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Review: TAXI DRIVER – Einsam und verloren im Großstadtdschungel

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Fakten:
Taxi Driver
USA. 1976. Regie: Martin Scorsese. Buch: Paul Schrader. Mit: Robert DeNiro, Jodie Foster, Cybill Shepard, Harvey Keitel, Peter Boyle, Albert Brooks, Martin Scorsese, Leonard Harris u.a. Länge: 114 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Vietnamveteran Travis Bickle kann nicht schlafen. Die Nacht nutzt er deshalb dafür als Taxifahrer Geld zu verdienen. Auf seinen Touren bekommt er es mit der ganzen menschlichen Bandbreite New Yorks zu tun. Als er sich in die Wahlkampfhelferin Betsy verliebt, scheint Travis Leben wieder so etwas wie einen Sinn zu bekommen.





Meinung:
Martin Scorsese („Departed – Unter Feinden“) entführt uns in die besudelten Straßen des 1970er Jahre New York City. Belebt und simultan zerstört vom asozialen Abschaum, der noch nicht im elendigen Sumpf der Metropole untergegangen ist. Die Kamera streift elegisch durch den schwarzen, verqualmten Strudel und saugt uns ein. Lässt uns zusammen mit Travis Bickle (Robert De Niro, „Wie ein wilder Stier“) auf einen kräftigen Regen warten, so stark, dass er das Gesindel und das Pack in seiner Erbärmlichkeit von den Straßen spült, um sie endlich zu reinzuwaschen. Der widerliche Gestank, der in der Luft steht, muss von einem unaufhaltsamen und gnadenlos fauchenden Orkan weggeblasen werden, damit auch wir uns in einer besseren Welt wiederfinden dürfen: Travis könnte dieser Orkan sein, ein in beharrlicher Massivität prustende Sturm.


Wären Handys im Saal würde Travis die echte Wumme auspacken
Travis lebt in seiner ganz eigenen Welt. Seelisch gezeichnet von einem schweren Kriegstrauma und einer unausweichlichen Einsamkeit, die Travis begleitet, seitdem er selbstständig denken kann. Nachts besteigt er seinen Blechsarg auf vier Rädern, die dunkelsten Ecken und Viertel werden zu seinem Revier. Genau die Ecken, Bezirke, Viertel und Straßen, denen er mit so viel Hass begegnet, dessen hiesigen Pöbel er ausrotten möchte – Alles miteinander! Für Travis Bickle sind diese Menschen keine Menschen, die Huren, Betrüger, Amateurnutten, Sodomiten, Trinen, Schwuchteln, Drogensüchtige, Fixer und die kaputten Syphkranke sind Dreck, der am Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette kauert und entsorgen werden muss. Nach Einbruch der Dunkelheit treibt er sich in schmuddeligen Pornokinos herum, zurückgezogen in sein kaltes, verlorenen Herz und nur die hübsche Wahlkämpferin Betsy kann ihm aus seinem Loch retten – Der Engel in der Finsternis, die vermeintliche Erlösung, das helle Licht in alles verschlingender Finsternis.


Harten Tag gehabt: Travis hängt ab
Doch mit Betsy und Travis konfligieren zwei Typen von Menschen, die sich in ihren Gegensätzen nicht anziehen, sondern abstoßen: Sie besitzt noch Gefühle, besitzt aufrichtige Ideale, er ist apathisch und ein aus sozialen Strukturen ausgestoßener, ganz eigen und unfähig, sich in seiner Umwelt zurechtzufinden. „Taxi Driver“, die analytische Reflexion über die Einsamkeit. Kocht Travis' Wut auf, eine Wut, ein Zorn, eine Abscheu und Animosität gegen die Menschen und die Welt, die sie aus ihr gemacht haben. Alles scheint verpestet und verkommen, verrohrt und abgestumpft. Wenn Travis die 12-jährige Prostituierte Iros (Jodie Foster, „Der Gott des Gemetzels“) kennenlernt und sich mit ihren Lebensumständen vertraut macht, erschleicht ihn ein Gefühl der Verantwortung, der Zivilcourage. Er will ihr helfen, sie aus dem Schmutz ziehen und ihr einen Ausweg ermöglichen. Einen Ausweg, den Travis selbst nur noch durch blanke Gewalt zu ermöglichen glaubt. Und er macht sich bereit: Stählert seinen Körper, wappnet sich mit dem nötigen Equipment, schneidet sich in seine ikonische Irokesenfrisur. Er muss sich abgrenzen, um wieder Teil des Gesellschaftsgefüge zu werden.


