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LA LA LAND - Der Zwang, aus Träumen Karriere zu machen

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Fakten:
La La Land
USA. 2016. Regie und Buch: Damien Chazzelle. Mit: Ryan Gosling, Emma Stone, Rosemarie DeWitt, J.K. Simmons, Callie Hernandez, Amiée Conn, Terry Walters, Thom Shelton, Cinda Adams, Jessica Rothe, Sonoya Mizuno, Claudine Claudio, Jason Fuchs, D.A. Wallach, Trevor Lissauer, Olivia Hamilton uvm. Länge: 126 Minuten. FSK: freigegeben ohne Altersbeschränkung. Ab 12. Januar 2017 im Kino.


Story:
Im Fokus der Handlung von La La Land stehen zwei hoffnungslose Träumer: Mia (Emma Stone) und Sebastian (Ryan Gosling). Sie versucht sich als Schauspielerin in Los Angeles einen Namen zu machen, leidet aber stark unter ihrer großen Einsamkeit. Der charismatische Jazz-Pianist arbeitet ebenfalls an seiner Karriere. In dem jeweils anderen erkennen beide eine Person, die genau wie sie selbst den Wunsch hat, nur das zu praktizieren, wofür ihr Herz schlägt. So schnell wie die beiden sich auch in einander verlieben, ist die Beziehung in der harten, vom Konkurrenzkampf geprägten Atmosphäre der Stadt jedoch von Anfang an keine leichte. Immer mehr Probleme ergeben sich, als der Erfolg sowohl von Mia als auch von Sebastian ein Level erreicht, das ihre Liebesaffäre immer mehr in Mitleidenschaft zieht. Auf einmal droht das zunächst verbindende Element ihrer Träume, sie auseinander zu treiben.




Kritik:
Nach nicht mal drei Spielfilmen bekräftigt Damien Chazelle vollends seinen Status als jenes neue Wunderkind unter den Filmemachern, das seine Kunst als Zwang versteht. Klar, bei „Whiplash“, dem Durchbruch seinerseits, waren Publikum wie Kritiker mehr oder weniger aus dem Häuschen, von der Energie und Leidenschaft des Jazz gefangen, der sich in dem Fall blutig schlug, um im eigenen Anspruch des Meister-Status ankommen zu können. Meiner einer war zu jener Zeit ebenso überzeugt - weit weg von einer potenziell regressiven Ideologie des Jung-Auteurs -, ein Gleichnis zur künstlerischen Ambition sowie dem beständigen Ehrgeiz derer erhalten zu haben. Mit „La La Land“ jedoch kristallisiert sich allmählich heraus, wie Chazelle jene Impulse vom Menschsein trennt, letzterem noch ein Stück weg ambivalent hinterher trauert, seine Charaktere schließlich aber in der Abkopplung sogar aufgehen lässt. Realität und Fantasie gehören in seiner Vision von Los Angeles ohnehin getrennt, unvermeidlich aufeinander aufgebaut und doch ein Kreislauf der Enttäuschungen, wenn beliebte Anlaufstellen des Showbiz hier erneut aufgewärmt werden, konstruiert platt auf die Vergänglichkeit der Ideale hinweisen, gerne auch mit diesen kokettieren, sich aber im Karriere-Kickstart genauso oberflächlich auf den real struggle der Traumerfüllung berufen - „Swingers“ lässt grüßen. Dabei fängt sich das Prozedere anfangs noch eine Huldigung zum Eskapismus ein, die einen dramaturgisch sinnvollen Weg der Hürdenläufe Richtung Erfolg mit Versüßungen abschließen sollte, echte Katharsis aus der Wunscherfüllung schöpfen könnte, ebenso Liebe, Einigkeit, Bekenntnis zum Gefühl, Herzschmerz und Spaß fürs gerne mehr als traumhafte Vermengen aus Mensch und Umwelt – halt wie in einem echten Musical. Stattdessen durchzieht den Film eine Bitterkeit, die sich vor allem am (wohlgemerkt an erster Stelle eingeführten) Protagonisten Sebastian (Ryan Gosling) abzeichnet, der nach einem Intro ausgelassener Tanz-, Gesangs- und Steadicam-One-Shot-Freuden auf dem Freeway die Hupe durchdrückt, um auf der Straße wie im Leben endlich voranzukommen.


