DK,
2016. Regie: Mads Matthiesen. Buch: Anders Frithiof August, Mads
Matthiesen, Martin Zandvliet. Mit: Maria Palm, Ed Skrein, Yvonnick
Muller, Dominic Allburn, Virgile Bramly, Marco Ilsø,
Leonardo Lacaria u.a. Länge: 108 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16
Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Emma
sieht fantastisch aus, was für ihren Traumjob als Model schon mal
eine ideale Voraussetzung ist. Hoffnungsvoll reist sie aus der
dänischen Kleinstadt, in der sie lebt, nach Paris, um den großen
Karrieresprung zu schaffen. Bei ihrer Ankunft wird sie schnell
enttäuscht, denn außer unfreundlichen Agentur-Mitarbeitern, einem
kleinen Zimmer als Unterkunft und großer Frustration bei ihrem
ersten Fotoshooting erlebt sie in der riesigen Hauptstadt Frankreichs
nicht viel. Als sie sich an einem Abend im Club an Fotograf Shane
ranmacht und mit ihm im Bett landet, folgt auf der Stelle das nächste
Shooting. Türen öffnen sich für Emma, aber auch einige Gefahren
und Abgründe, je tiefer sie in die Branche eintaucht...
Meinung:
Als
Model ist ein Leben im Luxus vorprogrammiert, so scheint es
zumindest. Blickt man auf die freudestrahlenden, makellosen Gesichter
und Körper in den Hochglanzseiten der Magazine, auf glamourösen
Werbereklamen oder in Fernsehbeiträgen, entsteht schnell der
Eindruck, eine Karriere auf dem Laufsteg, vor den Linsen angesagter
Fotografen und als Dauergast bei rauschhaften Partys sei der ganz
große Traum, den überwiegend sehr junge Frauen völlig zu Recht
anstreben sollten.
Er ist der Einstieg für Emma in eine neue Welt
Die
Realität ist aber wie so oft eine andere, denn nicht umsonst hat die
Mode-Industrie längst den Ruf eines gnadenlosen Haifischbeckens, in
dem mit den Körpern der vor allem anfangs eingeschüchterten,
überforderten Models wie mit Waren gehandelt wird. Da fast jedes
Mädchen, das eine ernsthafte Karriere in dieser Branche anstrebt,
das nötige Aussehen dazu mitbringt, ist glatte Attraktivität schon
lange zum Standard geworden. Hinter den Kulissen kommt es viel mehr
darauf an, wie weit man bereit ist zu gehen, wo die persönlichen
Grenzen liegen und in welchem Maße man das eigene Selbstwertgefühl
ausblenden kann, um kein noch so schmutziges Angebot auszuschlagen.
Als Emma zu Beginn in "The Model" aus einer dänischen
Kleinstadt nach Paris reist, ist sie voller Erwartungen und
Hoffnungen. Wie sich wenig später herausstellt, besteht ihr größter
Traum darin, einmal auf dem Catwalk für Chanel modeln zu dürfen.
Von diesem Ziel könnte sie bei der Ankunft aber kaum weiter
entfernt sein. Bei ihrem ersten Treffen in der Agentur, zu dem sie
sich verspätet, wird sie kalt empfangen, ihre Unterkunft ist ein
recht mickriges Zimmer, das sie sich zudem noch mit einem anderen
Mädchen teilen muss und das erste Fotoshooting verläuft
katastrophal.