Travis und Betsy - hat diese Beziehung eine Zukunft?
Paul Schraders Drehbuch lässt Travis Bickle in Ambivalenzen, in Widersprüchen rotieren und kreiert einen so vielschichtigen wie komplizierten Charakter. Seiner Aversion gegen die Nachtwelt von New York geht er nicht aus dem Weg, sondern stürzt sich direkt in sie hinein, in dem er nur in der Nacht arbeiten möchte, permanent in Kontakt mit dem sabbernden Dreckspack. Er verachtet die dreckige Kultur der Gegenwart, streunt aber immerzu durch die Pornokinos, wird anonymer Teil der Perversen. Travis wehrt sich dagegen, in dieser abgründigen Welt zu leben, doch er ist schon längst in ihr verwurzelt. Und um diesen verlotterten, amoralischen Kosmos zu befreien, muss er ihn ebenso vor sich schützen. Und wo befindet sich unser Standpunkt bei dieser Geschichte rundum Travis? Bezogen auf die letzten 20 Minuten, die in ihrer Visualisierung wir ein extremer Hammerschlag auf den Zuschauer poltern. Wie weit können wir uns in diese Handlungen hineinversetzen, inwiefern können wir seine Motivation nachvollziehen, wenn man jeden Tag, immer und immer wieder, in menschliche Abgründe blicken muss? Wie weit werden wir selber zu einem Teil von Travis und weit sind wir schon selbst leblose Fragmente dieser Unterwelt?


Travis, und auch darin bewahrt sich „Taxi Driver“ eine packende Zwiespältigkeit, die unbedingt zum Austausch miteinander einlädt, ist kein Held, nicht im Ansatz. Hat er in der Zeit, in der wie ihn verfolgten, überhaupt etwas richtig gemacht? Ja, denn er hat gehandelt. Ob richtig oder falsch steht nicht zur Debatte. Erst einmal nicht. Er tat das, was viele Personen in höheren und einflussreicheren Positionen längst hätten tun sollen: Ein Zeichen setzen. Das mag sich reaktionär und weltfremd anhören, ist aber gewiss nicht die Tonalität, in der sich „Taxi Driver“ wohlfühlt. Die Themen sind zu brisant, um sie auf den kleinstmöglichen Nenner zu reduzieren, die Ausführungen des gesamten Filmes liegen zu schwer im Magen, als dass man sie in derartiger Undifferenziertheit munden lassen könnte. Wenn die letzten Minuten einen tiefen Krater in unser Inneres gerissen haben, lässt „Taxi Diver“ Raum zur freien Interpretation: Realität oder doch die ausgebaute Utopie des Travis Bickle? Eine Entscheidung, die dem Zuschauer selbst überlassen ist. Fakt ist allerdings: „Taxi Driver“ ist Kino in größtmöglicher Brillanz. Unvergleichlich und unerreichbar.


10 von 10 Gesprächen mit dem Spiegelbild 


von souli

Review: MILIUS - Erfassungsversuch des Barbaren Hollywoods

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Fakten:
Milius
USA. 2013. Regie: Zak Knutson, Joey Figueroa. Mit: John Milius, Steven Spielberg, Martin Scorsese, Bryan Singer, Kurt Sutter, Harrison Ford, Oliver Stone, Sam Elliot, Paul Schrader, George Lucas, Sylvester Stallone, Walter Murch u.a. Länge: 101 Minuten. FSK: keine Freigabe. Auf DVD (Import) erhältlich.


Story:
Dokumentation über Autor und Regisseur John Milius, der in den 1970ern beteiligt an einigen Filmklassikern war und noch heute als eine besondere Persönlichkeit Hollywoods zählt.





Meinung:
John Milius prägte wie kein anderer die Rezeption des Mannes im Hollywoodfilm der 70er und 80er, sei es als Drehbuchautor mit Filmen wie “Dirty Harry“ (‘Do I feel lucky? Well, do ya, punk?’) oder “Apocalypse Now“ (‘I love the smell of napalm in the morning.’) oder zusätzlich als Regisseur von Conan der Barbar oder Die rote Flut. Das Publikum, das er bei seinen Arbeiten vor Augen hatte, war offensichtlich, wie Sam Elliot es auf den Punkt bringt:‘He doesn’t write for pussies and he doesn’t write for women. he writes for men, because he’s a man.‘


