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Review: PATERSON – Ein dichtender Busfahrer

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Fakten:
Paterson
USA. 2016. Regie & Buch: Jim Jarmusch. Mit: Adam Driver, Golshifteh Farahani, Frank Harts, Method Man, Barry Shabaka Henley, Chasten Harmon u.a. Länge: 113 Minuten. FSK: Freigegeben ab 0 Jahren. Im Kino.


Story:
Paterson lebt in der Kleinstadt Paterson im Bundesstaat New Jersey. Hier folgt er jeden Tag einer einfachen Routine, von der er so gut wie nie abweicht. Er ist Busfahrer und nimmt die Welt durch die Windschutzscheibe seines Fahrzeugs wahr, während er immer wieder Gesprächsfetzen der zusteigenden Fahrgäste auffängt. Zwischendurch schreibt er Gedichte in sein Notizbuch. Wenn er nicht seinen Bus fährt, geht Paterson mit seinem Hund spazieren, trinkt in einer Bar exakt ein Bier und kehrt schließlich nach Hause zu seiner Frau Laura zurück.




Meinung:
In der Zeit von studiogesteuerten Blockbustern und formelhaften Megahits ist es doch immer wieder schön zwischen dem seelenlosen Fortsetzungswahn und glattgebügelter Wohlfühloptik einen Film zu finden, der so eindeutig die Handschrift seines Machers trägt, dass man sich bereits nach wenigen Minuten sicher ist wessen Werk man gerade bestaunt. Jim Jarmusch kehrt zurück – und zweifelsohne bringt Paterson alles mit sich, was waschechte Fans der Independentikone an ihm schätzen. Sein neuester Film behandelt eine Woche im Leben des dichtenden Busfahrers Paterson, sieben Tage gefüllt mit den alltäglichen Abenteuern eines eigentlich ganz alltäglichen Menschen. Ja, Jarmusch beherrscht ebenso wie seine Hauptfigur die Kunst etwas scheinbar Banales mit allen probaten Mitteln der Kunst zu echter Poesie zu erheben.


Ein neuer Tag beginnt
Verkörpert wird der Titelgebende Paterson dabei wunderbar von Adam Driver, der die Rolle so gut ausfüllt, als wäre sie eigens für ihn geschrieben worden. Dieser sogenannte Paterson lebt in der Stadt Paterson im amerikanischen Staat New Jersey, verdient sein Geld als Busfahrer und scheint mit seinem Leben mehr als zufrieden zu sein. Dafür sorgen seine aufgedrehte Freundin Laura, eine Handvoll Bekannte in seiner Stammkneipe und nicht zuletzt ein geheimes Notizbuch, in dem er in kurzen Gedichten die Magie des Alltags ergründet. Paterson liefert nicht mehr, aber auch nicht weniger, als einen einwöchigen Einblick in dessen Leben. In seiner repetitiven Struktur läuft er dadurch schnell Gefahr sich in Langeweile und Belanglosigkeit zu verlieren, doch Jarmusch gelingt es geradezu meisterlich die kleinen Momente im Leben hervorzuheben und dadurch immer wieder für Abwechslung zu sorgen. Wer bisher wenig mit dessen Schaffen anfangen konnte, wird sicherlich auch mit diesem Film keine Freude haben, denn anstelle einer nach allen gängigen Regeln der Dramaturgie aufgebauten Geschichte bekommen wir erneut einen wunderbar ruhig erzählten Film, der sich spannungstechnisch durchgehend auf dem Nullniveau befindet. Gerade das macht jedoch seinen Reiz aus, denn in nuancierten Augenblicken ergründet Jarmusch all jene Facetten, die ein Leben überhaupt erst lebenswert machen.


Don`t text and drive
Dabei kommt es immer wieder zu Situationen, die in der vorgetragenen Art und Weiße einzig und allein der Feder von Jarmusch entsprungen sein können. Schon die Tatsache, dass ein Busfahrer gleichzeitig Freizeitpoet ist und den gleichen Namen trägt, wie die Stadt, in der er wohnt, ist einzigartig. Dazu kommt ein Barbesitzer, der gegen sich selbst Schach spielt, eine nicht enden wollende Flut an Zwillingen sowie eine eigensinnige Bulldogge. Für skurrile Momente ist also gesorgt, und dennoch überzeugt Paterson vor allem durch seine lebensnahen Momente. Immer wieder wird mit recht offensichtlich eingesetzten Metaphern gespielt, wie beispielsweise die bereits angesprochene Zwillingsflut oder auch der schiefe Briefkasten vor Pattersons Haus, den er jeden Tag aufs Neue aufrichtet, jedoch immer ein Stück unmotivierter. Wirklich gelungen ist auch der Kontrast zwischen Paterson und seiner Freundin. Während er großes Talent als Dichter besitzt, dieses aber nicht in die Öffentlichkeit tragen will und hauptsächlich für sich selbst schreibt, sucht sie krampfhaft nach einer Stärke mit der sie zu Ruhm gelangt. Die leiseste Stimme gehört dem wahren Künstler, und wer am lautesten schreit – der hat oftmals am wenigsten zu sagen.


