Review: KEINOHRHASE UND ZWEIOHRKÜKEN - Es ist okay, anders zu sein.

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Fakten:
Keinohrhase und Zweiohrküken
Deutschland. 2013. Regie: Maya Gräfin Rothkirch, Til Schweiger. Buch: Til Schweiger, Klaus Baumgart, Thilo Graf Rothkirch. Stimmen: Til Schweiger, Emma Schweiger, Matthias Schweighöfer, Rick Kavanian u.a. Länge: 75 Minuten. FSK: ab 0 Jahren freigegeben. Ab 11. April 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Der Keinohrhase ist traurig. Weil er anders ist als die anderen Hasen, wollen die nichts mit ihm zu tun haben. Nicht einmal der Fuchs will ihn jagen. Darum beschließt er, sich einen Freund zu suchen. Als er kurz darauf ein Ei vor seiner Tür findet und merkt, dass ein Tier darin heranwächst, kümmert er sich darum. Und als aus dem Ei ein Küken mit zwei langen, gelben Ohren schlüpft, haben die beiden Außenseiten schnell Freundschaft geschlossen. Doch richtig glücklich ist das Zweiohrküken nicht. Ob der Keinohrhase ihm helfen kann?




Meinung:
Was ist schlimmer als Papst, FDP und Bayern München zusammen? Richtig, Til Schweiger. Klar, der Scherz ist flach und schlecht und hat damit in etwa das Niveau von Schweigers Filmen erreicht, aber wenn man sich in den Medien und im Internet so umsieht, dann könnte man meinen, dass Til Schweiger das personifizierte Böse ist und alles, was er macht, von vornherein Müll der schlimmsten Art ist. Kein (manchmal guter) Trash, sondern einfach nur Müll. Und auch zu „Keinohrhase und Zweiohrküken“ ist sich die scheinbar halbe (Film-)Welt einig: das ist schlecht, das schadet den Kindern, den Menschen, das hätte nie gemacht werden dürfen. Aber was hat Schweiger denn so schlimmes gemacht, in seinem Animationsfilm, dass ihn beinahe jeder so sehr verteufelt? Eigentlich nichts, der Ruf kommt von seinen (zurecht) stark kritisierten Feel-Good-Großstadt-Kinder-und-Frauenversteh-Filmen „Keinohrhasen“, „Kokowääh“ und wie sie alle heißen. Aber bei einem Kinderfilm? Da wirkt das schon merkwürdig, besonders, wenn er bereits kritisiert wird, wenn der Film noch gar nicht gezeigt wurde. Ausgerechnet hier wird Anstoß genommen, dabei gibt es durchaus Elemente, die wirklich kritikwürdig sind.


Der Keinohrhase will, dass sich sein Ei wohlfühlt
Til Schweiger wirkt als Sprecher absolut überfordert. Zwar nimmt er sich, wie schon im Hamburger Tatort, selbst auf die Schippe, indem er bzw. seine Tochter Emma das Nuscheln Schweigers selbst anspricht, aber es ist gar nicht das Nuscheln, das so stört. Ein Hase, so wie man ihn aus sehr vielen Kinderserien kennt, nuschelt immer ein wenig, schon wegen seiner übergroßen Vorderzähne. Aber es ist die fehlende Emotionalität beim Sprechen. Schweiger fehlt einfach das Gefühl, im richtigen Moment zu betonen. Er atmet viel aus, um so Gefühl vorzutäuschen, aber es wirkt einfach nur angestrengt. Überraschend erfrischend ist hingegen Emma Schweiger, die für ein Küken eine angenehme Stimme hat. Pech nur, dass sie viel zu oft Ausrufe wie „cool“ oder „jippie“ ausstoßen muss. Matthias Schweighöfer als trotteliger Fuchs spricht überraschend schön und Rick Kavanian als gefühlt alle anderen Rollen macht auch einen soliden Job.


Weiteres Problem: die Animationen, die leider gar nicht gelungen sind. Okay, der Keinohrhase sieht sogar ganz gut aus, wenn man mal davon absieht, dass ein Hase ohne Ohren immer doof und viel mehr wie eine Robbe als ein Hase aussieht, und auch die anderen Tiere sind noch ganz annehmbar. Aber alles andere ist ganz schwach gemacht. Die Welt sieht künstlich aus, die Möbel, die Gebäude – ihnen fehlt klar das Herz. Es wirkt einfach zu lieblos dahingeklatscht.