Hat Rambo in der Hand, aber nicht inszeniert: John Milius
John Milius studierte mit einem wegweisenden Filmemacher wie George Lucas an der University of Southern California und wurde in einem Zug mit den anderen Größen des New Hollywood genannt, wie Paul Schrader, Francis Ford Coppola oder Martin Scorsese. In zahlreichen Interviews kommen diese Filmemacher in Milius zu Wort, aber auch andere Wegbegleiter, wie Arnold Schwarzenegger oder Harrison Ford, aber auch jüngere Regisseure, die Milius beeinflusst hat, wie Bryan Singer. Ausgespart in der Doku wird aber auch nicht die Kritik an dem Waffennarr, der aufgrund seiner mitunter radikalen Ansichten lange Zeit in Hollywood eine persona non grata war. Ich kann da nur für mich sprechen, aber: man will doch so gerne mal ein echtes, saftiges Portrait über den selbsternannten 'Zen-Anarchisten' John Milius sehen, nicht bloß ein Standard-Doku-Feature voller berühmter Talking-Heads, die ihm attestieren, wieviel er für seine Generation und Nachfahren an Filmemachern geleistet hat, nich wahr? Auf so eine Legendenbildung für sich selbst legt er ja trotz seiner Faszination für eben jene historischen Happenings keinen Wert. Ich versteh's schon: die ganzen verrückten und affengeilen Anekdoten über seine Person, die hier über mehrere Industry Players hinweg zusammengesammelt werden, beherbergen eine im wahrsten Sinne sagenhafte Qualität, als Geschichten, die man ehrfürchtig am Lagerfeuer vorm Eintritt ins Gefecht des Filmemachens erzählt.


Waffennarr Milius schießt gerne scharf
Letztendlich ist das aber auch nur meist schwelgerisch-eierkraulender Mythos-Chic per Oral-History und sicherlich unvermeidlich, wenn man sich mit so einer Larger-than-Life Persönlichkeit befasst, die schamlos und vom Herzen aus den (auch ab und an mal selbstkritischen) furchtlosen Badass-Warrior-Spirit im neuen Hollywood etablierte und lebte - ein Hunter S. Thompson des Zelluloids. Aber es würde schon reichen, wenn er sich schlicht selbst erklärt, denn in jenen Segmenten davon, die man in diesem Film aufgearbeitet hat, erfährt man alles, was man wissen muss. Als interessierter Zuschauer sollte man es schon hinkriegen, die Selbstdarstellung Milius' angemessen reflektieren und entschlüsseln zu können, erst recht, da er sich entgegen allgemeiner Meinung sogar echt bescheiden ausdrückt - zwar immer mit ner dicken Zigarre in petto, aber damit kann man schon umgehen. Die Coolness, die er ausstrahlt, ist ihm nämlich schon einigermaßen angeboren. Aber nee, immer mehr Legenden aus zweiter bis dritter Hand drauf türmen, so wird's gemacht. Das an sich wäre gar nicht mal so sehr das Problem - ein grandioses, übermenschliches Monument für diesen kompromisslosen und kontroversen Filmemacher? Immer her damit, wir möchten weiterhin von ihm begeistert und inspiriert werden!


Milius unterweist Schwarzenegger beim Dreh zu "Conan - Der Barbar"
Doch die Regisseure Joey Figueroa und Zak Knutson betten das alles in so einen konventionellen Narrativ im gängigsten Doku-Stil ein, dass man zwar eine kohärente, impressionistische Chronologie vom Leben und Wirken des Milius erfährt, aber nur bedingt die wahren Innereien hinter all den Philosophien seiner Werke und seiner Person, am ehesten immerhin einen enthusiastischen Eindruck dafür, denn tolle Stories, prickelnde Making-Of-Fetzen, genügend gleichgesinnt-offene Interviewpartner mit Eiern jenseits der politischen Korrektheit (besonders erwähnenswert: Powers Boothe, Sam Elliott, Clint Eastwood und sogar ein bisschen Ed O'Neill) und die Filme als Parallelen dazu gibt's ja genug - nur der 100-Minuten-Rahmen muss eingehalten werden und zum Schluss müssen wir noch sehen, wie tapfer er seinen Schlaganfall übersteht, inkl. Tearjerker-Selbstverständlichkeiten und Epilog-Texttafeln für den hoffnungsvollen Abgang (bezeichnenderweise holt dann auch Meister Spielberg im Interview die emotional strings raus). Warum so formelhaft, Herrgott nochmal? Milius' Figuren, so hart sie auch alle sind, haben selbstverständlich ebenfalls Schwächen, das gibt er auch für sich selbst offen zu, aber deshalb brauchen sie inszenatorisch gesehen noch lange keine warme Decke und gutmeinend-sentimentale Motivationssprüche oben drauf - die bleiben nicht in ihrer Tristesse stecken, sondern gehen unbeirrt weiter, da ist er ja selber der beste Beweis dafür, mit Zigarre in der Hand und breitem Grinsen im Gesicht.


