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Review: LOVE – Unerfüllte Sehnsucht und ekstatisches Treiben

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Fakten:
Love
BE/FR, 2015. Regie & Buch: Gaspar Noé. Mit: Karl Glusman, Aomi Muyock, Klara Kristin, Juan Saavedra, Isabelle Nicou, Gaspar Noé u.a. Länge: 135 Minuten. FSK: ab 18 Jahren freigegeben. Ab 29. Januar auf DVD, Blu-ray und Blu-ray 3D erhältlich.


Story:
Der amerikanische Filmstudent Murphy lebt in Paris. An Neujahr erreicht ihn in die Nachricht, dass seine Ex-Freundin Electra verschwunden ist, mit der er zwei Jahre lang eine tiefe Beziehung führte. Besorgt setzt er alles daran, sie ausfindig zu machen. Gefangen zwischen der Sehnsucht nach seiner verflossenen Liebe und seiner momentanen Situation, in der er mit einer anderen Frau zusammenlebt, die er ungewollt schwängerte, stürzt er sich immer wieder in Erinnerungen und umklammert vergangene Momente.




Meinung:
Wirkliche Rebellen des Kinos sind heutzutage seltener geworden. Die Riege an provokanten Skandalfilmern ist eine überschaubare, doch wenn sich jemand einen Platz unter ihnen gesichert hat, dann auf jeden Fall Gaspar Noé. Der argentinische Regisseur hat im Zeitraum von 17 Jahren gerade einmal vier Spielfilme gedreht, doch nicht einer von ihnen kam ohne handfesten Skandal im Gepäck daher. Das berühmteste Beispiel dürfte "Irréversible" sein, der mit seiner zentralen, in Echtzeit ablaufenden Vergewaltigungssequenz das schockierte Publikum in Cannes bei seiner Weltpremiere scharenweise aus dem Kino-Saal flüchten ließ.


Der große Kampf um das finale M & M
Sein viertes Werk trägt nun aber den schlichten Titel "Love", bei dem man sich unweigerlich die Frage stellt, ob hier wirklich ein gemäßigterer, massentauglicherer Film entstanden ist, der ebenso zärtlich ist wie sein Titel. Auch wenn harte Gewaltexzesse vollständig ausbleiben und der Streifen bei weitem nicht exorbitante Regionen wie sein die Grenzen des Mediums sprengendes Vorgänger-Meisterwerk "Enter the Void" erreicht, ist "Love" nichtsdestotrotz ein typischer Noé geworden. Die Handlung dreht sich um den amerikanischen Filmstudenten Murphy, der in Paris lebt und an Neujahr erfährt, dass seine Ex-Freundin Electra spurlos verschwunden ist. Omi, die Frau, mit der er aktuell sein Leben teilt, hat er aus Versehen geschwängert. Noé setzt nach einer knappen Einleitung eine Odyssee in Gang, in welcher die Erinnerungen und Sehnsüchte von Protagonist Murphy in berauschenden Sequenzen zu einem Strom der Eindrücke, Erlebnisse und Wunschvorstellungen zusammenfließen. Noé´s Intention war es, einen Film über sämtliche Facetten der Liebe an sich zu kreieren, weshalb neben romantischen Momenten auch viele Sex- Szenen, aber ebenso heftige Streit-Momente ihren Weg in die nicht-lineare Erzählung finden.


"Habt ihr auch 'Kevin allein in New York'"?
Das Hauptdarsteller-Trio Karl Glusman, Aomi Muyock und Klara Kristin wurde daher vor allem wegen ihrer Zeigefreudigkeit gecastet. Da sie alle zum ersten Mal vor der Kamera stehen und zudem ein Großteil aller Dialoge improvisiert wurde, hinterlässt "Love" abseits der expliziten Freizügigkeit sowie ekstatischen Momente des ausgelassenen Liebespiels einen ungeschliffenen, gelegentlich hölzernen Eindruck bezüglich der Schauspieler, deren Figuren zusätzlich nicht immer mit allzu sympathischen Eigenschaften versehen wurden. Trotzdem steckt der Film voller roher, ungefilterter Emotionen, die sich unentwegt in positiven wie auch negativen Situationen entladen und dem Geschehen eine ganz eigene Ausstrahlungskraft verleihen. Überhaupt ist "Love" eben ein waschechter Noé, also ein unvergleichlicher Trip, der einen gleichermaßen fordert, auslaugt,berauscht wie berührt. Da geschätzt 40% des Films aus Sex-Szenen besteht, die aufgrund der wieder einmal perfekten Kameraarbeit von Benoît Debie und fantastisch gewählten Songs wieGemälde wirken, werden den Streifen sicherlich nicht wenige als selbstverliebten "Art Porn" verteufeln, was der übergeordneten Handlung allerdings nicht wirklich gerecht wird. Ebenso diskussionswürdig ist die diesmal häufig eingestreute Selbstreferenzialität sowie zahlreiche Rückbezüge auf das eigene Schaffen des Regisseurs, was in Szenen gipfelt, die mal originell, mal albern wirken. Hierdurch wird ebenso deutlich, dass "Love" ein höchst persönliches Werk ist, in dem Noé viele seiner eigenen Erfahrungen verarbeitet und sogar ab und zu augenzwinkernden Humor zulässt.