Um fliegen zu lernen muss das Küken viel trainieren
Außerdem hat Schweiger die Gabe, aus diesem Animationsfilm, der eigentlich etwas total anderes sein könnte als seine üblichen Streifen, einen Film der Prägung „Schweiger“ zu machen, wie man sie kennt und mag oder nicht mag. Die Geschichte ist simpel, geradlinig, enthält keinerlei Überraschungen und hat zu jeder Sekunde nur ein Ziel: die Aussage des Films muss immer überdeutlich und klar werden. Dazu lassen sich die Regisseure Schweiger und Maya Gräfin Rothkirch lange sehr viel Zeit, versuchen krampfhaft Witze einzubauen, die die Kinder sicher nicht verstehen und die Witze, die die Kinder verstehen könnten, werden wie der Handyfrosch bis zum Erbrechen ausgeschlachtet. Und nachdem sich anfangs so viel Zeit gelassen wurde, kommt das Ende dann so plötzlich, dass ich mir als einziger Zuschauer im 300 Sitzplätze bietenden Kinosaal doch tatsächlich gewünscht hätte, er würde noch ein wenig weitergehen, denn dieses Ende war für jeden halbwegs klar denkenden Menschen einfach unbefriedigend. Noch dazu kommt das typisch schweigersche Popgedudel an jeder noch so unpassenden Stelle des Films und dann auch noch in viel zu extremer Lautstärke. Schade, denn die verwendeten Klaviermelodien hatten eigentlich richtig Potential und hätten dem Film gut getan, wenn sie häufiger genutzt worden wären anstatt dieser Pop-Einheits-Plörre, die zwar einen guten Umsatz beim CD-Verkauf einbringen mag, aber dem Film sehr schadet.


"Kuck mal da, Fuchs, ein Dreibeinlöwe!"
Aber um abschließend wieder auf die von Vorurteilen durchtränkte Pauschalkritik zwischen „Gutmenschentum“ und „fehlender Ambivalenz“ zurückzukommen: Der Film ist nicht für Erwachsene, er ist auch nicht für Familien als Ganzes, denn die werden sich größtenteils langweilen. Der Film ist ganz klar und in erster Linie für Kinder im Vorschulalter gedacht. Darum ist diese Kritik in der Form auch so merkwürdig. Die Zuschauer, für die der Film gemacht ist, nämlich vierjährige Kinder, die sind in dem Alter kaum in der Lage, ambivalentes Denken zu zeigen. Rationales Denken und Logik, das fehlt den Kindern zu diesem Zeitpunkt noch größtenteils und es ist mehr als fraglich, ob sie die Aussage durch im Idealfall Angebote zur eigenen Beschäftigung mit dem Thema überhaupt verarbeiten können, geschweige denn verstehen. An der eigentlichen Aussage des Films, nämlich „Es ist okay, wenn du anders bist, denn wir sind alle wichtig und gut so wie wir sind“, daran ist nichts auszusetzen, die ist richtig und wichtig, gerade für Kinder. Und die verstehen zumindest die Vierjährigen eigentlich nur, wenn sie klipp und klar ausgesprochen werden. Ob er allerdings dazu in der Lage gewesen wäre, dieses Thema auch anders anzupacken, das wird wohl ein Rätsel bleiben.



Darum bleibt unter dem Strich festzuhalten, dass es genügend Aspekte an dem Film gibt, die nicht besonders gut gelungen sind, egal ob es nun die größtenteils lieblosen Animationen sind, Til Schweiger als Sprecher oder die schrecklich laute und nervtötende Musik. Aber für kleine Kinder, für die dieser Film gemacht wurde, gibt es durchaus witzige Szenen, über weite Strecken kindgerechte Dialoge, die sie in der Form auch verstehen können und eine Aussage, die für jedes kleine Kind und wie es mir oft erscheint auch für leider zu viele Erwachsene nicht klar genug ausgesprochen werden kann. Und die Kritik am Gutmenschentum und am Holzhammer, was natürlich irgendwo (in abgeschwächter Form) auch vorhanden ist, die ist zumindest bei diesem Film im Zusammenhang mit dem Zielpublikum nicht im Ansatz angebracht. Ein Film mit vielen Fehlern und sinnvoller Thematik und altersadäquater Vermittlung, der zumindest kleinen Kinder sicher Spaß machen wird, auch wenn es Filme mit ähnlicher Thematik auch viel besser gibt.