Da spricht aber nur der Idealist in mir, so wie der Film 'MILIUS' in seiner Fassung ist, ist er zwar sicheres, aber gut abgeglichenes Entertainment mit einer äußerst illustren Persönlichkeit im Fokus. Er könnte aber noch stärker sein - die Stärke eines John Milius könnte er aber so oder so wahrscheinlich nie erreichen, die Crux ist mir bewusst.


6 von 10 Zigarren


vom Witte

Review: DIE ZEIT NACH MITTERNACHT – Martin Scorsese macht die Nacht zum Tage

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Fakten:
Die Zeit nach Mitternacht (After Hours)
USA. 1985. Regie: Martin Scorsese. Buch: Joseph Minion.
Mit: Griffin Dunne, Rosanna Arquette, Linda Fiorentino, Verna Bloom, Teri Garr, Cathrine O’Hara, John Heard, Cheech Marin, Tommy Chong, Will Patton, Dick Miller, Bronson Pinchot, Victor Argo, Larry Block, Clarence Felder u.a. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Paul trifft Marcy. Marcy lädt Paul zu einer befreundeten Künstlerin ein. Soweit so gut und so alltäglich. Doch der Weg zur Künstlerin wird für Paul zu einer Nacht voller Missgeschicke, Tragödien, Absonderheiten und Chaos.





Meinung:
Den echten Anhängern von Martin Scorsese ist „Die Zeit nach Mitternacht“ natürlich ein Begriff, wenngleich seine schwarzhumorige Odyssee durch die suburbanen Straßen des nächtlichen Manhattans im Schaffen des Meisters fortwährend ein einsames Nebendasein zu fristen hat. Nach einem Drehbuch des nach wie vor unbekannt gebliebenen Columbia-Absolventen Joseph Minion, stapelt Scorsese mit „Die Zeit nach Mitternacht“ vorerst in jederlei Hinsicht recht tief. Das Budget gleicht einem Low-Budget-Streifen, die Schauspieler kommen nicht dem Kaliber eines Robert De Niros, Harvey Keitels oder auch eines Jerry Lewis‘ gleich; und allgemein lässt sich „Die Zeit nach Mitternacht“ als untypische Arbeit für Scorsese identifizieren. Seine Handschrift ist allerdings unverkennbar, genau wie man von dem Italoamerikaner nie behaupten dürfte, er wisse nicht, wie man einen Film ordentlich aufzieht. Immerhin ist „Die Zeit nach Mitternacht“ auch der Ursprung der  Kollaboration zwischen Martin Scorsese und dem Berliner Kameramann Michael Ballhaus.


Nur Gekritzel oder doch eine gezeichnete Ahnung?
Scorseses Affinität für fulminante, dedizierte und extravagante Persönlichkeiten wird in „Die Zeit nach Mitternacht“ ebenfalls nicht zelebriert. Es ist eher eine Außenseitergeschichte, gewiss nicht von der Härte und dem Tiefgang eines „Taxi Driver“ angetrieben, sondern eher – in Bezug auf all die impulsiven und exaltierten Egomanen, aber auch in Bezug auf Travis Bickle  -  ein Film, dessen Hauptfigur aus dem Blickwinkel der Gegenüberstellung prinzipiell äußerst reziprok charakterisiert wird. Paul Hackett (Griffin Dunne) ist ein stinknormaler Jedermann, ein Programmierer, gefesselt an seinen Röhrenmonitor und bestimmt von einer Welt, die sich einzig durch ihre materielle Wertevorstellungen definiert. Das Großraumbüro seiner Arbeitsstelle ist der Fundus der Monotonie und die einzige Möglichkeit für Paul, der Tristesse eine Auszeit zu gönnen, ist das Schmökern in den Romanen des Henry Miller. Es kommt nicht von ungefähr, dass es gerade ein Buch von Henry Miller sein wird, welches für Paul den Katalysator darstellt, der ihn aus seiner geordneten Realität hebelt.