Als linke Variante eines Abgehängten erreicht er den grünen Zweig aber auch insofern schon nicht, da er sich als angehender Top-Pianist bei der Berufsakquise ausschließlich mit „purem Jazz“ brüsten will, während die Welt hier schon längst in einer vagen Mash-Up-Phase hängt, vom Fortschritt her ausgerechnet gründlichst kacke klingt und so auch von Sebastian hämisch begutachtet wird, wenn er auch schon post-ironisch in eigener Soße schmollt. An einem kulturellen Schmelztiegel wie L.A. scheint der Film doch ein Stück weit zu verzweifeln, aiaiai. Mia (Emma Stone) geht es da nicht anders mit dem Blick hoch zur Schauspielkunst, die dafür in mickrigen Castings unterkommt und binnen des Café-Latte-Nebenjobs unzufriedene Kunden bedienen muss. Allerdings liegt letztere Tätigkeit mitten im Warner-Bros.-Backlot, eben umringt von beschaulichen Kulissen binnen der Fassade vergangener Tage, weshalb der Film auch nicht umhin kommt, dem Retro-Charme aufzulauern, sprich den enthusiastischen Ausdruck via Technicolor, Cinemascope, 35mm sowie fulminanter Orchestration des Justin-Hurwitz-Scores zu emulieren, als wären Jacques Demy und Fred Astaire wieder in the house. Nostalgie, ach ja – inzwischen vielleicht ein inflationäres Marketing-Tool, für Chazelle trotz allem Pessimismus noch die profunde Schönheit schlechthin, die einen Blick zurück motiviert, in der Kombi mit der Gegenwart so recht natürlich im Herzen ankommen kann und zuckersüß für ein transzendentales Verständnis der Belange eben dessen einstehen will. Folglich lässt es dann auch noch der klassischen Romanze wegen Sebastian und Mia aufeinander treffen, obwohl beiden der existenzielle Schmerz von der Decke hängt. Weil Chazelle seine Figuren dabei aber eher als Funktionsträger versteht und eine Unvereinbarkeit voraussieht, was Erfolg und Glückseligkeit angehen, schleichen sich dort schon frühe Anzeichen hinein, wo sich jeder Zauber nur kurzzeitig ins Larger-than-Life-Format hineinsteigern kann, ehe der Pathos zum Reality Check (siehe allein Sebastians Thema „City of Stars“) das Miteinander erheblich verkompliziert.


Beim ersten gemeinsamen Stepptanz z.B. fällt schon auf, wie sehr sich der Regisseur und seine Darsteller regelrecht abmühen, dem Old Hollywood zu entsprechen; keine Leichtigkeit evozieren, weil sie den Charakteren schon nicht vergönnt ist, die den magischen Realismus eben auch nur als Vorwand ihrer verzweifelten Hoffnung wegen einsetzen. Natürlich sieht das trotzdem ansprechend kadriert und farbenfroh aus, wie die von Haus aus charmante Paarung von Gosling und Stone ohnehin schon schwärmerische Erwartungen ins Narrativ implantiert sowie teilweise erfüllt: Händchenhalten im Kinosaal, ein herrlicher Tanz über den Wolken, Wertschätzung des Jazz als universelle Sprache, gegenseitiges Unterstützen im pursuit of happiness (für sie: ein eigenes Theaterstück; für ihn: eine eigene Bar). Je näher man aber an die jeweiligen Ziele herankommt, desto unausweichlicher findet die Distanz vom spielerischen Liebäugeln à la Demy statt, das im Grunde nun eher der Prämisse sowie den Konflikten von Billy Crystals semi-spießigen „Forget Paris“ folge leistet. Dort hieß es dann auch: Zusammen glücklich in unterschiedlichen Karrierezweigen, mit dem Mann auf Tour und der Frau auf dem Weg in die Midlife Crisis – kann das funktionieren oder ist es zum Scheitern verurteilt? Für eine Weile glaubt man, dass Chazelle jenem Versagen Paroli bieten will und das Unbehagen im Weiterkommen Sebastians stilisiert, welcher für die Band „The Messengers“ via John Legend die gefühlt übelste Neuerfindung des Jazz anspielen muss. Das untermauert wiederum aufs Äußerste seine wie Chazelles Hinwendung zur puren Kunst, dass selbst Mia entsetzt die Lauscher aufstellt. Selbst sobald sich die Wege unseres Paares im Streit trennen, hilft er ihr trotzdem noch aus, mit ihrem Talent in der A-Liga der Schauspielerei anzukommen, wofür auch eines der schönsten Stücke im Sturm und Drang für die Künstler, Revoluzzer und Träumer dieser Welt von Frau Stone vorgetragen wird. Genauso selbstverständlich und abgeklärt, beinahe entmenschlicht und eigentlich auch ohne stimmige Motivation, einigt man sich sodann aber darauf, dass jeder fortan für sich selbst ohne den Anderen sorgen wird.


