Review: CRASH - David Cronenberg bumst den Autos den Verstand aus dem Getriebe



Fakten:
Crash
Kanada, GB. 1996. Regie: David Cronenberg. Buch: David Cronenberg, J.G. Ballard (Vorlage). Mit: James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas, Deborah Kara Unger, Rosanna Arquette, Peter MacNeill, Boyd Banks, John Stoneham Jr., Cheryl Swarts, Alice Poon u.a. Länge: 100 Minuten. FSK: freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Filmproduzent James und seine Gattin Cathrine führen eine unglückliche Ehe, in der Liebe und Zärtlichkeit nicht mehr existiert, sondern nur noch apathischer Sex. Nachdem James mit seinem Wagen frontal in einen anderen kracht entdeckt er eine neue, pervertierte Seite seiner Sexualität. Mit der Beifahrerin des anderen Unfallwagens, die mit James zusammen im Krankenhaus liegt, erforscht James seine neu entdeckten Gelüste.




Meinung:
Man muss David Cronenberg schon allein dafür lieben, dass er sich, egal in welchem Nischenzweig er sich auch befinden mag, nie mit herablassender Ägide um die fokussierten Charaktere kümmert, sondern seine offene, stets humane Gesinnung fortwährend bewahrt – zu welch anormalen Handlungen sie sich auch berufen fühlen. Genau das zeugt in diesem Fall von Intelligenz und fachbezogener Kompetenz. In seinem filmischen Extrem „Crash“ - und radikaler war Cronenberg wohl nie – zeigt sich genau das in beeindruckender Konsequenz. Dabei ist es nicht nur wichtig, dass Cronenberg auf jede Verurteilung wie Legitimation verzichtet; Cronenberg verkauft hier auch niemanden als Identifikationsfigur, er wahrt die komfortable Distanz, die es dem Zuschauer so ermöglicht, einen Zugang zum Geschehen zu finden und den Film am eigenen Leib zu erfahren. „Crash“ ist so sensitiv wie er auch kontrovers ist; so unverblümt wie polarisierend.


Das kommt davon wenn man nix von Safer Sex hält
Dreh- und Angelpunkt ist der Filmproduzent James Ballard (Nie war er besser: James Spader), dessen Ehe mit Catherine (Deborah Kara Unger) nur noch aus lustloser, mechanischer Monotonie besteht. Ihre Kommunikation ist auf dem Nullpunkt, hin und wieder gibt es standardisierten Sex, während sich die Beiden gleichzeitig in jede sich anbietende Affäre stürzen – Und daraus auch keinen Hehl machen. Doch James fehlt die exzessive Leidenschaft in seinem (Sex-)Leben, er sucht ein neues, drastisches Ufer, um seine tiefsten Gelüste auszuleben. Und um an dieses Ufer zu gelangen, braucht es erst einen schweren Autounfall, der James in den Schoss einer ausgegrenzten Gruppierung treibt, die diese Crashs als eine neue Form der absoluten Sexualität erkennen. Die totale Kollision ist gleichbedeutend mit einer orgiastischen Implosion der Triebe. Die Fingerspitzen gleiten sanft über das kalte Metall; die Druckspuren in der Karosserie, der zerstörte Motorblock, winzige Splitter und lodernde Flammen im Inneren des Vehikels sind der sexueller Zündstoff. Erst wenn das Organische mit dem Konzipierten verschmilzt, eröffnet sich der Blick in die unstillbare Sehnsucht.


David Cronenberg führt uns an einen Abgrund; einen Abgrund, dessen Leere den Zuschauer nicht verschlingt, sondern ihn vor genau diesem Zustand warnen soll – Eine von Obsessionen getriebene Welt, in der man nicht leben möchte. Wo ein Großteil der Rezipienten „Crash“ wohl als widerliches, krankhaftes Gedankenspiel eines Perversen betrachtet, erkennt der offene Konsument den interessanten Scheitelpunkt im psychopathologischen Konflikt. In „Crash“ scheint es so, als würde die Welt selbst stillstehen, als wäre die moderne Zeitrechnung in der von Tristesse und Isolation gefangenen genommenen Ära angelangt, in der die charakteristische Metamorphose und die objektivierte Demontage keinen Unterschied mehr machen: Sex zwischen Mensch und Maschine. Sex zwischen zwei Menschen. Sex zwischen zwei Maschinen. Sex, Sex, Sex, Sex, Sex und noch mehr Sex mit, jedem und allem, selbst mit vaginaförmigen Narben – Der absolute Crash, ein analoger Schmerz, der gleichzeitig Befreiung und Destruktion bedeutet. Was für ein Ausnahmewerk, so abschreckend und faszinierend wie kaum ein anderer.


9 von 10 sexualisierten Kaffeefahrten


von souli

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