Verlockungen an jeder Ecke und in jedem Wasser
Auch
wenn Mads Matthiesens Film mit handwerklicher Eleganz komponiert
wurde und der Soundtrack hin und wieder durch verführerische
Pop-Songs besticht, wischt der Regisseur den Glanz und Glamour der
Branche früh von der Oberfläche und zeichnet anhand des Werdegangs
seiner überforderten, sensiblen Hauptfigur ein düsteres Bild der
Mode-Welt. Emma erkennt, dass sie sich anpassen und im moralisch
korrumpierten Spiel teilnehmen muss, welches von einem Großteil der
Schlüsselfiguren in diesem Beruf ausgeübt wird. Nachdem sie mit dem
Fotografen Shane, der sie beim Shooting zuvor noch rücksichtslos
fallen ließ, ins Bett steigt, öffnen sich plötzlich einige Türen,
durch die das Mädchen hoffnungsvoll hindurchgeht. Von nun an
entwickelt sich "The Model" aufgrund von abgründigen
Obsessionen, erbitterter Eifersucht und geheimen Seitensprüngen zu
einem Drama, welches etwas zu sehr in Richtung Soap-Opera anstelle
präziser Entlarvung der Szene abschweift. Das Bedürfnis von Emma
nach Zwischenmenschlichkeit, dem Gefühl, dass sie jemand einfach nur
verständnisvoll in den Arm nimmt, spiegelt sich in den Gesichtszügen
von Hauptdarstellerin Maria Palm, die selbst Model ist und hier ihr
Schauspieldebüt gibt, überzeugend wider. Trotzdem wird sie vom
Drehbuch zu oft in vorhersehbare Erzählrichtungen gepresst, wodurch
ihre Entwicklung vom Mauerblümchen über ein selbstbewusstes,
verführerisches Model hin zur gebrochenen, verzweifelten
Persönlichkeit kaum überrascht und mit erwartbaren Konsequenzen
aufwartet, denen hinsichtlich Radikalität der letzte Schliff fehlt.
"The
Model" ist somit ein inszenatorisch überzeugendes Drama, das
die ernüchternde Tristesse sowie den verkommenen Konkurrenzgedanken
des harten Aufstiegs in der Model-Branche glaubwürdig aufzeigt. Mit
dem abgründigen Potential hat Regisseur Mads Matthiesen allerdings
zu wenig gewagt, weshalb sein Werk trotz entlarvender Spitzen etwas
zu sehr wie eine Hochglanz-Soap-Opera wirkt, die auf vorhersehbare
Entwicklungen setzt.
Fakten: Love
BE/FR, 2015. Regie & Buch: Gaspar Noé. Mit: Karl Glusman, Aomi Muyock,
Klara Kristin, Juan Saavedra, Isabelle Nicou, Gaspar Noé u.a. Länge: 135
Minuten. FSK: ab 18 Jahren freigegeben. Ab 29. Januar auf DVD, Blu-ray und Blu-ray 3D erhältlich.
Story: Der amerikanische Filmstudent Murphy lebt in Paris. An Neujahr erreicht ihn
in die Nachricht, dass seine Ex-Freundin Electra verschwunden ist, mit der er
zwei Jahre lang eine tiefe Beziehung führte. Besorgt setzt er alles daran, sie
ausfindig zu machen. Gefangen zwischen der Sehnsucht nach seiner verflossenen
Liebe und seiner momentanen Situation, in der er mit einer anderen Frau zusammenlebt,
die er ungewollt schwängerte, stürzt er sich immer wieder in Erinnerungen und umklammert
vergangene Momente.
Meinung: Wirkliche Rebellen des Kinos sind heutzutage seltener geworden. Die Riege
an provokanten Skandalfilmern ist eine überschaubare, doch wenn sich jemand einen
Platz unter ihnen gesichert hat, dann auf jeden Fall Gaspar Noé. Der
argentinische Regisseur hat im Zeitraum von 17 Jahren gerade einmal vier
Spielfilme gedreht, doch nicht einer von ihnen kam ohne handfesten Skandal im
Gepäck daher. Das berühmteste Beispiel dürfte "Irréversible" sein,
der mit seiner zentralen, in Echtzeit ablaufenden Vergewaltigungssequenz das
schockierte Publikum in Cannes bei seiner Weltpremiere scharenweise aus dem
Kino-Saal flüchten ließ.
Der große Kampf um das finale M & M
Sein viertes Werk trägt nun aber den schlichten Titel "Love", bei dem
man sich unweigerlich die Frage stellt, ob hier wirklich ein gemäßigterer,
massentauglicherer Film entstanden ist, der ebenso zärtlich ist wie sein Titel.