Jahre später steckt der Wehmut zwar noch in den Knochen und verliert sich zum Abschied nochmals vollends in die grandiosen Fantasien, die uns Kino bietet und erfüllen kann - allerdings endet Chazelle dann doch auf einer Note, die unbefriedigend in die Realität entlassen will, um die Grenzen zwischen Illusion und Desillusionierung klar zu stellen. Hauptsache, die Karriere stimmt, ganz gleich, wie erbarmungslos der Verzicht aufs Glück eben jenes schon im Kopfkino zerreißt. Insgesamt verhält es sich mit diesem Film, wie es einem schon (um entsprechend bei klassischen Beispielen des frühen Hollywood zu bleiben) mit der Ayn-Rand-Verfilmung „Ein Mann wie Sprengstoff“ ging: Die Inszenierung unternimmt durchweg großartige Gefühlsveräußerungen in Optik, Spiel, Musik und schierer Dynamik, die innewohnende Ideologie - mit ihrem unbedingten Ehrgeiz von der Bindung wahrer Liebe weg - bleibt jedoch so unnahbar wie sie schon durch kalkulierte Charakterfolien befremdlich wirkt. Bei Rand war immerhin von Fortschritt und neuen Kunstformen die Rede, hier wird’s hingegen so hardcore ewiggestrig, dass Sebastians Urteil über Mia, sie sei ein Baby, genauso gut auf ihn zurückfällt; überhaupt auf eine Generation an Millennials, die teils überheblich hip auf Retro schwört und sich dennoch über den regressiven Trump aufregt. Gehören wir nicht alle irgendwie dazu? Chazelle lässt seinen (ganz gleich, ob so gewollten) Film als Repräsentation des Zeitgeists ganz interessant aufschlagen, wie widersprüchlich sich der Bezug zu seinen Idealen und dem Verständnis über die heiß geliebte Leinwand hinaus ergibt. Das Paradoxe und Irrationale im alltäglichen Umgang werden schließlich ohnehin mehr und mehr zum Mainstream, positiv bis negativ das Phänomen einer Ära an Ungewissheiten oder gefühlten Wahrheiten links wie rechts, die sich selbst in der Traumfabrik Hollywood nicht mehr einzuleben verstehen scheint, so sehnlichst der Wunsch danach auch nach draußen dringt.


Problematisch ist bei Chazelle dann allerdings das ultimative Einverständnis zur Entsagung, das sich mit den Verhältnissen zufriedengibt, obwohl das Herz blutet, als lebe man noch in Melodramen der vierziger Jahre. Nostalgie ist je nach Kontext eben auch nicht einwandfrei, erst recht bittersüß, wenn sich ein Chazelle am Zwang dazu verausgabt. Ironischerweise bleibt es allerdings spannend, was danach, jenseits wie mitten im „La La Land“, noch als Filmemacher aus ihm wird.