Wie so viele Filme von Jarmusch, dürfte auch Paterson mit jeder weiteren Sichtung wachsen. Beinahe nahtlos reiht sich der Film in die Reihe seiner Vorgänger ein und gemeinsam ergeben sie so etwas wie einen alten Freundeskreis, in dem man sich auch nach längerer Zeit sofort geborgen und verstanden fühlt. Es mag wie Gefühlsduselei anmuten, doch tatsächlich trifft man in diesen Filmen immer wieder auf Figuren und Situationen, die einen an alltägliche Probleme erinnern und dadurch eine kraftvolle Wirkung entfalten können. Ja, in erster Linie bedeutet ein Film von Jarmusch Zeit zu verbringen, Zeit mit Menschen, die man mag.


7 von 10 Wasserfälle betrachtet

Review: FEUERWERK AM HELLLICHTEN TAGE – China zwischen Noir-Gebrochenheit und moderner Depression

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Fakten:
Feuerwerk am helllichten Tage (Bai Ri Yan Huo)
CN, 2014. Regie & Buch: Diao Yinan. Mit: Liao Fan, Kwai Lun-Mei, Wang Xuebing, Wang Jingchun, Yu Ailei, Ni Jingyang u.a. Länge: 109 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Im Jahr 1999 werden in verschiedenen Kohleanlagen Chinas abgetrennte Körperteile gefunden. Der Polizist Zhang Zili nimmt sich dem Fall an und macht bald konkrete Verdächtige aus. Die Festnahme eskaliert allerdings, zwei Polizisten werden getötet, Zhang schwer verletzt. Fünf Jahre später tauchen erneut Leichenteile auf, der Täter scheint derselbe zu sein. Zhang, der mittlerweile dem Alkohol verfallen ist und als Sicherheitsbeamter arbeitet, beginnt privat zu ermitteln.





Meinung:
Zunächst ist kaum erkennbar, was sich da überhaupt für ein Objekt in dem großen Kohlehaufen verbirgt, welches man die ersten Minuten dieses Films auf seiner Reise in die Kohleanlage begleitet. Als schließlich klar wird, dass es sich um einen abgetrennten Arm handelt, lässt sich bereits das erste Muster erahnen, das Regisseur Diao Yinan in seinem Werk "Feuerwerk am helllichten Tage" verfolgt.


Das ist schnell eskaliert...
Eben dieser Arm ist der Aufhänger eines Kriminalfalls, in dem der frisch geschiedene Polizist Zhang Zili ermittelt. Zu einer endgültigen Auflösung kommt es vorerst allerdings nicht, denn die Festnahme des Verdächtigten eskaliert, der Polizist verliert nicht nur zwei Kollegen, sondern fast auch das eigene Leben. Dieser kurzfristige Paukenschlag, den Yinan unvermittelt und sehr früh inszeniert, ist wieder so ein herber Einschlag im ansonsten so ruhigen Erzählfluss. "Feuerwerk am helllichten Tage" enthält eine Reihe solcher Szenen und Momente, in denen der Regisseur Stille mit hässlicher Gewalt aufbricht, das Schöne dem Verlorenen gegenüberstellt und vor allem stilistisch einen schmalen Grat entlang wandert. Yinan bedient sich für seine Geschichte und Figurenzeichnung ebenso bei zerrissenen Neo-Noir-Charakteren, meist gebrochene Existenzen, wie er im Gegenzug das desolate Gesellschaftsbild des gegenwärtigen Chinas aufgreift. Die Kamera führt den Betrachter immer wieder durch heruntergekommene Wohngegenden, trostlose Gassen oder vereinsamte Schauplätze, in denen Schmutz, Resignation und Hoffnungslosigkeit regieren. Im harten Kontrast hierzu sind viele Szenen oftmals von markanten Neonlichtern durchflutet, die dem jeweiligen Moment Wärme, Energie oder so etwas wie einen Puls verleihen.


Wirkt liebevoll, ist aber eigentlich eine sexuelle Belästigung
Zili erhält fünf Jahre nach seinem schockierenden Zwischenfall auch wieder so etwas wie einen Puls. Zwischenzeitlich ist er dem Alkohol verfallen, zum Wrack geworden und hält sich als Sicherheitsbeamter irgendwie am Leben. Dann tauchen sie erneut auf, die Leichenteile, die quer durch die Stadt verteilt wurden. Nach dem gleichen Schema abgetrennt, wieder exakt genauso entsorgt. Der zutiefst makabere Fall spornt Zili zu privaten Ermittlungen an, bei denen der Regisseur seine Hauptfigur mit einem ganz entscheidenden Zielkonflikt konfrontiert. Eine Frau, die mit allen bisherigen Mordopfern in Verbindung stand, wird zum Objekt der Begierde des Ex-Polizisten. Yinan erzählt fortan auf zwiegespaltene Weise von einem Menschen, der nur durch eine neue Frau in seinem Leben, also durch Liebe, neue Lebenskraft schöpfen kann, während in ihm der Drang nach Vollendung brennt, wonach er den ungelösten Fall, die Laster seiner Vergangenheit, die ihn bis heute verfolgen, ein für alle mal bezwingen möchte. Die verzwickte Situation, stilistisch zwischen zärtlicher Arthouse-Poesie und lupenreinem Genre-Film umgesetzt, verdichtet sich immer wieder in großartig inszenierten Spannungssequenzen, die durch lange Einstellungen glänzen und die Intensität kontinuierlich steigern.


Den Sinn für tragikomische Einschübe sowie skurrile Details legt der Regisseur dabei aber nie beiseite. Ein Pferd auf dem Flur inmitten eines Polizeireviers, eine ekstatische Tanzeinlage nach dem dramatischen Höhepunkt oder das titelgebende Feuerwerk am helllichten Tage sind nur einige Randnotizen, durch die Yinan seinen souverän erzählten wie stilvoll inszenierten Film auflockert, ohne den bitteren, harten Kern der tragischen Geschichte jemals zu verschleiern.


7,5 von 10 Mäntel in der Reinigung



von Pat

Review: CEMETERY OF SPLENDOUR – Transzendentales Spazieren zwischen Traum und Erwachen

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Fakten:
Cemetery of Splendour (Rak Ti Khon Kaen)
DE/FR/GB/KR/MX/MY/NO/TH, 2015. Regie & Buch: Apichatpong Weerasethakul. Mit: Jenjira Pongpas, Banlop Lomnoi, Jarinpattra Rueangram, Sakda Kaewbuadee, Boonyarak Bodlakorn, Petcharat Chaiburi u.a. Länge: 122 Minuten. FSK: Ohne Altersbeschränkung. Im Kino.

Story:
In einem thailändischen Krankenhaus liegen mehrere Soldaten, die alle unter einer mysteriösen Schlafkrankheit leiden. Die meiste Zeit über befinden sie sich im Tiefschlaf und falls sie doch mal aufwachen sollten, kann es jederzeit passieren, dass sie von einem auf den nächsten Moment sofort wieder einschlafen. Jen ist eine ehrenamtliche Helferin, welche die Patienten betreut, ihnen Aufmerksamkeit spendet oder sie wäscht. Zu einem der Patienten spürt die Frau eine besondere Verbindung und so beginnt sie, mithilfe einer anderen Frau, welche mediale Fähigkeiten zu haben scheint, mit ihm in seinen Träumen in Kontakt zu treten.





Meinung:
Apichatpong Weerasethakul ist mit einem neuen Werk in die Kinos zurückgekehrt. Fünf Jahre, nachdem er mit „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“, ein spirituell-mystischer Trip zwischen Jenseits und Diesseits, Wachzustand und Traumwanderung, die goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes gewonnen hat, meldet sich der thailändische Auteur mit einem neuen Langfilm zurück. Dieser trägt wenig überraschend die unverwechselbare, eigenständige Handschrift des ungewöhnlichen Regisseurs und ist bereits nach wenigen Minuten und Szenen als eindeutiges Schaffenswerk von Weerasethakul erkennbar.

