Fakten:
Blutige Schatten (Solamente nero)
IT, 1978. Regie: Antonio Bido.
Buch: Marisa Andalò, Antonio Bido. Mit: Lino Capolicchio, Stefania Casini, Craig
Hill, Massimo Serato, Juliette Mayniel, Laura Nucci, Attilio Duse, Gianfranco
Bullo u.a. Länge: 109 Minuten. FSK: Keine Freigabe. Auf DVD und Blu-ray
erhältlich.
Story:
Der junge Kunstprofessor Stefano
kehrt in seine Heimat zurück, eine kleine Vorinsel von Venedig. Sein ältere
Bruder Don Paolo ist der Priester der verschlafenen Gemeinde, in der sich in
den Jahren von Stefanos Abwesenheit scheinbar nicht viel verändert hat. Einzig
ein Medium, das mit einigen prominenten Mitgliedern des Städtchens regelmäßig
spirituelle Séancen abhält, ist dem Priester ein Dorn im Auge. Ausgerechnet Don Paolo
wird in der nächsten Nacht Zeuge, wie das Medium von einem Unbekannten erwürgt
wird. Daraufhin erhält er Drohbriefe des Mörders, der weitere Taten folgen
lässt. Außerdem scheint es Bezüge zu einem älteren Mordfall aus der Gegend zu
geben, sowie zu den beiden Brüdern. Hat Stefano etwas damit zu tun?
Meinung:
„Der beste Platz für einen
Priester. Ein paar Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen, viel mehr gibt’s hier
nicht.“
Der Schein trügt, sonst wäre das
wohl auch kein Giallo. Eine nicht zu leugnende Idylle, um nicht zu sagen
schläfrige Langeweile, strahlt die kleine Insel vor den Toren Venedigs auf den
ersten Blick zweifellos aus. Doch hinter der Fassade lauert selbstverständlich
mehr. Bereits die Eröffnungssequenz von „Solamente nero“ zeigt die trügerische
Diskrepanz, die der gesamte Film beherbergt. Eine junge Frau wird erwürgt, auf
einer grünen Wiese, am helllichten Tage und sinkt danieder. Ihr toter Körper
wirkt wie auf einem Postkartenmotiv verewigt, ästhetisch positioniert im
Vordergrund eines Schlosses. Ein bald malerischer Moment, was im weiteren
Verlauf der Handlung sogar wörtlich zu nehmen ist.
Kaum zurück, geht der Ärger los... |
Entstanden nach der Blütezeit der
Gialli, die ihren Höhepunkt Mitte der 70er Jahre hatten, gelingt Antonio Bido
einer der interessanteren Vertreter seiner speziellen Zunft, da er sowohl typische
wie atypische Charakteristiken des Genres aufweist. Inspirationsquellen und
womöglich sogar als direkte Querverweise gedachte Überschneidungen zu bekannten
Vorgängern sind überdeutlich, wo zunächst natürlich unweigerlich Arbeiten von
Dario Argento genannt werden müssen. Aufgrund der Genre-bedingten Ähnlichkeiten
lassen sich zwar naturgemäß bald alle Gialli mehr oder weniger miteinander in
Verbindung setzen und sich Parallelen finden, doch einige Motive und
Plotdetails erinnern schon stark an diverse Filme aus den früheren Schaffens
Argentos. Das ein Jahre zurückliegender Mord auf einem Gemälde verewigt wurde,
kennt man aus seinem Debütfilm „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“, das
der Film diesen Mord in seinem Opener präsentiert, die Handlung sich dann
zunächst davon entfernt um am Ende die Geschichte nicht nur davon eingerahmt
wird, sondern als Dreh- und Angelpunkt fungiert, ist auch das Prinzip von „Profondo
Rosso - Die Farbe des Todes“, dem
vielleicht besten Argento-Giallo. Auch stilistisch lassen sich mühelos
Anlehnungen an den jungen Argento finden, wobei diese nicht so prägend und
überdeutlich sind, schließlich – wie bereits erwähnt – irgendwo sind da alle
vernünftigen Gialli dicht beieinander, greifen auf die gleichen Methoden
zurück.