5 von 10 blauen Abendkleidern



vom Witte

Review: INTO THE WOODS – Im finsteren Wald verzweigen sich die Märchen

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Fakten:
Into the Woods
USA. 2014.
Regie: Rob Marshall. Buch: James Lapine. Mit: Emily Blunt, James Corden, Meryl Streep, Anna Kendricks, Chris Pine, Tracey Ullman, Johnny Depp, Daniel Huttlestone, Christine Baranski, Lucy Punch, Frances de la Tour, Tammy Blanchard, Annette Crosbie, Billy Magnussen, Joanna Riding, Simon Russell Beale, MacKenzie Mauzy, Lilla Crawford u.a. Länge: 124 Minuten. FSK: freigegeben ab 6 Jahren. Ab 25. Juni auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Ein Bäcker und seine Frau wünschen sich sehnlichst ein Kind. Um den Fluch der Unfruchtbarkeit zu brechen, den die niederträchtige Hexe auf sie gelegt hat, weil sein Vater ihr einst magische Bohnen aus dem Garten klaute, müssen sie ihr vier Dinge in drei Tagen beschaffen: Eine Kuh weiß wie Milch, Haar gelb wie Mais, einen blutroten Umhang und einen goldenen Schuh. Die Suche führt das Paar in den finsteren Märchenwald.






Meinung:
Nachdem der von Robert Stromberg in Szene gegossene „Maleficent – Die dunkle Fee“ im letzten Jahr ein gar absurd anmutendes Einspielergebnis von über 750 Millionen Dollar zu verzeichnen hatte, wurde mit diesen Zahlen eine Sache überdeutlich verständlich gemacht: Märchen sind nach wie vor en vogue! Aber, so viel Eingeständnis muss an dieser Stelle erlaubt sein, eine gewisse Frischzellenkur ist bei der Handhabung heutzutage nicht gänzlich sinnlos, hat „Maleficent – Die dunkle Fee“ eben auch nicht einfach nur die altbackene Geschichte von Dornröschen heruntergespielt, sondern sein erzählerisches Zentrum auf Malefiz (so wie sie ursprünglich im Deutschen hieß), die böse Fee, gelegt: Mut zum Modifizieren stand also auf der Agenda. Und diese revisionistische Courage lässt sich nun auch in Rob Marshalls „Into the Woods“ wiederfinden, der als gleichnamige Verfilmung des renommierten Broadway-Musicals sicherlich einige künstlerische Hürden und Kürzungen zu nehmen hatte, von den Entwicklern des Stücks, James Lapine und Stephen Sondheim, aber kontinuierlich unter wachsamer Beobachtung stand.


Der Märchenwald ist Pedo-Wolf-Gebiet
Und die haben Sicherheit genauso Mitverantwortung daran getragen, dass „Into the Woods“ den Sprung von der Bühne auf die Leinwand dermaßen glücken wird. Tatsächlich muss man sagen, dass Rob Marshall hier mal wieder ein Projekt unter seine Ägide genommen hat, bei dem sich seine schiere Lust am Inszenieren in einer lieblichen Bescheidenheit mündet, dass man über die ersten 70 Minuten lautstark applaudieren möchte. „Into the Woods“ nämlich ist nie daran interessiert, erschlagende money shots aufzuzeigen, obwohl sich die Märchenwelt in ihrem phantastischen Spezifikum natürlich als tadelloser Generator dafür anbieten würde. Stattdessen bleiben, nur beispielsweise, Riesen, die an einer Ranke aus dem Himmelreich herabsteigen, stetig im Nebulösen, was „Into the Woods“ attestiert, den Blick des Zuschauers nicht durch gigantomanisches Spektakel verfälschen zu wollen, sondern permanent auf das mehr als spielfreudig aufgelegte Ensemble richten zu lachen. Da wo sich die Wege von „Cinderella“, „Rotkäppchen“, „Rapunzel“, „Hans und die Bohnenranke“ sowie eine eigenständige Geschichte um ein quirliges Bäckerpaar kreuzen, prallen auch die Stars aufeinander.


Kendrick und Blunt in einem Film? So was gibt's auch nur im Märchen
Ob Anna Kendrick, Emily Blunt, James Corden, Daniel Huttlestone oder Oscar-Maskottchen Meryl Streep: Ihnen allen merkt man den bedingungslosen Spaß am Kostümieren und Musizieren an, was auch eine grundlegende Voraussetzung sein muss, um ein Musical mit ansteckender Vitalität zu füllen. Der beste Moment des Films gehört aber nicht allein Johnny Depp, der als schrulliger Pädo-Wolf Rotkäppchen (Lilla Crawford) zu ihrem sexuellen Erwachen gereicht, sondern vor allem Chris Pine und Billy Magnussen, die als vom Herzschmerz heimgesuchte Prinzen zum Gesangsduett am Wasserfall bitten, welches alsbald zum persiflierenden Duell heranwächst und so richtig Stimmung in die Bude bringt. Die Songs aber sind im Allgemeinen wunderbar vorgetragen, mit Esprit und Charme, bis wir jene 70-minütige Grenze überschritten haben und das vermeidliche „Happy End“ einen sich über 50 Minuten erstreckenden Nachklapp spendiert bekommt. Konnten sich die Charaktere in ihrer emotionalen Konfusion, ihren dringlichen Dilemmata, einfach in ihrer nicht ohne Macken auskommenden Disposition, erst noch geschwind in die Herzen schleichen, wendet sich das empathische Blatt in diesem Abschnitt noch einmal.


Eine gute Nummer, das beweist uns „Into the Woods“ eindrücklich, kann zwar die Zeit zum Stillstand bringen, niemals aber den Geist der Magie erdrücken. Die letzten 50 Minuten aber vollbringen genau das: Wurden die motivischen wie personellen Versatzstücke verschiedener Märchen erst einmal neu angeordnet und zu einem quicklebendigen, bekloppt-theatralischen Amalgam geformt, stagniert die Dramaturgie von „Into the Woods“ zunehmend. Die Phantasterei, das Fabulieren, das Träumen, die gesamte metaphorische Projektionsfläche des Settings, das gleichwohl auch als ein Aufzug in das Unterbewusstsein sowie als Abhandlung verschiedener Moralvorstellungen fungiert, wirkt zunehmend unbeweglicher, als würde sich der Bucheinband abgenutzt von den verblassenden Seiten lösen, weil man den Zeitpunkt verpasst hat, das Lesen für heute einzustellen und den Schmöker wieder im Regal zu platzieren. Dass „Into the Woods“ letztlich an einer solch herben Dichotomie scheitern sollte, ist zwar tragisch und nicht minder enttäuschend, wirklichen Groll vermag der Film letztlich dennoch nicht auf sich ziehen, dafür sind die ersten 70 Minuten einfach zu gut, zu subversiv, zu bezaubernd.


5 von 10 Hüten mit Fellohren


von souli

Review: SWEENEY TODD - Blutgetränkte Musical der Rache

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Fakten:
Sweeney Todd
USA. 2007. Regie: Tim Burton. Buch: John Logan. Mit: Johnny Depp, Helena Bonham Carter, Alan Rickman, Timothy Spall, Sacha Barn Cohen, Jamie Campbell Bowers, Ed Sanders, Lara Michelle Kelly u.a. Länge: 116 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Aufgrund einer Intrige wird Benjamin Barker angeklagt und aus London verbannt. Initiator all dessen ist Richter Turpin, der nach Barker Verschwinden dessen Frau ehelicht und  Barkers Tochter groß zieht. Nachdem Barkers Frau verschwindet, weil die brutalen Misshandlungen sie gebrochen haben, ist Tochter Lucy auf sich allein gestellt. 15 Jahre später kehrt ihr wahrer Vater allerdings zurück. Er gibt sich als Barbier aus, um blutige Rache an Turpin und allen Mitschuldigen zu nehmen.





Meinung:
Tim Burtons Sondheim-Adaption findet in der Vorlage schon gerne die beliebten Themen des Regisseurs, geht es doch vornehmlich um Ausgegrenzte, Abwegige, sprich finstere Gesellen, die schlicht missverstanden sind (und dennoch die Fetzen fliegen lassen). Im Vergleich zu solch herzhaften Antagonisten wie Alan Rickman und Timothy Spall wirkt ihr folgendes mörderisches Handeln dementsprechend reizvoll bis gar sympathisch. Der Schlusspunkt der Rache nimmt daher einen großen Teil der persönlichen Erfüllung für Charaktere und Narrativ ein, leitet aber unmissverständlich in eine tragische Note über, mit der auch schon alles begonnen hatte. Die letztendliche düstere Todes-Poesie ist für den Regisseur ein Idealfall, doch darauf arbeitet er sodann konsequent und stimmig genug hin, als dass die Eigenarten der Musical-Verfilmung hier zum schmückenden Beiwerk verkommen.


Barker bekommt seine schnittige Rache
Exzellent choreographiert er die Intimität seines Ensembles, erkundet ihre konzentrierten Domizile der verzweifelten Verwirklichung mit angemessen-objektivem Tempo. Die Inbrunst der musikalischen Gefühlsausdrücke geht daher auch nicht in ausschweifendem Licht, Prunk und Statistenfülle auf - die Stimme im gezeichneten Gesicht und der blutige Schnitt mit der Klinge lassen da schon alles Nötige raus; die jeweiligen Persönlichkeiten suchen ihre Identität dann bezeichnenderweise genügsam in zersplitterten Spiegeln und ihren wenigen verbliebenen Freunden, den Rasiermessern. Der innere Druck brennt aber unentwegt und so prescht ein opulentes Liedgut nach dem Anderen durch das graublaue London, das zudem mit der Künstlichkeit von CGI unterfüttert wird. Doch selbst dies arbeitet effektiv im Sinne des Films, da Burton mit der artifiziellen Oberfläche eine Durchschaubarkeit erzielt, die wiederum klaustrophobische Stimmung herbei fördert (siehe Mrs. Lovetts Tagtraum).


So oder so evoziert er unangenehme Orte, Fantasien und Psychogramme; disharmonische Innen- und Außenleben, die ihre Konfrontation zumindest in einer kompositorischen Harmonie abhalten können. Da die Motivation des Sweeney Todd nämlich auf Schicksal und Tod beruht, gesellt sich nun mal das Schicksal erneut hinzu, um den Kreislauf des unausweichlichen Todes in rabiater Konstruktion aufzustellen - nicht nur für Antagonisten und andere Opfer, sondern ebenso/umso einschlagender für die Hauptbelegschaft. Das Verständnis ist dennoch durchweg auf der Seite des Fehlerhaften, misanthropischen Erotomanen und Zerrissenen; findet ebenso den schwarzhumorigen Genuss in zerplatzten Schädeln sowie im unfreiwilligen Kannibalismus wie auch die bittere Romantik in Stillleben des Ausblutens. Im Endeffekt eine schier ungebändigte Auseinandersetzung mit dem Sterben, diese dritte R-Rated-Arbeit von Burton, doch keinesfalls eine verblümte, höchstens exzessiv-introvertierte, wenn man so will. Ein sehnlich verschrobener Reißer der Seelenpein.


7,5 von 10 kannibalistischen Kuchen


vom Witte

Review: STAGE FRIGHT - Sing, so lange du noch kannst...

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Fakten:
Stage Fright
CDN, 2014. Regie & Buch: Jerome Sable. Mit: Allie MacDonald, Douglas Smith, Meat Loaf, Minnie Driver, Kent Nolan, Brandon Uranowitz, Ephraim Ellis, Melanie Leishman, Thomas Alderson, James McGowan u.a. Länge: 90 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Die Teenagerin Camilla Swanson will in die Fußstapfen ihrer Mutter treten. Sie träumt von einer Karriere als Broadway-Star. Doch momentan arbeitet sie in der Küche eines Feriencamps für künstlerisch veranlagte Jugendliche. Sie will ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und schleicht sich heimlich ins Vorsingen für die große Sommer-Show. Camilla kann ihr Glück kaum fassen, denn sie ergattert tatsächlich die begehrte Hauptrolle in dem Musical. Doch als die Proben beginnen, treibt ein maskierter Killer sein Unwesen im Camp. Der Serienmörder hasst Musicals und so nimmt das Unheil seinen Lauf. Singt und tanzt um euer Leben! Ehe die Show vorüber ist, könnten weitere angehende Musical-Stars bereits tot sein...





Meinung:
Im Horrorfilmbereich, gerade im Sub-Genre des Teen-Slashers, ist Kreativität extrem selten geworden. „Scream“ ist schon zum Klassiker gereift, „The Cabin in the Woods“ war ein Lichtblick in den letzten Jahren, sonst ist leider oft monotoner Einheitsbrei angesagt. Jerome Sable erreicht mit seinem Spielfilmdebüt „Stage Fright“ zwar bei weitem nicht die Qualität der angesprochenen Beiträge, kann dafür endlich mal wieder mit einem interessanten, fast schon experimentellen Konzept für ein wenig frischen Wind sorgen. Ein Slasher-Musical, warum nicht?


Einen echten Profi kann (fast) nichts aus der Ruhe bringen.
Ganz fehlerfrei ist das Vorhaben selbstverständlich nicht, denn wen soll dieser Film gänzlich zufriedenstellen? Für den geneigten Slasher-Fan dürfte das zu viel Geträller beinhalten, der reine Musical-Freund könnte sich an den wenigen, dann aber (für eine 16er-Freigabe der FSK) doch recht blutigen Szenen stören. Insgesamt besticht „Stage Fright“ nicht durch seine Gesamtqualität, in beiden Bereichen ist das nichts Besonderes. Die Kreuzung hat trotzdem einen unbestreitbaren Reiz. Zum Glück nimmt sich das Projekt keine Sekunde ernst und kann ab und an mit einigen satirischen Spitzen ein kurzes Lächeln aufs Gesicht zaubern. The show must go on, egal ob einen Tag vor der Premiere jemand brutal niedergemetzelt wurde oder auch während der Vorführung die Darsteller knapp werden. Die Welt der Musicals ist hinter der ganzen aufgesetzten Fröhlichkeit auch nur eine bissige Schlangengrube, in der sich jeder selbst der Nächste ist und Hauptrollen sich wenn nötig auch mit der offenen Hose erarbeitet werden müssen. Wirklich spannend wird es zu keiner Zeit, richtig komisch auch nur selten. Die erste Musical-Nummer ist ein wahrer Knaller: „We’re gay, we’re gay, but not in that way…“. Das wird leider nicht in auf diesem Niveau fortgeführt, dann wäre hier auch deutlich mehr machbar gewesen. Wenn es zur Täterenthüllung kommt, ist das auch nur strunzdoof und würde bei jedem herkömmlichen Genre-Beitrag kaum mehr als ein gelangweiltes Augenrollen erzeugen. Doch eben das, herkömmlich, ist Sable’s Debüt halt nicht.


Eindeutig empfehlen lässt sich „Stage Fright“ ganz klar nicht, dafür ist der zu kurios in seiner Kombination und in dieser einfach nicht gut genug, um den Blick über den Tellerrand ohne deutliche Einschränkungen ans Herz zu legen. Aufgeschlossene Genre-Liebhaber, die sich nicht zu sehr an gewisse Dinge klammern, keine Wunder erwarten und mal etwas Abwechslung nicht abgeneigt sind, sollten diesen Film allerdings nicht gänzlich von der To-Watch-Liste streichen. Es muss nicht umgehend sein, aber allein für seine exotische Idee, die ganz liebevolle Umsetzung und einige gelungene Momente hat es diese Produktion zumindest verdient, zur Kenntnis genommen zu werden. Kreativiät sollte zumindest anerkannt werden.

5,5 von 10 Kabuki-Masken