Auch wenn harte Gewaltexzesse vollständig ausbleiben und der Streifen bei
weitem nicht exorbitante Regionen wie sein die Grenzen des Mediums sprengendes Vorgänger-Meisterwerk
"Enter the Void" erreicht, ist "Love" nichtsdestotrotz ein typischer
Noé geworden. Die Handlung dreht sich um den amerikanischen Filmstudenten
Murphy, der in Paris lebt und an Neujahr erfährt, dass seine Ex-Freundin
Electra spurlos verschwunden ist. Omi, die Frau, mit der er aktuell sein Leben
teilt, hat er aus Versehen geschwängert. Noé setzt nach einer knappen
Einleitung eine Odyssee in Gang, in welcher die Erinnerungen und Sehnsüchte von
Protagonist Murphy in berauschenden Sequenzen zu einem Strom der Eindrücke,
Erlebnisse und Wunschvorstellungen zusammenfließen. Noé´s Intention war es,
einen Film über sämtliche Facetten der Liebe an sich zu kreieren, weshalb neben
romantischen Momenten auch viele Sex- Szenen, aber ebenso heftige
Streit-Momente ihren Weg in die nicht-lineare Erzählung finden.
"Habt ihr auch 'Kevin allein in New York'"?
Das Hauptdarsteller-Trio Karl Glusman, Aomi Muyock und Klara Kristin wurde
daher vor allem wegen ihrer Zeigefreudigkeit gecastet. Da sie alle zum ersten
Mal vor der Kamera stehen und zudem ein Großteil aller Dialoge improvisiert
wurde, hinterlässt "Love" abseits der expliziten Freizügigkeit sowie
ekstatischen Momente des ausgelassenen Liebespiels einen ungeschliffenen, gelegentlich
hölzernen Eindruck bezüglich der Schauspieler, deren Figuren zusätzlich nicht
immer mit allzu sympathischen Eigenschaften versehen wurden. Trotzdem steckt
der Film voller roher, ungefilterter Emotionen, die sich unentwegt in positiven
wie auch negativen Situationen entladen und dem Geschehen eine ganz eigene
Ausstrahlungskraft verleihen. Überhaupt ist "Love" eben ein waschechter
Noé, also ein unvergleichlicher Trip, der einen gleichermaßen fordert,
auslaugt,berauscht wie berührt. Da geschätzt 40% des Films aus Sex-Szenen
besteht, die aufgrund der wieder einmal perfekten Kameraarbeit von Benoît Debie
und fantastisch gewählten Songs wieGemälde wirken, werden den Streifen
sicherlich nicht wenige als selbstverliebten "Art Porn" verteufeln,
was der übergeordneten Handlung allerdings nicht wirklich gerecht wird. Ebenso diskussionswürdig
ist die diesmal häufig eingestreute Selbstreferenzialität sowie zahlreiche Rückbezüge
auf das eigene Schaffen des Regisseurs, was in Szenen gipfelt, die mal
originell, mal albern wirken. Hierdurch wird ebenso deutlich, dass
"Love" ein höchst persönliches Werk ist, in dem Noé viele seiner
eigenen Erfahrungen verarbeitet und sogar ab und zu augenzwinkernden Humor
zulässt.
Ganze sechs Jahre hat er sich wieder Zeit gelassen, doch "Love" ist
erneut all das, wofür Gaspar Noé mittlerweile steht. Auch wenn sich der Ruf des
pornographischen Sex-Skandal-Films, der dem Streifen ein wenig vorauseilt, als
überwiegend überzogen entpuppt, ging der Argentinier wieder einmal kaum
Kompromisse ein. Sein Werk, welches eine Irrfahrt durch sämtliche
Charakteristiken der Liebe selbst aus rein männlicher Sicht schildert, ist, wie
nicht anders zu erwarten war, ein intensives, berauschendes Erlebnis, welches
trotz einiger Schwächen eine unbedingte Seherfahrung darstellt.
Fakten: 1001 Gramm (1001 Gram)
Norwegen, BRD. 2014. Regie und Buch: Bent Hamer. Mit: Ane Dahl Torp, Laurent
Stocker, Per Christian Ellefsen, Magne-Håvard Brekke, Stein Winge, Hildegun
Riise, Peter Hudson u.a. Länge: 87 Minuten. FSK: freigegeben ohne
Altersbeschränkung. Ab 19. Juni 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story: Als Mitarbeiterin des norwegischen Eichamts reist Marie durch das Land, um
Messgeräte zu kontrollieren. Ob Briefwaage oder Benzinpumpe, Marie registriert
jede Abweichung. Einzig ihr Privatleben bleibt dabei auf der Strecke. Eines
Tages jedoch führt das Schicksal Marie nach Paris. Eine Reise, die nicht ohne
Folgen bleibt. Denn in der sommerlichen französischen Hauptstadt wird selbst
die sonst so gewissenhafte und zurückgenommene Marie von ihren Gefühlen
eingeholt.
Meinung: Der Name Bent Hamer
steht wie kein anderer für skurrile Filme mit warmherzigem Kern. Ob nun „Kitchen
Stories“, „Home for Christmas“ oder „O’Horton“, all diese Werke besaßen hinter
ihrer vorderen, absonderlichen Fassade einen liebenswert wärmenden Kern. Genau
so ist dies auch bei „1001 Gramm“, in dem die Mitarbeitern des norwegischen
Eichamts in Paris das Referenzkilogramm ihres Landes neu kalibrieren lassen
soll und in der Stadt der Liebe, nicht nur diese findet, sondern auch endgültig
über einen persönlichen, tragischen Verlust hinweg kommt.
Eichämtler unter sich
Für viele Zuschauer wird sich „1001 Gramm“ gewiss mehr wie ein Drama anfühlen.
Wer aber ein Gespür sowie eine gewisse Sympathie gegenüber trockenem Witz mitbringt,
wird – wie so oft bei Hamer – die meiste Zeit schmunzelnd verbringen: Etwa wenn
Hamer Humor durch fast schon perplexe, geographische Perfektion erschafft, oder
das Zusammentreffen der Vertreter diverser Landeseichämter zu einem
Gipfeltreffen von herrlich irritierender Adäquatheit und Contenance wird. Der
Fokus liegt bei „1001 Gramm“ jedoch keinesfalls nur auf solchen komödiantischen
Einfällen, sondern auf Hauptfigur Marie, gespielt von Ane Dahl Torp, die
innerhalb ihrer Heimat ein waschechter Superstar ist. „1001 Gramm“ erzählt
davon, wie es der mitten im Leben stehenden Frau gelingt ihren trockenen,
höchst wissenschaftlichen und emotionslosen Beruf mit ihrer eigenen
Persönlichkeit in Einklang zu bringen. Es geht um persönliche Emanzipation, den
Vorgang der Weiterentwicklung, der hier auch ein stiller aber kraftvoller
Befreiungsschlag ist, den Hamer dazu auf seine ganz eigene Art fast schon romantisch
in Szene setzt.
Der Genauigkeit verpflichtet: Marie und ihre ausländischen Kollegen
Interessant ist dabei vor allem die Ausstrahlung von Marie: Zu jedweder Zeit
lassen sich beide Facetten ihres Leben genau erkennen. Es scheint bei ihr keine
isolierte Kanalisierung zu geben, nur den Versuch für die gerade passende
Situation. Auch ihre Einsamkeit ist stets präsent. Mal durch Blicke oder
Gesten, ein anderes Mal durch die szenische Verwendung von von engen Räumen. Dabei fällt auf, dass Marie vor ihrer Reise nach
Paris meist nur dann befreit wirkt, wenn sie sich entweder in der Enge befindet
oder mit ihrem Vater agiert. Nachdem dieser stirbt bricht, verstärkt durch ihre
Trauer und den beruflichen Druck dennoch professionell zu bleiben, ihre
unsichtbare Wand ein wenig ein. Es entstehen Risse, die dann in der Stadt der
Liebe peu à peu größer werden. Hamer macht aus „1001 Gramm“ aber keine
klassische Romanze. Vielleicht ist es sein trockener Witz, dass gerade das
Thema Liebe und Verlieben fast schon in gedrosselten wie unaufgeregten Bahnen
geschieht. Gefühlsexplosion, wie man sie aus überschwänglichem Kitschkino
kennt, gibt es nicht. Dafür, wie im Rest des Filmes auch, viele Möglichkeiten
den Film zu interpretieren.