4 von 10 selbstzusammenfaltbare Klappliegen

Review: JACK THE RIPPER - Kinski, der Hurenschreck

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Fakten:
Jack the Ripper
CH, BRD, 1976. Regie & Buch: Jess Franco. Mit: Klaus Kinski, Josephine Chaplin, Andreas Mannkopff, Herbert Fux, Lina Romay, Nikola Weisse, Ursula von Wiese, Hans Gaugler, Olga Gebhard, Peter Nüsch u.a. Länge: 92 Minuten. FSK: Freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Im London des 19. Jahrhunderts treibt der Prostituiertenmörder Jack the Ripper sein Unwesen. Niemand vermutet, dass der introvertierte, höfliche und scheinbar herzensgute Arzt Dr. Orloff dieses Monster ist. Inspektor Selby von Scotland Yard setzt alles daran, den Killer endlich dingfest zu machen. Unterstützung bekommt er dabei von einem Blinden mit ausgeprägtem Geruchsinn und von seiner Geliebten Cynthia, die dem Ripper eine riskante Falle stellt...


                                                                           
Meinung:
Eine schweizer/deutsche Produktion um den legendären Huren-Mörder, geschrieben und inszeniert von europäischen Exploitation- und Trashvieldreher Jess Franco, der kürzlich das Zeitliche segnete. Fleissig war der Mann, die Qualität der meisten seiner Arbeiten kann diplomatisch als "geschmacksabhängig" bezeichnet werden. Das trifft sicherlich auch auf seinen "Jack the Ripper" (toller italienischer Alternativtitel übrigens: "Erotico Profondo") zu, allerdings anders als erwartet.
Das kostet extra.
Franco wirkt sehr bemüht, diesen Film nicht unweigerlich in die Euro-Trash Ecke zu stellen. Er wollte wohl einen Film machen, der ein breiteres Publikum anspricht und verglichen mit seinem sonstigen Output ist ihm das sogar geglückt. Allein handwerklich kann das Werk erfreulicherweise positiv punkten. Die Kameraarbeit ist sauber, die Sets zwar nicht besonders Zahlreich, dafür schön stimmungsvoll eingefangen, schattiert und reichlich vernebelt, die Ausstattung gut, der dezent eingesetzte Score, in erster Linie das prägnante Titelstück, wirkungsvoll. Das hat nicht viel - eher sogar nichts - von billigem Euro-Trash-Kino und ist im Bezug auf die Mittel absolut gelungen. Zudem überrascht Franco durch eine kaum reisserische Inszenierung. Das Tempo ist bewusst eher gedrosselt, Gore und Schweinereien halten sich sehr in Grenzen. Klar, nackte (Frauen)Haut hatte der alte Jess schon ganz gerne, nur baumeln hier nicht völlig sinnlos die Euter durchs Bild. Wenn der Ripper seine Opfer erlegt, ist das im sexuellen, Mutterkomplex belasteten Motiv angebracht. Etwas Gore darf dann auch nicht fehlen, es begrenzt sich dabei jedoch auf wenige Szenen, die heute sicher nicht mehr für erhöhten Speichelfluss bei Blutwurstfreunden sorgt. Wenn schon die FSK das nicht mehr indizierungswürdig findet, dürfte alles klar sein.
 


Jack, der Stecher.
Bei der Besetzung hat Franco dann einige Asse im Ärmel. Klaus Kinski ist natürlich wie gemalt für diese Rolle, ihn dafür zu gewinnen kann auch kaum schwer gewesen sein - wenn er pünktlich und ansprechend bezahlt wurde, hat der eh alles gedreht und daraus ja auch nie ein Geheimnis gemacht. Dafür hat er es oft mit engagierten Leistungen belohnt (der Preis dafür waren dann Nervenzusammenbrüche der Crew), so auch hier. Kinski schaltet angenehm zurück und vermeidet die grossen Ausraster, was gut zu seinem Rollenprofil passt. Nur selten und kurz dreht er mal durch, dabei nie zu stark drüber, meistens verkauft er seinen von innerer Unruhe und Trieb gesteuerten Charakter sehr angemessen. Die bezaubernde Josephine Chaplin ist ein echtes Eye-Candy und der markante Herbert Fux war immer ein gern gesehener Nebendarsteller. Das passt schon alles.
Klingt jetzt alles sehr positiv, dass richtig Gelbe vom Ei ist der Franco-Ripper dann (natürlich?) doch nicht. Paradoxerweise liegt es wohl daran, dass Franco hier einen Film gemacht hat, der eigentlich um einiges "besser" (wie gesagt, geschmacksabhängig) ist, als seine sonstigen Arbeiten. Oder es eben sein will. Spannend ist der Film nur bedingt, oft sogar wenig, erzählerisch keine Leuchte. Da Trash und niedere Bedürfnisse hier nur im Hintergrund stattfinden, kann der Film eben weder in die eine, noch die andere Richtung voll überzeugen und schleppt sich zuweilen arg dahin. Das enttäuschende, verschenkte Finale bestätigt leider den Eindruck, dass Franco einfach nicht für so was geschaffen war.
Mit mehr Feinschliff am Script hätte "Jack the Ripper" sogar ziemlich gut werden können. So ist es ein ambitionierter und aufgrund seiner Vorzüge auch nicht zu verachtender Film für Freunde dieses Genres, aber eben auch keine echte Empfehlung. Kann, muss aber nicht. Schade.
5,5 von 10 Bordsteinschwalben.

Review: DOGVILLE - Lars von Trier und der epischste aller Filme

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Fakten:
Dogville
Dänemark, UK, Schweden, Frankreich, Deutschland, Norwegen, Niederlande, Finnland, Italien. 2003. Regie: Lars von Trier. Buch: Lars von Trier. Mit: Nicole Kidman, Lauren Bacall, Jean-Marc Barr, Paul Bettany, James Caan, Udo Kier, Stellan Skarsgard, Patricia Clarkson, Jeremy Davies, Ben Gazzara, Philip Baker Hall, Chloe Sevigny, John Hurt u.a. Länge: 177 Minuten. FSK: ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.


Story:
In den frühen dreißiger Jahren kommt Grace in das abgeschieden in den Rocky Mountains gelegene Dörfchen Dogville, auf der Flucht vor zwielichtigen Männern. Der Schriftsteller Tom Edison will ihr Unterschupf gewähren und versucht, die misstrauische Dorfgemeinschaft davon zu überzeugen, Grace in Dogville aufzunehmen. Unter der Bedingung, dass sie sich dem Gemeinschaftsleben anpasst und ihnen bei den Arbeiten hilft, stimmen die Einwohner zu. Grace gelingt es, das Vertrauen der Bewohner Dogvilles zu gewinnen, doch als die Polizei einen Steckbrief mit Graces Gesicht verteilt, da kippt die Stimmung gegen Grace und sie wird von den Einwohnern im Wissen, dass sie Grace in ihrer Hand haben, immer mehr ausgebeutet uns gedemütigt.




Meinung:
Lars von Trier dürfte mittlerweile jedem Filmfreund in Begriff sein. Er gilt als enfant terrible der Filmemacher, besitzt aber auch die wunderbare Gabe, Kreativität und Provokation in seinen Filmen zu vereinen. Selten sind es Wohlfühlfilme, meistens dringt von Trier tief in die Abgründe der menschlichen Psyche hinein, stellt das menschliche Verhalten in extremer Weise dar und will dadurch den Zuschauer aufrütteln. Genau so macht es der dänische Regisseur bei „Dogville“, der mit „Manderlay“ und dem noch nicht gedrehten „Wasington“ seine USA-Trilogie bilden soll.



Als Sklavin wird Grace auch von den Kindern ausgenutzt
Hier nimmt er das fiktive, kleine, abgeschieden in den Hügeln der Rocky Mountains liegende Dorf Dogville her, um die Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes exemplarisch zu veranschaulichen. Eigentlich führen die Bewohner ein ruhiges Dasein, haben alles, was sie zum Leben brauchen, keinen Streit, jeder tut nur das, was notwendig ist. Als Grace auftaucht, da wissen sie auch erst gar nicht, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollen. Erst misstrauisch, ablehnend und eigentlich weiter ihrem Trott nachgehend wollen sie ihr gegenüber freundlich auftreten, aber eben auch distanziert. Sie ist ja keine von ihnen. Aber als sich Grace immer mehr versucht, in die Gemeinschaft einzubringen, ihnen Arbeiten abzunehmen, da verändern sich die Bewohner des Dörfchens. Sie erkennen, dass die blonde, fremde Frau auf die Einwohner angewiesen ist, dass sie Macht über Grace haben. Und nach und nach nutzen sie diese Macht immer mehr aus. Anfangs noch einfach Arbeiten, wird sie irgendwann zu Sklavin in Ketten, zum Lustobjekt für die Männer, zum Fußabtreter für die Frauen. Und gerade hier dringt von Trier wieder tief in die Psyche des Menschen und der Gesellschaft als Ganzes vor, stellt sie bloß, zeigt ihre Ängste und ihre Triebe, ihre Entwicklung und ihre Gnadenlosigkeit.