Dezente Nachtbeleuchtung
Eine zum Krankenhaus umfunktionierte Schule dient als Unterbringung mehrerer Soldaten, die alle unter einer mysteriösen Schlafkrankheit leiden. Die meiste Zeit über befinden sie sich im absoluten Tiefschlaf und sollten sie mal wach sein, kann es jederzeit überraschend passieren, dass sie auf der Stelle wieder in den Tiefschlaf fallen. Inmitten dieses bereits außergewöhnlichen Szenarios beleuchtet der Regisseur die Beziehung zwischen Jen, einer ehrenamtlichen Pflegerin mit körperlicher Behinderung sowie chronischem Schlafmangel, und Itt, einem Patienten, zu dem die ältere Frau eine besondere Verbindung zu spüren scheint. Die eigentlichen Handlungselemente sind für Weerasethakul abermals bloße Stützpfeiler, im extremsten Fall grob angedeutete Skizzierungen, die dem Regisseur erneut eine Spielwiese für dessen Stil bieten. „Cemetery of Splendour“ verschreibt sich gänzlich seiner äußerst ruhigen und langsamen Erzählart, sodass der Betrachter aufgrund der statischen, langen Einstellungen sowie der markanten Tonkulisse in eine Art meditative Trance verfällt, die einem oftmals wie ein wohliger Dämmerschlaf erscheint. Der Regisseur setzt wieder auf seine liebsten Motive, bei denen er Traum und Realität zunehmend miteinander verschmelzen lässt und dabei Elemente wie Seelenwanderung, Reinkarnation, Geistererscheinungen, poetische Spiritualität sowie politische Bezüge seines eigenen Herkunftslandes anschneidet.


Der Himmel? Der Fluss? Der Fluss im Himmel??
Einzelne Szenen fließen wohlig ineinander, das Zirpen der Grillen, das Rauschen des Windes durch die Blätter und das Knarzen des Unterholzes bilden eine geradezu hypnotisierende Einheit und vor allem das auffällige Spiel mit Licht und pulsierenden Farben, Bewegung und Entschleunigung bilden den inszenatorischen Teppich für diese eigenwillige Geschichte. Um diesem Film komplett verfallen zu können, ist sicherlich Geduld, Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit nötig. Weerasethakul stellt sein Publikum in vielen Momenten durchaus auf die Probe, wenn er manche Einstellungen fast schon provokativ langgezogen hält und augenscheinliche Nichtigkeiten gefühlt endlos ausdehnt. Hinzu kommen einige Einlagen, die vermutlich humorvoll gemeint sind und das Geschehen auflockern sollen, aufgrund ihres ziemlich albernen Tonfalls allerdings eher irritieren und den ansonsten gemäßigten, zurückgenommenen Erzählfluss unsanft aufbrechen. Weshalb der Regisseur gefühlt eine Minute lang einen Mann zeigt, welcher seinen Stuhlgang in einem Gebüsch verrichtet oder Szenen monotoner Gymnastik, mag sich einem auch nach der Sichtung nicht wirklich erschließen. Bei der Figurenzeichnung hingegen lässt sich dieser Vorwurf nicht anbringen, denn vor allem die sympathische Hauptfigur Jen, die immer wieder mit einer warmen Altersweisheit und sarkastischen Bemerkungen glänzt, ist der ideale Fixpunkt in diesem mystisch-wirren Ausflug.


Ob die Soldaten nun unter einer Art posttraumatischem Stresssyndrom leiden oder wirklich von den Geistern jahrhundertealter Könige in Besitz genommen werden, welche durch deren Energie alte Schlachten kämpfen, bleibt ebenso ein Geheimnis wie die Frage, ob sich in einer Szene die Geister zweier Prinzessinnen zu Jen an den Tisch gesellen oder diese gerade träumt. „Cemetery of Splendour“ ist Kino als Meditation, Film gedacht als schummriger Spaziergang zwischen mystischer Naturkulisse, banalen Alltagssituationen und verwirrender Verschmelzung von Realität und Traumzustand. In den faszinierendsten Momenten gewinnt Apichatpong Weerasethakul seinen Bildern eine fast schon transzendentale Magie ab. In anderen Szenen wiederum stellt sich das Werk als wahre Geduldsprobe heraus, welches mit unnötig langgezogenen, unbedeutend erscheinenden Einzelmomenten und unpassender Humorfärbung irritiert wie herausfordert. Zudem könnte man bemängeln, dass der Regisseur hier inszenatorisch und hinsichtlich seiner inhaltlichen Motive Stillstand auf hohem Niveau betreibt und eine wirkliche Weiterentwicklung eher schwierig auszumachen ist. Ein echter Weerasethakul eben.


6,5 von 10 im plötzlichen Tiefschlaf endende Kinobesuche




von Pat