„1001 Gramm“ ist gewiss nicht Bent Hamers bester Film, ja vielleicht sogar einer
seiner schwächsten, aber er besitzt genügend Eigenheit in Verbindung mit einer
dezent faszinierenden Mehrwertigkeit, dass auch diese Geschichte einen Blick
lohnt. Man muss nur den Willen und die Verve haben sich darauf einzulassen. „1001
Gramm“ ist kein loderndes komödiantisches Feuer, sondern mehr ein stetiges
Dimmen voller Skurrilität und verborgener Wärme. Ohne Zweifel hat Regisseur
Bent Hamer hiermit kein zweiten „Kitchen Stories“ erschaffen, aber zumindest
einen Film, der etwas besitzt, was heute durchaus ein Seltenheitswert ist: seine
ganz speziellen Eigenheiten. Wer das mag und ein Faible für trockenen Witz, diskrete
Melancholie und dezente Ausartungen des Grotesken hat, sollte mit „1001 Gramm“ zufrieden
sein.
Fakten: Katakomben (As Above, As Below)
USA. 2014. Regie: John Erick Dowdle. Buch: Drew Dowdle, John Erick Dowdle. Mit: Perdita Weeks, Ben Feldman, Edwin Hodge, Francois
Civil, Marion Lambert, Ali Marhyar, Emy Lévy, Hamid Djavadan, Cosme Castro u.a.
Länge: 93 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab 15. Januar
2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story: Professorin Scarlett Marlowe hofft in Paris ein altes Artefakt zu finden,
was bereits ihr Vater suchte. Gemeinsam mit einem Team steigt sie deswegen
hinab, in die Katakomben von Paris. Dort finden sie nicht nur ein altes
Massengrab, sondern auch ein gefährliches Geheimnis.
Meinung: In manchen Kreisen sorgt man bereits für kollektive Ermüdungserscheinungen,
wenn man die Worte 'Found-Footage' nur ausspricht. Nachvollziehen kann man
diese vorherrschende Unterwältigung ja schon irgendwie, verlaufen doch
sämtliche Filme, die sich dieser Ästhetik bekräftigen, doch nach dem gleichen
Muster und tauschen ihren Anspruch auf Realitätsnähe schnellstmöglich gegen die
simpelsten Retorten-Schocks aus. Wirklich plastisch war in letzter Zeit
eigentlich nur Ti Wests Jonestown-Reflexion „The Sacrament“, in dem es die
Regie-Hoffnung verstand, eine beklemmende Atmosphäre nicht nur zu behaupten,
sondern fühlbar auf den Zuschauer zu übertragen und die Extremsituation
filmisch immer weiter zu verdichten. Für eine Kinoauswertung hat es natürlich
mal wieder nicht ausgereicht, dafür hat sich jedoch ein anderer Found-Footage-Streifen
seinen Weg in die Lichtspielhäuser gebahnt: John Erick Dowdles „Katakomben“.
Wurden seine Vorgängerwerke „Devil“ und das „[Rec]“-Remake „Quarantäne“ zumeist
mit einem lethargischen Schulterzucken rezensiert, verschenkt Dowdle mit „Katakomben“
erstmals so richtig Potenzial.
Sauerei im Untergrund
Und dieses verschenkte Potenzial macht „Katakomben“ schlussendlich auch zu
einem wahren Ärgernis im überproportionalen Genre-Gefilde: Angesiedelt in den
sagenumwobenen Katakomben unter Frankreichs Hauptstadt Paris, in denen über 6
Millionen Leichen beigesetzt wurden, bietet sich dieses Setting doch geradezu
vortrefflich für eine echte Horror-Perle an - aus diesem schaurigen Ambiente
muss man also zwangsläufig Profit schlagen können! Tatsächlich gelingt es
Dowdle auch zeitweise, die morbide Stimmung der verwinkelten Gänge in schaurige
Fotografien einzufangen, sprechen die Massen an Totenschädeln und sonstigen
Knochen doch für sich. Dass sich „Katakomben“ hinten raus aber immer deutlicher
als Found-Footage-Neuinterpretation von Steven Spielbergs Klassiker „Indiana
Jones und der letzte Kreuzzug“ geriert, lässt die Dramaturgie nicht nur
stagnieren, der Film allgemein ist sich irgendwann für keine Plattitüde mehr zu
schade und nimmt alles mit, was dem Zuschauer möglichst affig erscheinen
könnte.