Marcy und Paul vereint
Seine Begegnung mit Marcy (Rosanna Arquette), ebenfalls Millerfan, genau an dem Abend, an dem er sich einmal dazu entschieden hat, sein Buch nicht in der engen Wohnung zu verschlingen, reißt den introvertierten Paul aus seinen linearen Fugen des Alltags. Und nachdem er zu Beginn noch den anregenden Ausklang im Bett der aufgeschlossenen Fremden wittert, kommt schließlich alles ganz anders, als er es sich ausgemalt hat. Mehr sei nicht verraten, interessant wird es aber, wenn man sich im Nachhinein damit beschäftigt, welche Entwicklungen das Chaos des Paul Hacketts annehmen wird, wie diese gedeutet werden können, in welche Richtung Minions Skript nun tatsächlich denkt und welche Perspektiven zur eigenen Interpretation sich in der sukzessiven Handhabung auftun. Vorteilhaft für die fragmentarische Erzählung ist, dass die Übergänge innerhalb einzelner Episoden nicht den inszenatorischen roten Faden seitens Scorsese torpedieren und der Verlauf zwar in seiner Absurdität abwechslungsreich erscheint, aber nie ziellos, weil „Die Zeit nach Mitternacht“ eben nicht in der Akkumulation der Absonderlichkeiten verweilen möchte.


Wichtig ist es auch, wie sich der Film als Komödie definiert, seinem eigentlich ernsten Subtext über den Eskapismus von Paul – der nie zur stumpfen Karikatur der skurrilen Mächte verkommt -, der turbulente Ausmaße annimmt und doch wieder in der Normalität strandet, aber jede klamaukige Überzeichnung förderlich vermeidet. „Die Zeit nach Mitternacht“ verfällt in seinen besten Momenten in einen surrealen Zustand, der den Traummotiven eines David Lynchs („Lost Highway“) gefährliche nahe auf die Schliche kommt, nur, dass die komödiantische Note als klares Bindeglied zwischen Zuschauer und Film fungiert und diesen so nicht komplett aus den Angeln hebt. Es sind jedoch nicht die Dimensionen des Unterbewusstseins, die ausgelotet werden respektive Paul in sich verschlingen. Es ist die Frage, Referenzen an Kafka weisen den Pfad ins Ungewisse, wie sich Traum und Wirklichkeit sich in Pauls Erlebnissen proportionieren. Ist überhaupt irgendwas wahrhaftig oder doch nur die Projektion des Verlangens nach Abwechslung? Verübeln kann man es ihm nicht.


7,5 von 10 menschlichen Skulpturen


von souli

Review: WIE EIN WILDER STIER – Die Reise in ein schwarzes Herz

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Fakten:
Wie ein wilder Stier (Raging Bull)
USA. 1980. Regie: Martin Scorsese. Buch: Paul Schrader.
Mit: Robert DeNiro, Joe Pesci, Cathy Moriarty, Frank Vincent, Nicholas Colasanto, Mario Gallo, Theresa Saldana, Frank Adonis u.a Länge: 124 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Der  Mittelgewichtsboxer Jake LaMotta stammt aus bescheidenen Verhältnissen und kämpft sich vom Mief Little Italys hoch, bis zum Weltmeisterschaftstitel. Doch der Ruhm steigt ihm zu Kopf und Jake richtet seine Wut und Aggression nicht nur gegen seine Feinde im Ring, sondern auch gegen die Menschen die er liebt. Es kommt zum Zerwürfnis u.a. mit seinem Bruder und Manager.





Meinung:
Jack La Motta (Robert De Niro) ist einer dieser Menschen, die nicht mit Kritik an ihrer Person umgehen können. Er kann es einfach nicht akzeptieren, wenn er in irgendeiner Art und Weise von seiner Umwelt infrage gestellt wird, wenn er nicht von den Menschen gefürchtet und geachtet wird, weil er einfach nicht in der Lage ist, sein eigenes Verhalten zu kontrollieren, weil er unfähig zur Selbstreflexion ist. La Motta ist ein Tier, ein in seinem Vorgehen auf den animalischen Urinstinkt reduziert und davon komplett dirigiertes Monstrum, welches nur den direkten, den explosiven Weg kennt. Er lässt sich von Misstrauen, Tyrannei, Eifersucht und blankem Zorn leiten, doch all das ist es auch, was ihn verlernen lässt, was leben wirklich bedeutet. Die Folgen sind absehbar, denn ein Mensch, der keinerlei zwischenmenschliche Werte schätzen kann, für den Dankbarkeit, Zärtlichkeit und Nächstenliebe Fremdworte sind, endet nun mal wie ein Versager in der Einsamkeit. La Motta gewinnt den Titel, doch er verliert all das, was seinem Leben einen wirklichen Sinn geben hätte können.