„Dogville“ ist aber nicht nur eine Charakterstudie einer Gesellschaft, der Film ist zusätzlich noch die vollkommene Dekonstruktion und Reduktion des Mediums Film. Eigentlich nie war ein Film weniger Film und mehr Theater. Episches Theater, und zwar nicht in der Form, wie heute jeder zweite Jugendliche alles „episch“ findet, sondern episches Theater in Anlehnung an Bertolt Brecht. Es gibt den auktorialen Erzähler, der fast schon ununterbrochen das Geschehen beschreibt, nacherzählt und kommentiert. Die Schauspieler agieren unterkühlt und behalten stets eine große Distanz zu ihren Rollen, Gefühle werden sowieso so gut wie keine gezeigt. Und doch sind die Figuren unheimlich ambivalent. Die Kamera steht stellvertretend für den Zuschauer, der sich ohne Hindernisse und mal nach links, mal nach rechts schauend, mitten im Geschehen befindet. Alles kann er beobachten, da ihn keine Wände oder dergleichen aufhalten. Auch die Einführung in den Film durch einen Prolog und die Einteilung in Kapitel, die mit ausführlichen Überschriften bereits die Handlung (zugegeben, hier sehr grob) zusammenfassen erinnern stark an Brechts Spruchtafeln, die er vor jedem Kapitel auf der Bühne zeigen ließ. Verfremdungseffekte sind ebenso zu finden wie die eben gerade nicht eingängig wirkende Handlung.


Keine Wände, stattdessen Kreidestriche - das ist Dogville
Aber der auffälligste Teil des epischen Theaters ist wohl das Bühnenbild. Nur das Nötigste hat von Trier in seinem Film auch optisch dargestellt. Mal ein Stuhl, mal ein Tisch oder ein Tasse. Aber keine Wände, kaum Türen und Fenster. Lediglich was wichtig sein könnte, kann man auch sehen. Stattdessen malt von Trier Kreidestriche in sein ansonsten abgedunkeltes oder aufgehelltes, weißes Filmstudio. Kreidestriche und Beschriftungen, die zeigen, wo die Wände verlaufen, wo ein Strauch steht, wo eine Tür ist. Und doch sind die Geräusche vorhanden, wenn die Türen geöffnet werden oder wenn sich ein Fenster schließt. Man kann sie hören, sie sind vorhanden, aber wichtig sind sie nicht. Reduktion auf das Wesentliche. Das hat zur Folge, dass sich der Zuschauer eben wie in einem Theater fühlt, in einer modernen Inszenierung und sich zusätzlich noch mehr auf die Figuren und auf das, was sie sagen, konzentrieren kann.


Aber durch diese Reduktion aller filmischen Mittel entsteht auch das einzige aber dafür umso auffälligere Problem des Films. Beinahe drei Stunden sind einfach viel zu lang für einen Film oder fast besser gesagt für ein verfilmtes Theaterstück, wenn man so wenige Schauwerte hat, denn die Geschichte reicht nicht für diese drei Stunden aus. Eigentlich komisch, denn es fällt normalerweise keine überflüssige Stelle ein, keine wirklich störende Szene. Trotzdem zieht sich der Film, in jeder einzelnen Szene nur ein kleines Stück. Aber eben doch etwas. Optisch ist der Film etwas ganz Besonderes, thematisch ist er hervorragend. Die Darsteller spielen im Rahmen der Theorie des epischen Theaters ausgezeichnet und überhaupt ist der Film ein Erlebnis, einfach, weil wir so eine Art von Film eigentlich nie zu Gesicht bekommen. Und schon deshalb sollte man ihn unbedingt gesehen haben.


8,5 von 10 Glockenschläge der Dorfkirche