläut sich an die Regeln zu halten, wer dazu
nicht in der Lage ist, riskiert nicht nur sein eigenes Leben, er riskiert den
Erfolg einer Nation. Das mag sehr pathetisch, ehrenhaft klingen, genau an dem
Punkt kommt die ehrliche Inszenierung von Melville ins Spiel: Trotz seiner Vergangenheit
versucht er niemals, das Geschehen deutlich zu glorifizieren, zu rechtfertigen
oder entschuldigen. Es gibt in dem aufreibenden Kampf kaum leichte
Entscheidungen, keine Helden mit blütenreinen Westen und erst recht nicht einem
unbeschwerten Gewissen, sie schwächeln, brechen ein und bleiben Menschen, mit
allen Fehlern und Emotionen, die nicht immer falsch sind, nur manchmal nicht
der Sache entsprechend.
Was das zur Folge hat und in wie
weit man sich da noch von dem hässlichen Feind unterscheidet, es ist nur noch
an dem Ziel wirklich erkennbar, kaum von der Vorgehensweise. Bitter, aber
absolut richtig und deshalb unwahrscheinlich niederschmetternd. Melville geht
einen unbequemen Weg, der statt Schwarz und Weiß in tristem Grau gezeichnet
ist, damit allerdings genau den Kern der Sache trifft und ein unglaublich
drastisches Ende findet, das einem jede Illusion raubt. Nur die Geschichte hat
gezeigt, dass nicht alles umsonst war.
9 von 10 Rauchbomben
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