Zwielicht (Primal Fear)
USA, 1996. Regie: Gregory Hoblit.
Buch: Steve Shagan, Ann Biderman, William Diehl (Vorlage). Mit: Richard Gere,
Edward Norton, Laura Linney, Frances McDormand, John Mahoney, Alfre Woodard,
Terry O´Quinn, André Braugher, Maura Tierney, Steven Bauer, Joe Spano, Stanley
Anderson u.a. Länge: 125 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD
erhältlich.
Story:
Starverteidiger Martin Vail, immer
um Publicity bedacht, wittert die Chance für einen ganz großen Auftritt im
Rampenlicht der Medien. Der Erzbischof von Chicago wurde auf bestialische Art
abgeschlachtet, in der Nähe des Tatortes einer seiner Messdiener blutüberströmt
festgenommen. Vail bietet dem 19jährigen Aaron kostenlos seine Dienste an.
Normalerweise will er überhaupt nicht wissen, ob seine Mandanten schuldig sind
oder nicht, grundsätzlich ist es ihm egal, doch im Fall von Aaron ist er sich
trotz der erdrückenden Indizien sicher, dass er unmöglich der Täter sein kann.
Dieses höfliche, stotternde, eingeschüchterte Milchgesicht scheint niemals zu
so einer Tat fähig. Vail bastelt an einer geschickten Verteidigung, bis eine
unerwartete Wendung diese völlig über den Haufen wirft…
Meinung:
Nachdem die Karriere von Edward
Norton – vielleicht mit Ausnahme seiner Nebenrollen in den letzten Filmen von
Wes Anderson – in den vergangenen Jahren arg in Stottern (!) geraten schien,
meldete er sich mit seiner Rolle in „Birdman“ wieder im ganz großen Rampenlicht zurück, heimste einer
weitere Oscarnominierung als bester Nebendarsteller ein, auch wenn er am Ende
leer ausging. Wie auch schon bei seinem Debütfilm „Zwielicht“. Der beim Dreh
bereits 26jährige Norton (spielt einen 19jährigen, was man ihm aufgrund seines
schmächtigen Äußeren auch locker abnimmt) wird trotz seiner recht großen,
wichtigen Rolle erst weiter hinten in den Credits genannt, nach dem Film hatten
sich viele seinen Namen sicher gemerkt. Der Lohn: Die bereits angesprochene
Oscarnominierung und sogar der Gewinn des Golden Globes, in den Folgejahren
stieg er zum gefragten Charakterdarsteller auf. Ein Einstand nach Maß, kann man
kaum anders bezeichnen.
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Vielleicht sein größter Goldesel... |
Der nominell eigentliche Star des
Films ist Richard Gere, der den geltungsbedürftigen Schickimicki-Rechtsverdreher
Martin Vail gibt. Seine Mandanten sind selten Unschuldslämmer, können dafür gut
bezahlen und Vail ist es letztlich eh schnuppe, mit solchen Details hält er
sich nicht lange auf. Nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“
verzichtet er freiwillig auf die reine Wahrheit, biegt sich lieber geschickt
eine zusammen, die man den Geschworenen unterjubeln kann. Das beherrscht der
Mann blendend. Gere spielt das in seinem gewohnten Modus runter, lange nicht so direkt wie in seinen wenigen, dafür dann meist extrem überzeugend-intensiven
Bad-Guy-Parts in Filmen wie „Internal Affairs“ (1990) oder „Das Gesetz der
Straße – Brooklyn´s Finest“ (2009), auch nicht so blütenrein anschmiegsam wie
in seinen Paraderollen als grau melierter Schmusebär, sein Charakter liegt nun
mal im schattigen Niemandsland zwischen Gut und Böse. Oder eher zwischen höchster
Professionalität und (dem auf dem Niveau bald unvermeidlichen) moralischem
Desinteresse. Bei seinem neuesten Fall geht es ihm zwar nicht um das Honorar,
da gibt es nichts zu holen, dafür um etwas viel kostbareres: Sich medienwirksam
als großer Zampano zu verkaufen, einen schlicht unmöglichen zu gewinnenden Fall
zu wuppen und somit sein Ego in aller Öffentlichkeit auf höchstem Niveau zu
streicheln. Ausgerechnet jetzt bezieht er erstmals, ausversehen, moralisch
Stellung. Zunächst eher unbewusst, beiläufig, eigentlich juckt ihn das auch
nicht wirklich, aber diesen Kerl, diesen blassen Schluck Wasser in der Kurve,
der braucht ihn mit seiner zitterigen Stimme und den dankbar-kindlichen Augen
nur seine Unschuldsbekundungen vorstottern, da hat sich selbst ein abgebrühter
Profi wie Vail blitzschnell sein Urteil gebildet. Das Häufchen Elend hat einen
viehischen Mord begangen? Nie und nimmer.
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...oder sein schlimmster Fehler? |
„Zwielicht“ ist zwar ganz klar
konventionelle, wenig spektakulär inszenierte Justiz-Thriller- Kost im
A-Movie-Look der 90er, vom routinierten Auftragsregisseur Gregory Hoblit ohne
großes Eigenstellungsmerkmal mit einem soliden, gestandenen und dennoch nicht
super-prominenten, schillernden Cast sicher runtergedreht (da darf eine
Weltklassedarstellerin wie Frances McDormand auch mal ohne großen Aufwand die
Nebenkostenabrechnung fürs laufende Jahr verdienen), ist grob betrachtet nicht
unbedingt ein Hit, baut dadurch geblendet aber fast unbemerkt einen gut
durchdachten Plot auf, der eben nicht nur durch sein Kaninchen-aus-dem-Hut-Finale
am Ende noch die Kurve nimmt, sondern viel früher schon auf Kurs ist. Die Figur
von Gere macht eine glaubhafte, nicht zu ruckartige Entwicklung durch, nach 125
Minuten hat man plötzlich einen ganz anderen Menschen vor sich als noch zu
Beginn, ohne dass der Film darauf mit „dem einen Moment“ hinweisen muss. Da ist
er sicherlich selbst so überrascht drüber wie der Zuschauer, der das bemerkt.
In die Handlung werden gezielte und gut platzierte Verdachts- und
Zweifelmomente eingebaut, die nicht wie so oft sich als mehr oder weniger heiße
Luft erweisen, sondern für die Gesamtgeschichte, wenn auch nur am Rande, einen
Sinn erfüllen. Und über allem geistert dieser Edward Norton, der hier zwar nicht
die an einigen Stellen übertrieben-gepushte Überleistung bringt, aber das ist
schon, gerade für ein Debüt, erstaunlich klasse. Dass die Rolle, besonders
gegen Ende, zu konstruiert wirkt, dafür kann er nichts, holt dafür quasi das
Maximum aus dem Part heraus.
Der Film funktionierte damals leicht
anders als heute, was nicht schlimm, sondern eher ein Qualitätsmerkmal ist. Für
die Erstsichtung ist ganz klar die Pointe und deren Wirkung gedacht und als
solcher Trick ist das Ganze augenscheinlich auch konzipiert, aber der kann
durchaus noch mehr, was vielleicht erst mit leichtem Abstand auffällt. Sein
leicht biederes Äußeres mag täuschen, „Zwielicht“ gehört noch zu diesen
Ta-Ta-Ta-Filmen, die sich nicht nur mit dem Konfetti am Schluss entkräftet über
die Ziellinie retten.
7 von 10 Ausrastern im Kreuzverhör
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