Immer brav dem Licht folgen
Auf der Suche nach dem Stein der Weisen, findet die promovierte Archäologin
Scarlett (Perdita Weeks) in einem iranischen Höhlensystem nützliche Hinweise
darauf, dass sich dieses mythische Artefakt in einer Seitenkammer der Pariser
Katakomben befindet. Scarlett allerdings fungiert nicht als Schatzsucherin,
deren Motivation aus einem finanziellen oder historischen Interesse keimt, sie
tritt vielmehr das Erbe ihres Vaters an (mit Hilfe seines Tagebuches), dessen
Suche nach dem Stein der Weisen im Suizid endete. Und so geht es dann eben mit
diesem schnaubend-hysterischen Lara-Croft-Verschnitt und einem ähnlichen
charakterlosen Grüppchen hinunter in diese gruselige Tiefe der Katakomben, in
denen schnell deutlich wird, dass sich die unsympathischen Protagonisten nicht
nur gegen eine übernatürliche Präsenz zur Wehr setzen müssen, die entweder als
grässlicher Schrei aus der Dunkelheit, als kauernde Silhouette im finsteren
Winkel oder als polternder Jump-Scare direkt in die Linse fungiert, sondern
auch gegen sich selbst. Man merkt es schon und möchte seinen Hut zücken: Hier
floriert die schiere Inspiration!
Das Knochenlabyrinth wird zum Seelenkäfig, dessen Gitter erst dann ein
Entkommen gewähren, wenn man sich mit den Sünden seiner Vergangenheit konfrontiert
hat: Nur wer sich seiner selbst stellt, kommt in Berührung mit einer höheren
Wahrheit. Es wäre zu viel gesagt, würde man „Katakomben“ anhand dieses Aspekts
eines religiösen Dampfhammers bezichtigen, deplatziert, weil es der Geschichte
keine neue Ebene respektive Perspektive verleiht, ist es dennoch. Aber
„Katakomben“ erstickt sein stimmiges Szenario sowieso recht baldig im
Schleudergang der Videokamera, bis man wirklich den Eindruck gewinnt, Paris
steht – wie auf dem Poster dargestellt – auf dem Kopf. Die Übersicht jedenfalls
entgleitet John Erick Dowdle frühzeitig. Und das ist angesichts des
Handlungsortes wahrlich tragisch.
Fakten: Yves Saint Laurent
Frankreich. 2014. Regie: Jalil Lespert. Buch: Jacques Fieschi, Jalil Lespert,
Marie-Pierre Huster.Mit: Pierre Niney, Guillaume Gallienne, Charlotte LeBon,
Nikolai Kinski, Laura Smet, Ruben Alves, Marie de Villepin u.a. Länge: 101
Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 5. September auf DVD und Blu-ray
erhältlich.
Story: Yves Saint Laurent gilt über seinen Tod hinaus, als einer der größten
Modeschöpfer unserer Zeit. Wie es dazu kam und mit welchen privaten Problemen
er sich umgab, erzählt diese filmische Biographie.
Meinung: Wem sich
schon automatisch die Nackenhaare gen Himmel aufstellen, weil die
Herzallerliebste mal wieder eine ihrer berühmt-berüchtigten Shopping-Touren
einleiten möchte, der wird wohl einen Teufel tun und sich freiwillig einen Film
namens „Yves Saint Laurent“ anschauen – Was ja auch irgendwo verständlich ist,
schließlich trägt dieser Mann irgendwo Teilschuld daran, dass im Monat schon
mal schneller Ebbe im Portemonnaie vorherrschen kann, als man es sich
eigentlich vorgenommen hatte. Aber Jalil Lespert hegt mit „Yves Saint Laurent“
keinerlei Absichten dahingehend, eine Modeshow für das Kino zu inszenieren,
sondern kümmert sich vordergründig um den Menschen hinter dem visionären
Künstler, der die Damenmode mit seinen legendären Kollektionen auf ein neues
Level hieven konnte. Ihm ist es letztlich auch anzurechnen, dass die Frau von
Welt nun heute ganz selbstverständlich einen Smoking tragen darf, anstatt für
die auserlesene Abendgarderobe mal wieder das kleine Schwarze aus dem Schrank
zu fischen: Eine Herausforderung an das Geschlecht.
