Fakten:
Nightcrawler
USA. 2014. Regie und Buch: Dan Gilroy. Mit: Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed, Rene
Russo, Bill Paxton, Ann Cusack, Kevin Rahm, Kethleen York, Jonny Coyne, Michael
Hyatt, Eric Lange u.a. Länge: 117 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab 27. März auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story: Lou Bloom lebt in Los Angeles, behaust ein kleines Apartment und verdient
sein Geld mit illegalen Geschäften wie Betrügereien oder dem Stehlen von
Baumaterial. Doch er will mehr, er will einen richtigen Job! Doch sein Streben
nach einer Anstellung bleibt erfolglos. Als er nachts Zeuge wird, wie ein
Kamerateam einen Polizeieinsatz rund um einen Autounfall filmt und er erfährt,
dass man diese Aufnahmen den städtischen TV-Sendern verkaufen kann, ist sein
Interesse geweckt. Lou tauscht ein geklautes Rennrad gegen eine Kamera und geht
nachts selbst auf die Jagd, nach großen, spektakulären Bildern, die er der
abgebrühten News-Redakteurin Nina verkaufen kann. Schnell feiert Lou durch
seine durchtriebene und waghalsige Art Erfolge und stellt mit dem obdachlosen
Rick noch einen Gehilfen an. Doch Lou will noch mehr Erfolg und er ist auch
bereit Grenzen dafür zu verschieben oder gleich zu brechen.
Meinung: Sein
Bruder, Tony Gilroy, bewies mit seinem Regiedebüt ein gutes Gespür für eine
tolle Geschichte, grandiose Darsteller und eine fesselnder Inszenierung. Ob Dan
Gilroy mit „Nightcrawler“ ebenfalls solch ein grandioses Werk abliefert wie
sein Bruder mit „Michael Clayton“?
Lou und sein "Angestellter" beim Arbeitsgespräch
Die Medienschelte, die „Nightcrawler“ betreibt, ist angriffslustig und plakativ.
Sie negiert sich gegenüber Graustufen und funktioniert als fratzenhafte
Spiegelung des medialen Wahns der Skandale, großen Bilder und emotionalen
Trubels. Lou Bloom erweist sich dabei als eine Art Frankensteins Monster dieser
Welt. Er ist die menschgewordene Essenz einer Gesellschaft, die Erfolgsdruck
als genauso attraktiv und begehrenswert beschreibt wie alltägliche
Nettigkeiten. Bloom ist so smart wie rücksichtslos, so charmant wie
durchtrieben, so eloquent wie radikal. Ein Wolf im Schafspelz, der schnell
versteht, wie die Regeln des Systems funktionieren, wie man sie optimal befolgt
und somit Erfolge feiern kann. Eine ethische Komponente gibt es dabei nicht und
wenn doch eine erscheint, versandet sie in der Scheinheiligkeit. Lou Bloom ist
„Bild“ und „heftig.de“ in Menschengestalt. Das Plakative an „Nightcrawler“ ist
aber keine Passivität oder ungeschicktes Denken, sondern Teil der Offenlegung,
die der Film praktiziert. Dan Gilroy nutzt Simplizität um einen Kreislauf
sichtbar zu machen. Wenn am Ende von „Nightcrawler“ die Autos über die
nächtlichen Straßen von Los Angeles heizen, sie dem Gegenverkehr ausweichen,
sie sich überschlagen und gegen andere Fahrzeuge knallen, dann ist klar, dass
die mediale Realität die Normalität vollends bestimmt. Das von den
Marktschreier-Medien propagierte Weltbild, wir haben es längst angenommen und
es zu unserem gemacht. So erweist sich Lou Bloom als absoluter Autonomer, hat
er doch verstanden was zu tun ist, um das Spiel, das System so zu nutzen, dass
man darin wandeln kann, ohne sich zu verändern und gleichzeitig Erfolge zu
feiern. Er ist ein Monster, welches Egoismus und Gier so kongenial einnahmt
hat, dass es adrett zu ihm passt. Lou Bloom ist das kompromisslose Ideal eines
modernen Menschen. Sehr furchteinflößend.
Ausnahmsweise steht Lou einmal im Scheinwerferlicht
Jake Gyllenhaal („Enemy“) verkörpert diesen Lou Bloom mit solch einer
rasiermesserscharfen Präsenz und dennoch ist es schwer in klassisch zu
katalogisieren. Bloom ist zwar ein klar taktierender, eloquenter Egozentriker,
der mit vermeintlich liberalem Narzissmus durch die Welt geht und der sich
selbst als Gutmensch sieht und sich so auch seiner Umwelt verkauft. Zeitgleich
schlummert aber in ihm etwas. Etwas zittrig-fiebriges. Wie ein Monster im
Keller, welches nicht von äußeren Umständen freigelassen wird, sondern nur von
Bloom selbst. Ein Mann wie Dr. Jekyll und Mr.Hyde, der eigenständig zwischen
den Polen wechseln kann. Wie Gyllenhaal das spielt ist schlicht und ergreifend
sensationell und schlägt die Qualität seinen gefeierten Auftritt in „Prisoners“
noch einmal um Längen. Dank Gyllenhaal ist Blooms garstige Seele jederzeit
spürbar und präsent und dennoch umweht ihn der scheinbar unverdrängbare
Schleier des Charmanten. Furchteinflößend superb, vor allem durch die
Koppelung, bzw. Fixierung an den gesellschaftskritischen Kontext. Das neben
Jake Gyllenhaal da nicht mehr viel Platz bleibt verwundert nicht. Aber die
Nebenakteure Riz Ahmed („Four Lions“) und Rene Russo („Lethal Weapon 3“) geben
sich dennoch Mühe neben Bloom darstellerisch zu bestehen. Ein wahrer Härtetest,
den sie allerdings bestehen, besetzen sie doch die Nischen des menschlichen
Wesens, die Bloom nicht ausfüllen will oder noch nicht kann. Gyllenhaal, Ahmed
und Russo (schön sie endlich mal wieder in einer echten Rolle mit Charakter zu
sehen): die Besetzung von „Nightcrawler“ ist schlicht und ergreifend betörend.
Also ist Dan Gilroys Regiedebüt ähnlich gelungen, wie das Debüt seines Bruders
Tony aus dem Jahre 2007? Ja, das ist es. Beides Meisterwerke; beide exerzieren
intelligentes wie unterhaltsames Kino mit Kern und Aussage, welches den Hauch
des New Hollywoods beinhaltet. „Nightcrawler“ ist einer der besten Filme des
Jahres und eine weitere Visitenkarte für die schauspielerischen Qualitäten von
Jake Gyllenhaal.
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