Review: 1001 GRAMM - Das Leben neu kalibrieren




Fakten:
1001 Gramm (1001 Gram)
Norwegen, BRD. 2014. Regie und Buch: Bent Hamer. Mit: Ane Dahl Torp, Laurent Stocker, Per Christian Ellefsen, Magne-Håvard Brekke, Stein Winge, Hildegun Riise, Peter Hudson u.a. Länge: 87 Minuten. FSK: freigegeben ohne Altersbeschränkung. Ab 19. Juni 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Als Mitarbeiterin des norwegischen Eichamts reist Marie durch das Land, um Messgeräte zu kontrollieren. Ob Briefwaage oder Benzinpumpe, Marie registriert jede Abweichung. Einzig ihr Privatleben bleibt dabei auf der Strecke. Eines Tages jedoch führt das Schicksal Marie nach Paris. Eine Reise, die nicht ohne Folgen bleibt. Denn in der sommerlichen französischen Hauptstadt wird selbst die sonst so gewissenhafte und zurückgenommene Marie von ihren Gefühlen eingeholt.





Meinung:
Der Name Bent Hamer steht wie kein anderer für skurrile Filme mit warmherzigem Kern. Ob nun „Kitchen Stories“, „Home for Christmas“ oder „O’Horton“, all diese Werke besaßen hinter ihrer vorderen, absonderlichen Fassade einen liebenswert wärmenden Kern. Genau so ist dies auch bei „1001 Gramm“, in dem die Mitarbeitern des norwegischen Eichamts in Paris das Referenzkilogramm ihres Landes neu kalibrieren lassen soll und in der Stadt der Liebe, nicht nur diese findet, sondern auch endgültig über einen persönlichen, tragischen Verlust hinweg kommt.


Eichämtler unter sich
Für viele Zuschauer wird sich „1001 Gramm“ gewiss mehr wie ein Drama anfühlen. Wer aber ein Gespür sowie eine gewisse Sympathie gegenüber trockenem Witz mitbringt, wird – wie so oft bei Hamer – die meiste Zeit schmunzelnd verbringen: Etwa wenn Hamer Humor durch fast schon perplexe, geographische Perfektion erschafft, oder das Zusammentreffen der Vertreter diverser Landeseichämter zu einem Gipfeltreffen von herrlich irritierender Adäquatheit und Contenance wird. Der Fokus liegt bei „1001 Gramm“ jedoch keinesfalls nur auf solchen komödiantischen Einfällen, sondern auf Hauptfigur Marie, gespielt von Ane Dahl Torp, die innerhalb ihrer Heimat ein waschechter Superstar ist. „1001 Gramm“ erzählt davon, wie es der mitten im Leben stehenden Frau gelingt ihren trockenen, höchst wissenschaftlichen und emotionslosen Beruf mit ihrer eigenen Persönlichkeit in Einklang zu bringen. Es geht um persönliche Emanzipation, den Vorgang der Weiterentwicklung, der hier auch ein stiller aber kraftvoller Befreiungsschlag ist, den Hamer dazu auf seine ganz eigene Art fast schon romantisch in Szene setzt.


Der Genauigkeit verpflichtet: Marie und ihre ausländischen Kollegen
Interessant ist dabei vor allem die Ausstrahlung von Marie: Zu jedweder Zeit lassen sich beide Facetten ihres Leben genau erkennen. Es scheint bei ihr keine isolierte Kanalisierung zu geben, nur den Versuch für die gerade passende Situation. Auch ihre Einsamkeit ist stets präsent. Mal durch Blicke oder Gesten, ein anderes Mal durch die szenische Verwendung von von engen Räumen. Dabei fällt auf, dass Marie vor ihrer Reise nach Paris meist nur dann befreit wirkt, wenn sie sich entweder in der Enge befindet oder mit ihrem Vater agiert. Nachdem dieser stirbt bricht, verstärkt durch ihre Trauer und den beruflichen Druck dennoch professionell zu bleiben, ihre unsichtbare Wand ein wenig ein. Es entstehen Risse, die dann in der Stadt der Liebe peu à peu größer werden. Hamer macht aus „1001 Gramm“ aber keine klassische Romanze. Vielleicht ist es sein trockener Witz, dass gerade das Thema Liebe und Verlieben fast schon in gedrosselten wie unaufgeregten Bahnen geschieht. Gefühlsexplosion, wie man sie aus überschwänglichem Kitschkino kennt, gibt es nicht. Dafür, wie im Rest des Filmes auch, viele Möglichkeiten den Film zu interpretieren.


„1001 Gramm“ ist gewiss nicht Bent Hamers bester Film, ja vielleicht sogar einer seiner schwächsten, aber er besitzt genügend Eigenheit in Verbindung mit einer dezent faszinierenden Mehrwertigkeit, dass auch diese Geschichte einen Blick lohnt. Man muss nur den Willen und die Verve haben sich darauf einzulassen. „1001 Gramm“ ist kein loderndes komödiantisches Feuer, sondern mehr ein stetiges Dimmen voller Skurrilität und verborgener Wärme. Ohne Zweifel hat Regisseur Bent Hamer hiermit kein zweiten „Kitchen Stories“ erschaffen, aber zumindest einen Film, der etwas besitzt, was heute durchaus ein Seltenheitswert ist: seine ganz speziellen Eigenheiten. Wer das mag und ein Faible für trockenen Witz, diskrete Melancholie und dezente Ausartungen des Grotesken hat, sollte mit „1001 Gramm“ zufrieden sein.


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