Review: DOCTOR STRANGE – Kommt ein Arzt ins Multiversum...


Fakten:
Doctor Strange
USA. 2016. Regie: Scott Derrickson. Buch: C. Robert Cargill, Jon Spaihts,Scottt Derrickson. Mit: Benedict Cumberbatch, Chiwetel Ejiofor, Rachel McAdams, Benedict Wong, Mads Mikkelsen, Tilda Swinton, Michael Stuhlbarg, Benjamin Bratt, Scott Adkins, Zara Phythian, Alaa Safi, Katrina Durden, Topo Wresniwiro, Umit Ulgen, Linda Louise Duan, Mark Anthony Brighton u.a. Länge: 115 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 9. März 2017 auf DVD, Blu-ray und Blu-ray 3D erhältlich.


Story:
„Doctor Strange“ erzählt von dem egozentrischen Neurochirurgen Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch), der nach einem Autounfall nicht mehr operieren kann, da seine Hände verletzt wurden. Verzweifelt begibt er sich nach Tibet zu der Einsiedlerin The Ancient One (Tilda Swinton), von der er sich Heilung verspricht. The Ancient One verwehrt ihm jedoch seinen Wunsch und ist zudem nicht nur eine Eremitin, sondern auch die magische Verteidigerin der Welt. Sie unterrichtet Doctor Strange in den mythischen Zauberkräften und bildet ihn zum Obersten Zauberer, zum Sorcerer Supreme, aus. Doch ein weiterer Schützling von The Ancient One, Baron Mordo (Chiwetel Ejiofor), könnte für Doctor Strange zu einer großen Gefahr werden.





Kritik:
Marvel wird endlich ehrlich! Oder zumindest teilweise, vor allem in zweierlei Hinsicht, wenn es um Neuling „Doctor Strange“ geht. So ist zum Einen im Presseheft weniger von einem Film, denn von einem Event die Rede, was die nicht allzu großen Anstrengungen in Sachen abgewetzter Dramaturgie im Vergleich zu den spektakulären Spezialeffekten motiviert. Zum Anderen gerät der Bösewicht des magischen Helden dadurch in die Bredouille, dass Strange ihn zum Gefangenen der Zeit macht, in welcher sich das Prozedere vom Erscheinen jenes Doktors bis ins Unendliche wiederholt, weil dieser zur Rettung der Erde schlicht nicht locker lassen kann. Die ungefähre Bewusstwerdung des Wiederkäuer-Franchise ist Scott Derrickson zu verdanken – sonst immer auf Horrorfilme („Sinister“) und den gelegentlichen Blockbuster-Gau („Der Tag, an dem die Erde stillstand“, 2008) abonniert, versucht er nun, den mystischen Touch im Superhelden-Genre zu etablieren, was er in vielerlei Hinsicht aus der Multiversums-These zu gründen versteht. Es wird da schon bezeichnend, dass dauernd von minimal variierten Dimensionen an parallelen Welten die Rede ist, wo hier doch das geläufige Narrativ der Heldensage/Origin-Topoi in gewohnter Manier das Abenteuer der Weltenrettung anvisiert, welches Derrickson jedoch seinem Metier gemäß schon früh mit Profundem wie „Orlac's Hände“ zu verbandeln scheint.

 
Mit Tapetenmuster der  1970er zur inneren Erleuchtung
Der talentierte und (sporadisch) gewitzte Chirurg Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) wacht nämlich nach einem folgenschwer computeranimierten Autounfall ohne Gefühl in seinen arg verunglückten Händen auf, welche bis dahin eben seine gesamte Behandlungskunst ausmachten. So sehr Regisseur Derrickson via jenem Milieu blutige Eindrücke des klinischen Horrors - auch mal mit suggestiver Dimensionsverschachtelung per Röntgenbild - in die Disney-Produktion einzuschmuggeln versucht, werden dem Stranger leider keine mörderischen Spenderhände angenäht. Stattdessen muss ein anderer Weg jenseits westlicher Medizin herhalten, welcher unseren Stephen auf eine Reise nach „Batman Begins“-Manier zusteuern lässt, die sich fortan zwischen Versatzstücken aus „Matrix“, „Inception“, „Casper“ und „Duell der Magier“ einzupegeln versucht. Jene Etablierung ist gewiss kein Kinderspiel, schließlich gibt sich Derrickson in seiner Inszenierung zwar geerdeter als manch anderer Kollege aus dem näheren Umfeld, flacht anhand dessen allerdings des Öfteren in der Dynamik ab. Diese will sich grundsätzlich im Kanon der „Avengers“-Bande wissen, beißt in krampfhaft konstruierten Charaktermomenten aber erst recht auf Granit, wenn der Dialog mit eingebauten Witzen aufzutrumpfen vermag, die man eben wortwörtlich nur als eingebaut bezeichnen kann - tolle Leistung, Dan Harmon...

