Review: DIE BARTHOLOMÄUSNACHT - Liebe, Tod und ganz viel Pathos



Fakten:
Die Bartholomäusnacht (La reine Margot)
FR, IT, BRD, 1994. Regie: Patrice Chéreau. Buch: Danièle Thompson, Patrice Chéreau, Alexandre Dumas (Vorlage). Mit: Isabelle Adjani, Daniel Auteuil, Jean-Hugues Anglade, Vincent Perez, Virna Lisi, Dominique Blanc, Pascal Greggory, Claudio Amendola, Miguel Bosé, Asia Argento, Thomas Kretschmann, Julien Rassam, Jean-Claude Brialy u.a. Länge: 138/164 Minuten (Kinofassung/ungekürzte Fassung). FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Frankreich, 1572: In ganz Europa tobt ein Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten. Um die Lage zu entschärfen arrangiert Catherine de Médicis, die Mutter des labilen Königs Charles IX, eine Hochzeit zwischen ihrer Tochter Margot und ihrem protestantischen Vetter Henri de Navarre. Die Zwangsehe hat das Gegenteil zur Folge: Noch in der nächsten Nacht kommt es zur Eskalation, die Königsfamilie schlachtet die Anhänger von Henri ab und zwingt ihn zur Konvertierung. Dem Massaker entkommt La Môle, dank dem Schutz von Marguerite. Er flieht nach Amsterdam und plant mit seinen Verbündeten die Befreiung von Henri. Und von Marguerite, seiner heimlichen Geliebten.

                                                                                


Meinung:
„Deine Untertanen sind Tote bedeckt mit Erde oder Lebende bedeckt mit Schande!“

Nach dem Roman von Alexandre Dumas („Die drei Musketiere“) entstand 1994 dieses internationale Mammutprojekt, das seine Premiere auf den Filmfestspielen in Cannes feierte und mit rund 27 Millionen Euro (umgerechnet) selbst für heutige Verhältnisse ein ungewöhnlich aufwändiges Projekt darstellt, gemessen am sonstigen Budgetrahmen in Europa. Starbesetzt zudem, u.a. mit Isabelle Adjani, Daniel Auteuil, Jean-Hugues Anglade, Vincent Perez, Virna Lisi und Argento´s Dracula-Duo des Grauens, Thomas Kretschmann & Asia Argento, beide hier allerdings mit ansprechenden Leistungen, was bei Asia schon einen Meilenstein darstellt. 


Ehe ist...manchmal ungünstig konzipiert.
Die Verfilmung stützt sich in seinem Rahmen auf historische Tatsachen, die titelgebende Bartholomäusnacht, die groben Fakten sowie die beteiligten Personen gab es wirklich, für den dramatischen Effekt wurde selbstverständlich reichlich dazu gedichtet, was völlig okay ist. Wer jetzt meint, das unglaubliche Massaker jener Nacht - das die Straßen von Paris in ein Massengrab verwandelte -  würde als Höhepunkt des Films herhalten, der irrt. Nach dem Abschlachten von tausenden Protestanten durch die Hand der Königsfamilie warten fast noch zwei Stunden auf den Zuschauer, zumindest in der ungekürzten Fassung. Dieses martialische Blutbad bildet nur ein Zwischenhoch des Films, der sich von Beginn an prunkvoll und detailliert präsentiert, den Einstieg für Nichtkenner der literarischen Vorlage oder der realen Begebenheiten dabei eher schwierig bzw. fordernd gestaltet. Texteinblendungen bieten die dringend benötigten Backupinfos, dazu wird man mit zahlreichen Figuren und Namen bombardiert, die man erstmal unter einen Hut und deren jeweiligen Beziehungen zueinander bekommen muss. Letztlich rücken jedoch die entscheidenden Personen in den Fokus, wie die (im Original) titelgebende Margot, gespielt von Isabelle Adjani,  eigentlich deutlich zu alt für die Rolle mit knapp 40 Jahren. Dafür ist sie von ihren Anlagen perfekt für den Part, denn wenn etwas bei „Die Bartholomäusnacht“ negativ heraussticht, dann der Hang zu deutlichen Theatralik.


Geschichte wird mit Blut geschrieben.
Adjani in ihrem Element: Augen auf und los. Nicht falsch verstehen, das kann sie toll und wenn es der Rahmen eines Films erfordert, ist sie erste Wahl. „Die Bartholomäusnacht“ gibt sich dem großen Drama und den überkochenden Emotionen hin, unterlegt von sakralen Chören, um auch bloß jede Tragweite dieser großen Tragödie nicht untergehen zu lassen. Damit wird so dick aufgetragen, irgendwann ist auch mal gut. Sicher auch der Vorlage von Alexandre Dumas geschuldet, der Film will dessen Geist sicher möglichst korrekt wiedergeben und die Geschichte bietet natürlich reichlich an Seifenoper-Potenzial, dabei dargeboten auf hohem Niveau. Wie „Game of Thrones“, wenn man mal ehrlich ist. Da wird gelitten, getötet, geschmachtet und geliebt, werden Intrigen und Verschwörungen gesponnen, Zwangsehen zu Zweckgemeinschaften; zu Bündnissen; zu Affären; zu Konfliktpotenzial. Der Film gibt in seiner emotionalen Bandbreite alles und in den rund 160 Minuten (Kritik bezogen auf die Langfassung) passiert eigentlich dauernd etwas, nur ganz frei von narrativen Längen ist er trotzdem nicht. Es zieht sich ab und an, die emotionale Dauerbeschallung wird mitunter arg überstrapaziert, aber wenn der Film mitnimmt, dann macht er das sehr richtig. Man möge sich diesen Stoff mal nur als Hollywood-Variante vorstellen. Er wäre wahrscheinlich noch opulenter vorgetragen, dabei ohne die Authentizität, den ganzen Schmutz, Dreck und besonders die wenig verschönenden Darstellungen von sexuellen Ausschweifungen, bei der es von der harmlosen Entblößung weiblicher Geschlechtsmerkmale bis zu der brisanten (aber historisch korrekten) Thematisierung von selbstverständlichem Inzest in der „High-Society“ dieser Zeit.


Dazu kommen mitunter packende Szenen. Die Nacht der tausend Leichen ist schon mitreißend, schonungslos vorgetragen, besonders überzeugen aber die exzellenten Darsteller. Neben Adjani sind es Virna Lisi in der Rolle des manipulativen Muttertiers, die angeblich den Frieden herbeistrebt, dafür pausenlos das Unheil anzettelt und Jean-Hugues Anglade, der als labiles Nervenbündel von einem theoretisch entmachteten Königs eine Glanzleistung liefert, in der er buchstäblich Blut schwitzt. Zugegeben, der Film macht es einem nicht immer ganz leicht, strengt manchmal eher unnötig an, ist in seiner Opulenz und Hingabe dafür beeindruckend und als europäischer Gegenentwurf zum Big-Budget-Kino aus den USA mehr als nur ein Versuch. Nicht perfekt, aber bemerkenswert. 

6,5 von 10 klebrigen Buchseiten

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