Ganze sechs Jahre hat er sich wieder Zeit gelassen, doch "Love" ist erneut all das, wofür Gaspar Noé mittlerweile steht. Auch wenn sich der Ruf des pornographischen Sex-Skandal-Films, der dem Streifen ein wenig vorauseilt, als überwiegend überzogen entpuppt, ging der Argentinier wieder einmal kaum Kompromisse ein. Sein Werk, welches eine Irrfahrt durch sämtliche Charakteristiken der Liebe selbst aus rein männlicher Sicht schildert, ist, wie nicht anders zu erwarten war, ein intensives, berauschendes Erlebnis, welches trotz einiger Schwächen eine unbedingte Seherfahrung darstellt.


8 von 10 experimentelle Dreier


von Pat

Review: MENSCHENFEIND - Ich und die Anderen

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Fakten:
Menschenfeind (Seul contre tous)
FR, 1998. Regie & Buch: Gaspar Noé. Mit: Philippe Nahon, Blandine Lenoir, Frankie Pain, Martine Audrain, Jean-Francois Rauger, Guillaume Nicloux, Olivier Doran, Aissa Djabri u.a. Länge: 89 Minuten. FSK: ab 18 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.


Story:
Der Schlachter hat eine sehr bewegte Vergangenheit: Der Vater im KZ gestorben, er als Kind missbraucht, seine erste Frau hat ihn verlassen, er nach dem Totschlag des vermeidlichen Vergewaltigers seiner Tochter inhaftiert. Nach der Entlassung hat er keinen Kontakt mehr zu seinem Kind, ist neu verheiratet, seine "Dicke" wieder schwanger, er von ihr abhängig. Das kotzt ihn so an, dass er einestages eine "Sturzgeburt" einleitet, sich von Lyon zurück nach Paris verkrümelt, um dort endgültig seinem Wahn zu verfallen.





                                                  

Meinung:
Gaspar Noé ist schon ein merkwürdiger Zeitgenosse. Seine Filme sind Bauchschmerzgaranten, da macht sein Kindodebüt "Menschenfeind" auch keine Ausnahme. Im Gegenteil, seine kontroverse Karriere hatte hier seinen ersten Höhepunkt. Wie auch seine späteren Kinofilme "Irreversibel" und "Enter the Void" ist "Menschenfeind" ein schwer verdaubarer Brocken, dem Kritiker und Befürwortern reichlich Nährboden geboten wird. Noé liefert einen merkwürdig-ekelhaften Seelenstriptease hin, der nichts auslässt. Schonungslos wird der Zuschauer in die nihilistische, verstörende, grauenvolle Gedankenwelt des Protagonisten befördert. Eine Identifikation findet (Gott sei Dank) nicht direkt statt, aber es liefert einen Einblick, ohne Kompromisse. 

 


Igitt, Menschen...
An vielen Stellen führen Off-Kommentare des "Schlachters" durch die Geschichte, die so zynisch-vernichtend sind, dass zwischen  Lächeln und ekelerregender Gänsepelle nur Wimpernschläge liegen. Diese Grenzgänger sind wohl ausschlaggebend für die gesamte Wahrnehmung eines Films, der bewusst polarisiert. Noé erzählt weniger einer Geschichte, er seziert einen Geisteszustand, der vielleicht, sogar sehr sicher, überkonstruiert wirkt, aber eben einen Grenzbereich auslotet, wie jeder seiner Filme. Und dieses Tiefseetauchen in den Verstand eines buchstäblichen Menschenfeinds ist so grenzwertig, erschreckend "logisch" (wenn sich denn darauf eingelassen wird) und zerstörend, dass die pure Befremdlichkeit einen gefangen macht.





Noé provoziert direkt, macht dieses aber auch in einer so geschickten Umsetzung, handwerklich wie narrativ, dass dieses zwar bewusst, aber halt als sehr gekonnt angesehen werden sollte. Das ist ja gerade sein Zaubertrick: So widerwärtig alles erscheint, so goutierbar (obwohl niemals verschönend) raspelt er uns den Hass-Käse über das Essen, und wir sind (eventuell) bereit, es zu fressen. Eventuell, denn da liegen wohl Welten zwischen essen und kotzen. Aber unter dem gesamten Elend und Schmerz schimmert ein ganz kurzer Lichtblick... der dann wieder mit einer Wucht an die Wand geworfen wird, das überlebt kein Froschkönig.

 
Dafür kann Noé, der mal wieder ein sehr merkwürdiges Bild von Sexualität und der Frauenfigur an den Tag legt, geliebt oder gehasst werden. Von Liebe würde ich jetzt auch nicht sprechen, aber grundsätzliches Interesse und der Ehrfurcht vor so viel handwerklichem Talent habe ich schon. Eine Diskussion mit Noé und einer erlesenen Gruppe von Feministinnen würde ich gerne beiwohnen.

8 von 10 Schlägen in den Magen