Jake versucht sich im Alter als Komiker
Martin Scorsese dokumentiert das Milieu, in dem Jack La Motta aufwächst, durch ungemein persönliche Erfahrungen, denn wie auch der Weltmeister im Mittelgewicht, entsprang die lebende Filmlegende ebenfalls der Gosse von Little Italy. Sein „Wie ein wilder Stier“ ist eine bleischwere, tiefgehende und in seiner präzisen Zielstrebigkeit beeindruckende Psycho- und Sozialstudie, die den Zuschauer in die schwarze Seele des Jack La Motta zieht. Sein Werdegang, gezeichnet von Überheblichkeit und Egoismus, ist ein langer, mühseliger Sturz in die Leere. Echte Größen wissen nach einem solchen herben Sturz wieder auf die Beine zu finden, La Motta aber bleibt zu Recht liegen, weil er seine Rechnung ohne die Ausmaße der Realität gemacht hat – Und die holen ihn schließlich ein. Es schmerzt dabei zuzusehen, wie Jack La Motta die Menschen verletzt, denen er wichtig war, wie er sein privates Umfeld eigenhändig zerbricht. Erst verlässt ihn sein Bruder, dann geht seine Frau Vickie, nachdem sie bereits unzählige Mal Opfer seiner Wutanfälle wurde.


Steckt ein, teilt aus: Jake LaMotta
La Motta meint zu wissen, in welche Richtung er sich bewegen muss: Immer nach vorne. Mit eiserner Faust, immer weiter nach vorne. Je weiter er sich hochkämpft, desto extremer steigt ihm der Ruhm zu Kopf, und doch ist es immer nur er selbst, der irgendeine Bedeutung für ihn hat. Hilfe hat ein Jack La Motta nicht nötig. Stimmt. Denn jede Hilfe würde an den scharfen Klippen seines Egomanie zerschellen. Zufriedenheit ist schließlich auch noch irgendwo vorhaben, nur tritt diese erst dann auf, wenn La Motta seine Gegner in ihrem eigenen Blut schwimmend auf dem Boden des Rings sieht. Das Gefühl der Unsterblichkeit, der Erhabenheit erwacht. „Wie ein wilder Stier“ offenbart eine Reise in die Selbstzerstörung, in die Selbstdemontage. Irgendwann, wie es nun mal jedem Sportler so ergeht, muss er darauf verzichten und einen neues Mittel finden, um sich in den Mittelpunkt zu drängen. Als fetter Nachtclubbesitzer ist La Motta längst eine gebrochene Persönlichkeit, doch Beistand oder Mitleid gibt es für ihn von keiner Seite. Sein größter Feind war es sich immer selbst und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.


Was soll man von einem Menschen halten, der doch eine Vorbildsfunktion vertritt und die Rolle des familiären Alphatiers tragen sollte, diesen Dinge aber vehement abschwört und sich von der Verantwortung immerzu abkapselt? Wie soll man zu einem Menschen stehen, der Prügel wegsteckt wie kein zweiter, egal wie krachend die Fäuste in sein Gesicht donnern, La Motta bleibt stehen und schickt seinen Gegenspieler auf die Bretter, doch bei kleinsten Zwischentöne schon platzt? Soll man ihm als Sportler Anerkennung schenken? Soll man Anteilnahme an seinem Schicksal zeigen, weil er es eigentlich nicht besser gewusst hatte? Soll man La Motta verachten und verfluchen, weil er so ein widerwärtiges Ungetüm war? In jedem Fall sollte man Scorsese dankbar sein, dass er es dem Zuschauer ermöglicht, sich selbst eine Meinung zu bilden und der barbarischen Seele La Mottas letztendlich nicht einem Urteil unterziehen muss. „Wie ein wilder Stier“ ist schonungslos, aber das macht ihn ehrlich, und weil er Glorifizierungen und eine falsche Moralhaltung nicht nötig hat, ist er auch ein ebenso eindringliches Meisterwerk in jeder Hinsicht.


9 von 10 geschwollenen Augen


von souli