Fakten:
We Need To Talk About Kevin
GB, USA, 2011. Regie: Lynne Ramsay. Buch: Lynne Ramsay, Rory Kinnear, Lionel Shriver (Vorlage). Mit: Tilda Swinton, John C. Reilly, Ezra Miller, Jasper Newell, Ashley Gerasimovich, Siobhan Fallon, Alex Manette u.a. Länge: 112 Minuten. FSK: ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Als sich die zweifache Mutter Eva die Frage stellt, ob sie ihren Sohn Kevin vielleicht nicht genug geliebt hat, ist es schon zu spät. Zwei Tage vor
seinem sechzehnten Geburtstag verübt Kevin einen Amoklauf an seiner
Highschool. "We Need To Talk About Kevin" stellt viele
Fragen, die einer Mutter durch den Kopf gehen, wenn ihr Sohn zum Mörder
geworden ist: War Eva zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt?
Hätte sie Kevin aufhalten können? War es ihre eigene Schuld, dass ihr
Sohn ein Soziopath wurde? In einem Vorort von New York steht die einst
erfolgreiche Eva vor den Scherben ihres Lebens. Ihre Nachbarn meiden
sie, von der Liebe zu ihrem Ehemann Franklin ist nichts mehr übrig, der eigene Sohn sitzt im Gefängnis. Selbst die einst so enge Beziehung zu ihrer kleinen Tochter Celia,
die menschlich das genaue Gegenteil zu Kevin ist, leidet unter dem
Kummer und den Grübeleien von Eva. In ihrer Verzweiflung beginnt Eva,
ihrem entfremdeten Ehemann Briefe zu schreiben, die das Familienleben
aufarbeiten. Und eine Frage bleibt: Wie konnte es nur soweit kommen?
Meinung:
Die alte Frage: Was war zuerst da, dass Huhn oder das Ei? Ist das Kind
ein reines Produkt seiner Umgebung oder der schlimmste Fall eines
natürlichen Soziopathen? Hätte es unter anderen Umständen anders laufen
können? In wie weit stellt sich die Schuldfrage? Lynne Ramsay
beantwortet nichts davon und lenkt den Zuschauer auch nicht indirekt in
irgendeine Richtung. Sie lässt jede Option offen, alles scheint sinnvoll
und doch wieder nicht. Es gibt keine einfache Erklärung und damit
trifft sie den Nagel auf den Kopf.
Franklin freut sich auf Kevin...und Eva...? |
Es lässt sich einfach nicht sagen,
dies und das ist die Wurzel des Übels, hätte, wäre, wenn, reine
Spekulation. Vielleicht liegt es in der Gesamtheit der Dinge. Mag man
zunächst sicher sein, die Ursache klar im von Anfang an gestörten
Mutter-Kind-Verhältnis zu finden, in der Ablehnung, die Baby Kevin von
Geburt an entgegen schlägt, erscheint dies bald als zu einfach. Viel zu
manipulierend, durchtrieben und für sein Alter unfassbar
intelligent-bösartig agiert Kevin. "Normale" kindliche Emotionen lassen
sich nicht entdecken. Er scheint nie traurig, fröhlich oder verspielt.
An diesem Punkt wirkt "We Need to Talk About Kevin" wie ein Horrorfilm.
Das Ganze erscheint fast nicht mehr real, kippt dadurch der Film? Nein,
absolut nicht. Denn im Kern ist "We Need To Talk About Kevin" ein
Horrorfilm, ein sehr realer.
Zwischen Kind und Mutter klafft eine Lücke. |
Hier sind keine übernatürlichen Dinge am
Werk, das ist kein Genrefilm, er zeigt den blanken Horror, der so
unerklärlich scheint und dennoch vorstellbar ist. Er zeigt nicht nur
seine Entstehung, sei sie selbst geschaffen oder unvermeidlich, er zeigt
auch speziell die Folgen, nachdem das Grauen seinen Höhepunkt erreicht
hat. Eine Mutter, die sich erneut und so intensiv wie nie zuvor die
Schuldfrage stellen muss, die an etwas zerbricht, für das sie vielleicht
selbst zur Verantwortung zu ziehen ist. In den Augen der Betroffenen
ist sie es und muss damit leben.
Am Ende steht das Massaker. |
Regisseurin und Co-Autorin Lynne Ramsay hätte bei "We Need to Talk About Kevin" vieles falsch
machen können, doch der Film verliert und scheitert
nicht durch halbgare Erklärungsversuche und Waschküchenpsychologie. Er
schildert einfach nur ein erschreckendes Szenario und lässt den
Zuschauer so ratlos zurück wie seine Figuren. Manche Dinge sind einfach
zu grausam und unerklärlich, dass man zwar vermuten, aber nie wissen
kann.
Ein beklemmender, erschütternder Film, hervorragend inszeniert (auch
wenn mit einer manchmal fast aufdringlichen Symbolik) und mit einer
Tilda Swinton, die zum Niederknien spielt. Grandios!
9 von 10
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