Review: POLYTECHNIQUE & INCENDIES - DIE FRAU DIE SINGT - Denis Villeneuve Double Feature



Fakten:
Polytechnique
2009, CAN. Regie: Denis Villeneuve. Buch: Denis Villeneuve, Jacques Davidts. Mit: Maxim Gaudette, Sebastien Huberdeau, Karine Vanasse, Marie-Evelyne Baribeau, Evelyne Brochu, Mireille Brullemans, ua. Länge: 77 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.


Story:
„Polytechnique“: Die wahren Ereignisse eines Massakers an einer kanadischen Universität, werden aus Sicht des Täters und der Opfer beleuchtet und in einem bestimmt ruhigen Ton erzählt.







Meinung:
Der Punkt, der „Polytechnique“ zu einem so intensiven und sehenswerten Film macht, ist der, dass Villeneuve mit einer unaufgeregten und nüchternen Inszenierung an das Thema heranschreitet. Ruhig wird dem Zuschauer die Verfilmung der wahren Begebenheit aus mehreren Blickwinkeln und Ebenen dargelegt.


Ist das Kunst, oder kann das weg?
Zu keinem Zeitpunkt wird überdramatisiert oder überstilisiert, stattdessen versucht der Kanadier stets die Schauwerte zu minimalisieren, ohne jedoch an Wirkung oder Realismus einzubüßen. Die Darstellung der Gewalt wirkt eher wie ein trauriger Blick auf die Gesellschaft, als auf den Täter. Das weltberühmte Kunstwerk über den Krieg von Pablo Picasso ist in einer Szene im Bild zu sehen und es zeigt in dem für Picasso üblichen Kubismus eine gesellschaft, die trotz all der klaren und festgelegten Linien im Chaos zu versinken scheint. Wie kann es sein, dass der Mensch in einer so fortgeschrittenen Lebensweise so niederen Instinkten erliegt? Wie kann es sein, dass dieses exzessive Ausleben von Gewalt erfolgreich als Ventil genutzt wird? „Er ist tot. Ich lebe. Er ist frei, ich nicht.“ sagt eine Figur in dem Film.


Den stärksten Effekt erzielt jedoch Denis Villeneuve selbst, wenn er Täter und Opfer in der Unendlichkeit vereint und Verzweiflung, Trauer und Entsetzen sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchen.


8 von 10 Fluchtversuchen



Fakten:
Incendies – Die Frau, die singt
2010, CAN. Regie: Denis Villeneuve. Buch: Denis Villeneuve, Valérie Beaugrand-Champagne.
Mit: Lubna Azabal, Mélisse Désormeaux-Poulin, Maxim Gaudette, Rémy Girard, Allen Altman, Mohamed Majd, ua. Länge: 131 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.


Story:
„Incendies“: Ebenso beruhend auf wahren Ereignissen erzählt der Film die Geschichte einer Mutter, deren Vergangenheit von ihren Kindern nach und nach aufgedeckt wird. 






Meinung
Direkt in der ersten Einstellung schafft Villeneuve ein so klares Bild von dem, was noch auf den Zuschauer wartet, das man anerkennend nicken würde, wäre man nicht so verängstigt von dem Anblick, der sich einem bietet. Der Wechsel von der Freiheit in die Gefangenschaft, von der Idylle in die Hölle.


Reinigendes Feuer?
Man sieht eine schöne Palme, die sachte im Wind weht, bei schönem Wetter in der Mitte einer trockenen Landschaft steht. Langsam fährt die Kamera zurück, ein Türrahmen erscheint im Bild. Es erinnert an den großen Western "Der schwarze Falke" von John Ford, in dem eben jener Rahmen John Waynes Charakter als einen Verdammten und Heimatlosen brandmarkt. Aber die Kamera macht dort nicht Halt, sie fährt weiter zurück bis Jungs ins Bild kommen, die von bewaffneten Männern „rekrutiert“ werden. Später im Film wird gesagt, die Kindheit sei wie ein Messer, das in der Kehle steckt. Immer wieder fährt Villeneuve die Kamera ganz dicht an die Gesichter der Figuren heran. So dicht, bis der Zuschauer sich ertappt fühlt, schuldig, mindestens aber unwohl. „Incendies“ ist eine breit angelegte Geschichte über Schuld und Glauben. Ist Schuld erblich oder erlischt sie mit dem Tod der zu Schulde gekommenen Person? Die Geschichte erforscht dies auf mehreren Zeitebenen über mehrere Generationen hinweg und lässt die eine Generation forschen und abwägen und die andere erleben und erleiden. Leiden und leben in einem Krieg, der nicht wie gewohnt von Explosionen und Schießereien gesäumt ist, sondern von sozialen, moralischen und ethischen Verschiebungen in den Seelen der Figuren. Hoffnung, Träume, Wahnsinn.


Die Nüchternheit, mit der hier Kinder erschossen werden und mit der eine Mutter ihren Fötus erschlagen will, geht so tief in die Seele, dass man sich als Zuschauer erst einmal erholen möchte. Nur, dass Villeneuve das nicht zulässt und zum Ende hin nochmal einen drauf setzt. Dramatisch, gefühlvoll aber seelisch so malträtierend, dass vor einer Zweitsichtung erst ein wenig Zeit ins Land gehen muss.

7,5 von 10 zugefrorenen Pools

von Smooli

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