 
Doctor Strange setzt auf Stil und Innenarchitektur
Eine Schande bei dem Ensemble, möchte man meinen, doch selbst wenn sich potenziell illustre Figuren wie Strange-Kollegin/Ex Christine Palmer (Rachel McAdams), der mysteriöse Zauberkrieger Mordo (Chiwetel Ejiofor) oder Die Älteste (Tilda Swinton) auf des verzweifelten Doktors Pfad der Erkenntnis versammeln, bleiben diese stets der umfassenden Mythologie unterworfen sowie teilweise ungenutzt zurück. Immerhin hat der Film seine thematischen Grundpfeiler sicher im Griff, wenn so oft auf Stranges Verhältnis zur Zeit hingewiesen wird, bis er eben Stück für Stück zum Meister eben dieser avanciert und somit ein gewisses Kurzweil aus Lernprozessen inklusive dimensional biegsamer Action schöpfen kann. Die Zeit drängt ohnehin, da der abtrünnige Magierscherge Kaecilius (Mads Mikkelsen - eindimensional, wenn auch ein bisschen sarkastisch) mit seinen Lakaien finstere Mächte heraufbeschwört, doch bis dahin dürfen trotzdem noch vielerlei Sparten der Zauberei ebenso ihr Showcase darbieten. Die Älteste z.B. lehrt das Geheimnis der Astralprojektion, damit jene außerkörperlichen Erfahrungen nicht als Geister bezeichnet werden müssen und der Film somit Regularien umschifft, die eine Aufführung im Box-Office-Mekka China verhindern könnten. Daneben verstehen es unsere deftigen Druiden ohnehin, global zu operieren, wenn sie Portale in jede unsichtbare Wand der Gegenwart einbrennen können, die Gegenseite im Zwischenraum der Dimensionen sodann willkürlich an der irdischen Architektur formt und expandiert. 

 
Frisbee spielen mit dem Multiversum
Ganz viele Gimmicks im Kaleidoskop der Effekte also am Start, die sich in ein stimmiges Paket schnüren lassen, wenn es auf die Zielgerade unter Übernatürlichen zugeht. Ben Davis' Kamera kann da auch noch so unbeholfen in der Kampfchoreographie wackeln und einen Kampfsport-erprobten Widersacher wie Scott Adkins verwässern: Was hier alles metaphysisch bewegt wird, darf sich als Bombast des Psychedelischen konzentriert hochjubeln. Tiefer gestapelt sind dagegen so manche Running Gags mit dem stoischen Zaubersprüche-Bibliothekar Wong (Benedict Wong). Ganz zu schweigen von diesem merkwürdigen Fetisch, Strange (als eine Art Charakterentwicklung?) mehrmals beim Rasieren zu zeigen. Unter jenem Merkmal männlichen Wachstums hat auch seine Beziehung zu Christine zu leiden, die der Film im Verlauf höchstens noch an die zwei Mal besucht, um an sein Ursprungsszenario der Chirurgie zu erinnern, sich danach aber mit einem Kuss von ihr verabschiedet, da er das alles jetzt allein unter Magiern regeln muss, babe. Manchmal erfüllt der Film eben Erwartungen, die einem wie aus der Steinzeit des Mediums scheinen (siehe z.B. den archetypischen Hinterhalt in einer düsteren Gasse), manchmal macht er aber auch Laune, wenn Morpheus Swinton der Skepsis des selbstunterschätzenden Strange zum kontinuierlichen Learning-by-Doing verhilft, ehe der Master mit den gebrochenen Händen sein ihn auswählendes Relikt zur Rettung der Menschheit erhält.


Der Simplizissismus der Marvel-Filme macht sich hier eben nicht allzu viel vor, aus ihrer Formel noch eine Aufregung fürs Oberflächliche zu schöpfen, so entschleunigt Derrickson menschliche Interaktionen durchkaut, erst im Strudel der Farben und magischen Möglichkeiten wirklich aufwacht und sogar Jumpscares anwendet, um Strange das eine oder andere Mal aus dem Herzstillstand aufspringen zu lassen. Natürlich kann ein Film nicht nur aus Höhepunkten bestehen und auch wenn ein Genre-affiner Zuschauer das meiste am Prozedere für sich vorkalkulieren könnte, ist wie gehabt für solide Unterhaltung im Sinne eines Mainstream-Konsens gesorgt. Wenn man ganz nett sein will, kann man sogar Sympathie für das Schicksal des Doktors empfinden, auch wenn es jenseits wahrer Verinnerlichung ausschließlich auf eskapistische Impulse der potenziell abgefahrenen Superkräfte trifft. Im Endeffekt wird so oder so ein Film hinterlassen, der gerne noch weiter nach allen Seiten ausschlagen, mehr noch, ein Event sein will (eine Fortsetzung im „Highlander“-Format kündigt sich dazu an), aber an jene Houdini-Zwangsjacken der Monetenzugänglichkeit gebunden ist, die insbesondere ein Scott Derrickson nimmer hätte lösen können – selbst mit Pink Floyd auf dem kultverdächtig zusammengestellten Soundtrack.


5,5 von 10 Rasierklingen


vom Witte

1 Kommentar:

  1. Das mit der Rasur ist mir gar nicht aufgefallen, aber es ist eine schönes Bild für die lächerliche Umsetzung einer vermeintlichen Entwicklung einer Marvel-Figur. Von Mads Mikkelsen und Rachel McAdams fang ich am besten gar nicht erst an...

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