Yves, der stille Beobachter
Yves Saint Laurent wurde
Zeit seines Schaffens zum vorbildlichen Symbol der französischen Haute
Couture-Mode und prägte die Modewelt wie auch ihre folgenden Künstler wie
wenige andere. Mit Boutiquen, die sich um den gesamten Globus erstrecken, hat
der Mann sich ein Denkmal für die Ewigkeiten errichtet. Aber das Drehbuch „Yves
Saint Laurent“ empfindet es für kaum erstrebenswert, ein romantisierendes
Loblied auf Saint Laurent zu halten oder sich streng in seinen extravaganten
Modestücken zu verankern. Seine Weltkarriere geschieht quasi auf der narrativen
Nebenstrecke, hier wird mal ein Etuikleid in die Kamera gerückt, dort spenden
die überwältigten Zuschauer dem jungen Mann mal stehende Ovationen. Natürlich
macht es uns „Yves Saint Laurent“ unmissverständlich klar, dass wir es hier mit
einem wahren Genius seiner Gattung zu tun haben, mit einem Menschen, dessen
Klasse angeboren scheint, der sich auf seinen Instinkt verlassen kann. Was
„Yves Saint Laurent“ hingegen brennend interessiert, ist die Person, die die
Bühne verlässt, die in ihren Kreis des Vertrauens zurückkehrt und mit
seelischen Problemen zu ringen hat, die der massenmedialen Öffentlichkeit
verborgen bleiben sollten.
Das Genie bei der Arbeit
Freilich fällt Jalil Lespert Inszenierung höchstgradig gediegen aus und
überzeugt durch edle Aufnahmen, immer wieder unterstützt von Pianoklängen, die
sich ob der emotionalen Geschehnisse im Leben von Yves Saint Laurent und seinem
Lover Pierre Bergé sukzessiv intensivieren. Und damit haben wir auch das
zentrale Thema des Films gefunden: Die unstete Beziehung zwischen Yves und
Pierre. Yves' Talent ist ihm nicht gewiss nicht zu nehmen gewesen, doch ohne
Pierre, der eben nicht nur sein Lebensgefährte war, sondern auch Mentor und
Stütze, wäre ihm die internationale Reputation wohl nicht über diese Lebenszeit
zuteil geworden. Von seinem Armeeeinzug und dem Aufenthalt in Algerien, wo er
schlussendlich in einer Nervenanstalt eingeliefert wurde und mit
Elektroschlägen behandelt, hat sich Saint Laurent nie erholt und konnte seine
psychischen Schmerzen nur medikamentös unterbinden. Aus der Vita des gemobbten
Seminaristen, der bereits mit jungen 26 Jahren Leiter eines Modehauses wurde
und schließlich den Thron der modernen Modewelt für sich in Anspruch nahm,
spinnt „Yves Saint Laurent“ ein intimes Charakter-Drama und Zeitporträt, das
die Charakteristika seiner inzwischen musealen Kollektionen verbindet.
Trauer, Beklommenheit,
Stolz und Freude lassen sich vorfinden. Der dem Drogenrausch einmal zu oft
verfällt, den in den Frühling vernarrt ist und dessen Angst es angeblich ist,
irgendwann mit einer Glatze aufzuwachen. Irgendwann fühlen wir uns diesem Yves
tatsächlich nahe, so intelligent nutzt Lespert den Effekt, seine Geschichte aus
der Perspektive des Pierre Bergé zu entfalten. Dass „Yves Saint Laurent“ am
Ende aber wirklich so blendend funktioniert, liegt an der hervorragenden
Schauspielriege. Pierre Niney verlieht dem Genie ein Gesicht und eignet sich
Saint Laurents Positur mit erschreckender Akkuratesse an – Und hält ebenso dessen
mysteriöse Aura in Ehren! Ihm gegenüber steht Guillaume Gallienne als Pierre
Bergé, Saint Laurents Felsen in der Brandung, seine oftmals rettende Bastion,
die ihn aus dem Tief von Halluzinogenen und suizidalen Gedanken befreite. Und
genauso spielt Gallienne diesen Menschen aus: Jemanden, der keine Prinzipien
besitzt, aber zu seinem Wort steht. In diesem Sinne: Auch wenn die Streifzüge
durch die Geschäfte mit dem Frauchen gerne zur Qual werden, „Yves Saint
Laurent“ ist dennoch eine klare Empfehlung. Auch für echte Männer, wie auch
immer die aussehen sollen.