Review: INHERENT VICE – NATÜRLICHE MÄNGEL - Verschluckt von der Ökonomie



Fakten:
Inherent Vice – Natürliche Mängel
USA. 2014. Regie: Paul T. Anderson. Buch: Paul T. Anderson, Thomas Pynchon (Vorlage). Mit: Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Katherine Waterston, Owen Wilson, Reese Witherspoon, Jena Malone, Joanna Newsom, Benicio Del Toro, Maya Rudolph, Eric Roberts, Michelle „Belladonna“ Sinclair, Michael K. Williams, Martin Short, Serena Scott Thomas, Martin Dew, Timothy Simons, Shannon Collis, Hong Chau, Christopher Allen Nelson, Keith Jardine, Katie Schwartz u.a. Länge: 148 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab 25. Juni auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
1970, Kalifornien: Privatermittler Doc erhält von seiner Ex-Freundin Shasta die Information, dass ihr ehemaliger Geliebter, der Milliardär Mickey Wolfmann, von seiner Frau und deren Liebhaber entführt und in eine psychiatrische Klinik gesperrt werden soll. Shasta hofft, das Doc ihr hilft dies zu verhindern. Doc nimmt an, muss jedoch bald einsehen, dass dies kein einfacher Job wird. Vor allem sein ehemaliger Kollege, der ruppige Cop Bjornsen, macht ihm das Leben und die Ermittlung schwer.





Meinung:
Never change a winning team. Nach “The Master” drehte Paul T. Anderson erneut mit Joaquin Phoenix und suchte sich dafür nichts Geringeres aus, als die Verfilmung eines Romans des gefeierten wie als schwer zugänglich geltenden US-Autor Thomas Pynchon. Im Zentrum steht Privatdetektiv Larry Sportello und seine Suche nach dem verschwundenem Baulöwen Mickey Wolfmann. Die Suche führt den Privatermittler und den Zuschauer in eine abgedriftete Welt aus Sonne, Geld, Drogen und windigen Klischees.


Doc und sein Anwalt bekommen Probleme
Dieser Larry „Doc“ Sportello ist so ein windiges Klischees. Windig, weil er zum einen sämtliche Stereotypen zu erfüllen scheint, nur um wenig später sie dann doch genüsslich zu unterwandern, oder sie sogar komplett zu ignorieren. Doc ist klassischer Privatdetektiv gekreuzt mit den Einsichten und Umgangsformen eines passionierten Cannabis-Anhängers. Fast möchte man Vergleiche zu „The Big Lebowski“ ziehen, doch Regisseur Anderson hat dafür seinem Film sowie den Figuren dann doch einen zu eigeneständigen Drive verpasst. Einen Drive, von dem der gesamte Film durchzogen ist. Das macht ihn so speziell, so besonders, so gut. Allerdings führt dies auch dazu, dass „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ sehr zerfasert erscheint. So ist der Film voll mit Figuren, diese aber bleiben meist nur unscharfe Silhouetten. Wirklich im Fokus sind nur Doc und der Polizist Christian „Bigfoot“ Bjornsen. Beide verbindet eine innige Beziehung aus Hass, Neugier, gemeinsamer Vergangenheit und unausgesprochenerKameradschaft.


Bigfoot und Doc haben eine besondere Beziehung
Doc und Bigfoot, sie repräsentieren zwei Extreme der amerikanischen Kultur: der liberale Slacker und der beharrlich Regelkonforme. Ein Ying und Yang, wie es sie überall gibt, und doch meist amerikanischen Figuren zugesprochen wird. „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ formt daraus einen filmischen Reigen, den man wohl am ehesten als psychedelischen Film Noir beschreiben kann. Und doch ist Reigen eine falsche Formulierung, impliziert es doch stetige Aktivität. Anderson Thomas Pynchon-Verfilmung huldigt aber dem Müßiggang. Alles im Film wirkt entspannt, was zum einen an den (mal wieder) herausragenden Bildern von Kameramann Robert Elswitt deutlich wird, sowie an den Darstellern. Entfachte Joaquin Phoenix in seiner letzten Anderson-Zusammenarbeit, „The Master“, noch einen infernalen, bis zur Erschöpfung und Bedingungslosigkeit geführte Schauspielleistung, agiert er hier gelöst und amüsiert. Wie ein Stahlwerker im wohlverdienten Urlaub. Dieses Losgelöste der Figuren unterstreicht die karikaturhaften Züge der einzelnen Charaktere, auch wenn die meisten im Grunde nur Staffage oder Stichwortgeber sind, damit Doc innerhalb der Narration voran kommt und im Idealfall erneut auf Bigfoot trifft.


 

Shasta führt ihren Ex Doc auf eine heiße Spur - oder hinters Licht?
Doc und Bigfoot sind wie die zwei unterschiedlichen Pole eines Magneten. Sie ziehen sich an. Aber noch mehr als das stehen beide auf dem Verliererposten. Doc als ewiger Kiffer und Bigfoot als stoischer Traditionalist, sie beide werden von der Modernität verschluckt werden. Nennen wir es so... oder der Einfachheit halber Kapitalismus. „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ ist auch ein Grabgesang für zwei kulturelle Extreme, die gerne mit Amerika assoziiert werden, und auch zu einem gewissen Grad die Freiheit verkörpern. Sie werden nach und nach von den Mühlen der Ökonomie vereinnahmt oder gleich verschluckt. Wie sinnbildlich erscheint da die Szene, in der Bigfoot Docs Marihuana–Vorrat vertilgt, als ob er wochenlang gehungert hätte. Diesen subjektiven Subtext drängt „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ allerdings niemanden auf. Die smoothe wie geschwätzige Krimikomödie funktioniert genauso gut als aussageloses Vehikel für hübsch bebilderte und aneinanderreihte Momente, die teils grandiose Darsteller in stetig kurioser werdenden Szenen darbietet. Ein Rausch des Eigensinns, ist der neue Anderson-Film. Damit wird er es gewiss schwer haben, die an ihn gestellte Erwartungen zu erfüllen, aber vielleicht passt zu „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ eine alte Kifferfloskel einfach am besten: Take it, or leave it.


„Inherent Vice – Natürliche Mängel“ ist nicht das Meisterwerk gewurden, was viele erwartet haben. Das ist gut so. Es macht deutlich, dass Paul T. Anderson immer noch einer der besten, kreativsten und vielleicht auch unberechenbarsten Filmemacher unserer Zeit ist. Mag sein, dass „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ ähnlich im Schatten bleiben wird, wie Andersons romantische Komödie „Punch-Drunk Love“, aber gut, im Schatten hat man auch viele Freiheiten und wenig Ökonomie.


8 von 10 Lachgasgespräche

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen