Review: BORGMAN – Der Nachtalb aus dem Unterholz



Fakten:
Borgman
Niederlande, Dänemark, Belgien. 2013. Regie und Buch: Alex van Warmerdam. Mit: Jan Bijvoet, Hadewych Minis, Jeroen Perceval, Alex van Warmerdam, Sara Hjort, Dirkje van der Pijil, Annet Malherbe, Eva an de Wijdeven u.a. Länge: 113 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab 17. Februar 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Der Landstreicher Camiel Borgman bittet an der Tür einer Villa darum ein Bad nehmen zu dürfen. Außerdem gibt er an, die Frau des Hauses persönlich von früher zu kennen. Das Ergebnis der Bitte: Er wird vom Ehemann der Frau brutal verprügelt. Doch Camiel gibt nicht auf und quartiert sich kurzerhand im Gartenhaus des Anwesens ein. Die Frau, Marina, entdeckt ihn dort, ist von dem Mann aber fasziniert und bietet ihm sogar eine Anstellung als Gärtner an, nachdem ihr alter tragisch gestorben ist. Ob das wirklich eine gute Idee war?





Meinung:
„Ich bin noch für niemanden ein Problem gewesen.“

Nein, für das Alltägliche und das Standardisierte steht der Filmemacher Alex van Warmerdam nicht unbedingt ein. Zum Glück möchte man meinen, normiertes Material ohne den antreibenden Gedanken an Substanz aufzubringen gibt es ohnehin bereits im gähnenden Überdruss. Vielmehr ist der multitalentierte Niederländer unumgänglicher Bestandteil einer langsam erwachenden Perle im europäischen Raum, hat sich der holländische Film zuletzt mit „Rabat“, „Wolf“ oder auch „Matterhorn“ schon bereits auf sich aufmerksam machen können und ein theoretisch ähnliches Potenzial zur Entfaltung bereitstellt, wie die schaffensfreudigen Nachbarn aus Belgien (was zuletzt mit „Die Behandlung“ deftig gepunktet hat). Mit seinem neusten Werk „Borgman“ hat Alex van Warmerdam nun einen ganz und gar beachtlichen Film abgeliefert, der sich problemlos als 'konkurrenzfähig' titulieren lassen kann und jene These um die nationale Qualitätsweite ein weiteres Mal argumentativ belegt: Wer eine rege Affinität für die etwas andersartige Filmkunst pflegt, darf sich „Borgman“ keinesfalls durch die Lappen gehen lassen.


Möchte gern ein Bad nehmen: Borgman
Das erste Aufeinandertreffen von Camiel Borgman und dem gutsituierten Ehepaar Marina und Richard lädt geradewegs zum Projizieren ein. Man stelle sich vor, ein Fremder würde plötzlich auf der Matte stehen, die Haare ordentlich zerzaust, der Bart üppig in alle Himmelrichtungen streuend, ein Anblick wie ein verlotterter, derangierter Waldschrat, der seinen Bau verlassen hat. Ulkigerweise ist dieser Camiel Borgman seinem heimlichen Schlupfloch im Unterholz, verdeckt unter Brettern und Laub, tatsächlich entrissen worden, als ihm eine dreiköpfige Gruppe mit durchgeladenen Schießeisen äußerst ruppig aus dem Schlaf riss. Nun steht dieser Mensch also vor der eigenen Türe, bedient die Klingel und bittet um ein heißes Bad, bevor er seine Reise fortsetzen möchte. Die Entscheidung gestaltet sich schon im Kopf als äußerst problematisches Unterfangen, nicht zuletzt dank gehöriger Filmsozialisierung, die uns des öfteren veranschaulichte, was passieren kann, wenn man den Wilden kurzerhand wieder vom Hof jagt oder ihm, wie Richard, mit körperlicher Gewalt begegnet, um seinen Standpunkt etwas zu harsch zu untermauern.


Willkommen in der Familie, Borgman
„Borgman“ aber ist kein Film, der sich abgeschmackten, generischen Begrifflichkeiten unterzuordnen versucht, Alexa van Warmerdam hingegen wählt einen abstrahierenden Weg und lässt Camiel Borgman (der namentlich nicht zufällig an den Erzengel Chamuel angelehnt ist) zum bitterbösen, destruktiven Prinzip heranwachsen: Wie ein multiresistenter Keim dringt er durch sauber kalkulierte Manipulationsspitzen ganz zielorientiert in den familiären Organismus ein und zerstört diesen nach und nach von innen heraus, um gleichermaßen aufzeigen, dass der angebliche Hort des Rückzugs ohnehin schon tiefe Risse trug. Die Reibungspunkte, die Borgman nach und nach streut, verselbstständigen sich allerdings nach kurzer Zeit, schwirren im modernen Haus von Marina und Richard doch genügend unausgesprochene Konflikte durch die Luft, die Borgman letztlich nur ins Rollen bringen muss. Als gesellschaftliche respektive politische Parabel markiert „Borgman“ durch satirische Treffsicherheit und psychologischen Unterbau seine bohrenden Sichtweisen: Das Verdrängte frisst sich wieder vor in das verengte Blickfeld einer bornierten, von Faschismen dirigierten Sozialschicht, die sich selbst immer noch am nächsten ist.


Diese Süffisanz, mit der Borgman seine Verwüstung und Zerschlagung antreibt und auslebt, ist schon unglaublich: Allgemein ist „Borgman“ ein perfider Film geworden, der den Zuschauer, wie der titelgebende Nachtmahr, mühelos um den Finger wickelt und ohne Anlaufschwierigkeiten um den Finger wickelt: Ein echtes Mysterium, mit dem man sich nur zu gerne auseinandersetzen möchte. Dem Wohlstandbürger werden die Leviten gelesen, in dem man die seit jeher vorhandenen, aber immer totgeschwiegenen und verdrängten Konflikte gnadenlos aufbricht. In diesem Fall ist dafür nun eben eine gar übernatürliche Macht, eine diabolische Macht vonnöten, die Aussage aber lässt sich universell deuten: Zu viel Blindheit führt erst in die Entfremdung und anschließend in die Selbstzerstörung, der Anstoß dafür kann überall lauern.


8 von 10 Windhunden im Wohnzimmer


von souli

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