Review: CAFÉ BELGICA - Lost on the Dancefloor



                                                                         
                                                                               

Fakten:
Café Belgica (Belgica)
B, FR, 2016. Regie: Felix van Groeningen. Buch: Arne Sierens, Felix van Groeningen. Mit: Stef Aerts, Tom Vermeir, Stefaan De Winter, Dominique Van Malder, Ben Benaouisse, Boris Van Severen, Sara De Bosschere, Charlotte Vandermeersch u.a. Länge: 122 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 14.11.2016 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Jo betreibt seit Kurzem die Musik-Bar Café Belgica. Sein älterer Bruder Frank ist sehr angetan von dem Laden und den durchzechten Nächten. Kurzerhand schmeißt der Familienvater seinen ihn nie ausfüllenden Job als Gebrauchtwagenhändler und steigt bei seinem Bruder als Partner ein. Durch seinen kreativen wie finanziellen Input wird aus der intimen Kneipe bald ein angesagter Nachtclub, in dem jedem Abend exzessive Partys mit Live-Musik steigen. Das Geschäft boomt, doch Probleme sind unvermeidlich und besonders Frank verliert sich immer mehr in der kreierten Parallelwelt.

                                                                               
Meinung:
Der Belgier Felix van Groeningen erlangte in den letzten Jahren auch außerhalb seiner Heimat einen gesteigerten Bekanntheitsgrad, bei uns speziell mit „The Broken Circle“. Sein aktuellstes Werk „Café Belgica“ feierte seine Premiere auf dem diesjährigen Sundance-Festival und wurde dort mit dem Preis für die beste internationale Regie ausgezeichnet. Das schürt gewisse Erwartungshaltungen, die im Gesamten jedoch nicht bestätigt werden können. Reduziert auf seine optische, akustische und atmosphärische Darbietung macht „Café Belgica“ stellenweise gehörig was her, bleibt bei seiner Dramaturgie jedoch überschaubar und viel zu beliebig.


Noch ist die Stimmung bestens, gibt ja auch reichlich Stoff.
Zwei Brüder finden sich nach einigen Jahren der Funkstille wieder zusammen. Der etwas introvertiertere „kleine“ Jo und der rastlose, stetig latent unzufrieden wirkende Frank. Dabei hat seine Frau fürs Leben bereits gefunden, einen kleinen Sohn und einen nicht unbedingt erfüllenden, aber soliden Job als Gebrauchtwagenhändler. Doch gerade dieses konservative, unspektakuläre Leben scheint ihn enorm einzuengen. In der hippen Kneipe seines Brüderchen kann er der Realität entfliehen und seinem Drang nach Freiheit, Unabhängigkeit und Nach-mir-die-Sinnflut-Gesinnung scheinbar ungeniert ausleben. Hals über Kopf stürzt er sich in das Abenteuer Nachtclub, steckt mit seinem Enthusiasmus bald auch Jo hoffnungslos an. Gemeinsam wird massiv expandiert und aus der heimeligen Bude um die Ecke wird ein Tempel des Exzesses, jede Nacht rappeldicke voll, in dem sich die angesagtesten Musik-Acts jenseits des Radio-Pops die Klinke in die Hand geben. Auf den schnellen Höhenflug folgt naturgemäß der noch rasantere Abstieg: Während Frank bald nur noch die Nase in den Schnee und sein bestes Stück in anderen Frauen steckt, gänzlich den Bezug nach der Welt da draußen verliert, sehnt sich Jo insgeheim nach dem, was sein Bruder gerade mit beiden Händen aus dem Fenster wirft. Eine geregelten, ganz normalen Beziehung, was sich einfach nicht mit ihrem „Baby“ und dessen Begleiterscheinungen vereinbaren lässt.


Irgendwann wird eine Aussprache fällig.
Im selbst ernannten Ort der Verdorbenheit verschwimmen Tag und Nacht im ewigen Rauschzustand; hervorgerufen durch wummernde Bässe, kratzige Gitarrenriffs und natürlich auch zu einem nicht unerheblichen Anteil durch flüssige und feinpulvrige, Realitäts-ausblendende Spaßbeschleuniger. Wenn Felix van Groeningen den Zuschauer mitten in das Geschehen seines bebenden Sündenpfuhls  befördert und zu einem Teil von ihm macht, ist „Café Belgica“ eine impulsive Stimmungsbombe, nah an der atmosphärischen Explosion. Fast noch mehr Anteil als der Regisseur hat daran die fantastische Band SOULWAX (als Turntable-Team 2 MANY DJs mindestens genauso populär), die alle (live-gespielten) Tracks im Film eigens für diesen komponierte und mit denen als auftretende (fiktive) Bands gecasteten Musikern einstudierte. Der Soundtrack zum Film ist besser als viele „echte“ Alben, offenbart die große Spannweite des belgischen Duos. Von Electro bis Indie-Rock, Techno, Neo-Punk, Ska, Jazz und eigentlich jeder erdenklicher Musikrichtung wird die Palette im rhythmischen Crossover durch den Attacke-Ventilator gedreht, heraus kommt der pure Wahnsinn. Leider ist das hier keine (reine) Szene-Dokumentation, denn hinter der wuchtigen Präsentation soll in erster Linie ein von A wie austauschbares bis Z wie zu oft gesehenes Drama um zwei (halbwegs) ungleiche Brüder und ihren naiven, sich zerfeiernden Traum einer idealistischen Party-Oase-Seifenblase erzählt werden.


Gut gespielte, aber hauptsächlich oft unsympathische Arschloch-Figuren reiten extrem vorhersehbar und ohne narrativ interessante Einfälle auf ihrer hedonistischen Welle, bis diese bricht und sich die Erkenntnis einstellt, dass man auch nach der geilsten Party irgendwann nach Hause gehen sollte. Es gibt eigentlich nur einen (recht kleinen) Moment, in dem „Café Belgica“ den sehr treffenden, eindringlichen Blick gewährt, der das Wesen seiner vor dem Ernst des Lebens weglaufenden Feierbiester hervorragend zum Ausdruck bringt („Manchmal wenn ich tanze denke ich: Was machen die Typen denn alle hier, haben die nichts Besseres zu tun?!“). Der Rest der Geschichte ist bedauerlich oberflächlich geraten. Auf inhaltlicher Eben mehr oder weniger gescheitert bleibt dafür immerhin die volle Dröhnung mit dem inszenatorischen Club-Dampfhammer…und der brillanten Arbeit von Soulwax. 

5 von 10 Lines auf der Neugeborenenstation

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