Würde dich hier jemand schreien hören? |
Sucht das schwarze Schaf in der Herde: Don Paolo. |
Der Tod zeigt sein hässliches Gesicht. |
Atypisch wird der Film durch seine
Teils eigenwillige Inszenierung bzw. eher durch die Wahl seiner Schwerpunkte. Die
Spannungsmomente werden altbewährt eingeläutet, aufgebaut und zunächst auch vorgetragen,
sogar auf hohem Niveau. Zwei Dinge fallen dabei jedoch besonders abweichend
auf: Bido spielt sehr gezielt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, lässt
eine Bedrohungssituation entstehen mit den üblichen Mitteln wie Egoperspektiven
des vermeidlich lauernden Killers, einem Aufbrausen des Scores (dringend zu
erwähnen: Brillante Arbeit von Stelvio Cipriani, der seine Stücke von GOBLIN
einspielen ließ, was kaum zu überhören ist), schnellen Zooms und radikalen
Schnitte, die teilweise fast Gag-artig verpufft wird. Mal schnellt ein Akkordeonspieler
statt des Killers um die Ecke, mal blitzt eine Klinge auf, die sich als Teil
einer Statur herausstellt. Das mag im ersten Moment fast enttäuschen, ist
in seinem Mut zur beinah-Frechheit schon wieder extrem gelungen. Die weitere
Abweichung zu den meisten Gialli ist der bald radikale Verzicht auf explizite
Gewaltdarstellung. Es gibt nur eine Szene, die als etwas härter bezeichnet
werden kann (und dadurch sofort extrem auffällt), sonst zeigt sich Bido besonders
im Gegensatz zu Dario Argento, Lucio Fulci oder Sergio Martino nicht sonderlich
interessiert darin, den blutrünstigen Tötungsakt zum Highlight zu stilisieren.
Selbst die phallische Klinge kommt nur ein einziges Mal zum Einsatz, da dann
aber auch bewusst gewählt, diese Person hätte man nicht einfach erwürgen „dürfen“.
Du erntest, was du säst…
„Solament nero“ hat erzählerische
Mängel, das darf man nicht unter den Teppich kehren. Die Story zieht sich über
109 Minuten deutlich in die Länge, da auch zu offensichtlich ist, wie sehr man
bewusst in die Irre gelenkt wird und nicht jeder lauwarmen Spur somit
automatisch gespannt verfolgt. Das Tempo ist gemäßigt, der Fokus auf Figuren
und Dialoge lässt zu, sich deutlicher an deren Macken zu stören (es ist
wirklich egal, aber dieser potthässliche Rollkragenpulli den Stefano fast den
ganzen Film über trägt, ist es da so kalt und warum hat der einen Koffer dabei,
wenn er eh nur zwei Kleidungsstücke besitzt?) und die Auflösung ist ehrlich
gesagt nicht so mega-überraschend, wie wohl angedacht. Trotzdem, noch deutlich
über dem Genre-Durchschnitt und allein die letzte Sequenz im Angesicht der
Wahrheit ist super. Kein Film für Blutjünger, für einen Giallo fast emanzipiert
ohne misogyne Anleihen (das sich „Suspiria“-Darstellerin Stefania Casini Sellani mal
kurz nackig machen darf, gehörte in den 70er schlicht zum guten Ton, wird dafür
auch gut behandelt), nicht alles selbst ausgedacht, aber handwerklich astrein
und mit seinen Eigenarten sogar individuell umgesetzt.
7 von 10 Druckfehlern
Muss bei dem Film auch immer an Aldo Lados "The Child" denken. Wohlgemerkt im positiven Sinne, weil beide mit einer herrlich morbiden Atmosphäre punkten. Die angesprochenen Mängel bei "Blutige Schatten" lassen sich aber leider trotzdem nicht übersehen, das stimmt!
AntwortenLöschenHab "The Child" bisher leider noch nicht gesehen, steht aber schon auf der Liste.
Löschen