Reviews:TYRANNOSAUR - Liebesfilm ohne Kuschelstimmung

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Fakten:
Tyrannosaur
Großbritannien, 2011. Regie und Buch: Paddy Considine. Mit: Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan u.a.. Länge: 93 Minuten. FSK: ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Joseph ist ein verbitterter Choleriker, dem nichts mehr geblieben ist. Er ist verwitwert, sein bester Freund liegt im Sterben, sogar seinen Hund hat er in einem Wutanfall getötet. Er ist einsam, wütend, nur der Alkohol rettet ihn durch seinen tristen Alltag in einem sozialen Brennpunkt der englischen Unterschicht. Durch einen Zufall lernt er Hannah kennen, die einen kleinen Laden betreibt. Auf den ersten Blick scheinen er und die streng gläubige Christin nichts gemeinsam zu haben. Doch auch sie frisst, wie Joseph, den Schmerz in sich hinein, den sie tagtäglich in ihrer Ehe erlebt. Ein Alltag voller Gewalt, Demütigung und Erniedrigung. Zwischen ihnen bahnt sich eine Beziehung an, doch wie viele Chancen kann diese haben?






Meinung:
Mit einem, im wahrsten Sinne, Tritt in den Magen startet "Tyrannosaur", dass Regiedebüt von Schauspieler Paddy Considine, der gleichzeitig auch das Drehbuch verfasste. Noch bevor der Zuschauer irgendwelche Informationen über die Hauptfigur Joseph besitzt, ist sofort klar, mit was für einem Menschen man es die nächsten 90 Minuten zu tun bekommt. Auch auf was man sich insgesamt einlässt, denn das ist schon ein tonnenschwerer Brocken für's Gemüt. Feel-Good-Movies sehen anders aus.


Peter Mullan strahlt von der ersten Sekunde Wut, Traurigkeit und Verbissenheit aus, man spürt und fühlt seine Figur, ohne mehr über sie zu wissen. Man hat kaum das Gefühl, Mullan spielt diese Figur, er scheint sie zu sein. So präzise schildert Considine auch das Millieu der Geschichte. Eine von Hoffnung und Perspektive befreit wirkende Zone, irgendwo in den Slums der Arbeiterklasse. Mit dem Auftritt von Olivia Colman als Hannah wird bald darauf der weibliche Gegenpart zu Joseph vorgestellt. Hinter der Fassade der herzensguten Christin kommt schnell eine weitere gebrochene Seele zum Vorschein. Während Joseph seinem Schmerz durch unkontrollierte Wutausbrüche kompensiert, igelt sich Hannah ein um das Martyrium zu ertragen, das sie nach Feierabend in den heimischen vier Wänden erwartet. Ihr Ehemann (Eddie Marsan) ist ein Sadist der keine Gelegenheit auslässt, sie auf's menschenunwürdigste zu traktieren.



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Frustabbau läuft bei Joseph nicht zimperlich ab.
Considine erspart dem Zuschauer rein gar nichts. Schonungslos führt er seine brillant aufspielendes Dreigestirn durch eine tottraurige und tief berührende Geschichte. Der deutsche Untertitel "Eine Liebesgeschichte" mag da irritierend sein, obwohl "Tyrannosaur" genau das ist. Allerdings gibt es hier keine roten Rosen, ein romantisches Tête-à-tête im Mondlicht oder den Himmel voller Geigen. All das liegt begraben unter Leid, Seelenqualen und den Geistern der Vergangenheit und Gegenwart. So was wie glückliche oder herzliche Momente erscheinen nur am Rande und sind dann kaum als solche wahrzunehmen. Gerade dieser kaum zu erkennende Balanceakt zeichnet diese rohe Filmperle aus.


Considine betreibt keinen schlichten Elendstourismus, sondern bringt dem Zuschauer seine gebrochenen Figuren unglaublich nahe und lässt schmerzlich mitfühlen. "Tyrannosaur" packt einen von Beginn an, schlägt mehrfach mit Wucht in die Magengrube und lässt einen nicht mehr vom Haken. Das Kunststück: So schockierend und grausam real das Szenario wirkt, beim Abspann hat man doch das Gefühl, dass da ein Licht am Ende des Tunnels ist. So stellt sich fast so etwas wie Versöhnlichkeit ein, ohne zu sehr von dem eingeschlagenen Pfad abzuweichen.


Ergreifend, erschütternd, wahnsinnig intensiv und dabei unter dieser rauen Schale so feinfühlig erzählt und gespielt, ein kleines, großes Meisterwerk. "Tyrannosaur" ist mit Sicherheit kein Film für jedermann, aber dann wäre er auch nicht so exzellent.
Doppeldaumen in die Luft.

9 von 10 

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