Fakten:
Fortress
AUS, 1985. Regie: Arch Nicholson.
Buch: Everett De Roche, Gabrielle Lord (Vorlage). Mit: Rachel Ward, Sean
Garlick, Marc Aden Gray, Elaine Cusick, Laurie Moran, Vernon Wells, Peter Hair,
David Bradshaw, Rebecca Rigg, Asher Keddie, Anna Crawford, Bradley Meehan,
Richard Terrill u.a. Länge: 85 Minuten. FSK: Keine Freigabe. Auf DVD
erhältlich.
Story:
Die Lehrerin Sally Jones und ihre
neun Schüler werden von vier maskierten Männern entführt, die Lösegeld
erpressen wollen. Sie verschleppen sie
in die Wildnis, wo ihnen zunächst die Flucht gelingt. Doch die Entführer geben nicht so schnell auf. Gehetzt und in Lebensgefahr wachsen Lehrerin
und Schüler irgendwann über sich hinaus und sind nicht mehr bereit, nur noch
wegzulaufen.
Meinung:
Das Leben in der australischen
Provinz ist kein Ponyhof. Hier müssen kleine Jungs schon mal drei Nächte mit
der Büchse in der Hand auf der Lauer liegen, um die Hühner vor dem gierigen
Fuchs zu beschützen. Doch das ist ja alles noch harmlos. Wenn der
Weihnachtsmann mit Ente/Katze/Maus und abgesägten Schrotflinten die (einzige)
Klasse einer Mini-Schule – die man bei uns so vielleicht maximal aus „Unsere
kleine Farm“ kennt - samt junger Lehrerin entführt und ins Outback verschleppt
geht es ums eigene, nackte Überleben.
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"Hat jemand Ente bestellt?" |
Ein seit seligen VHS-Zeiten völlig
in Vergessenheit geratenes B-Movie aus Down Under, mit dessen Titel man heute nur
reflexartig Stuart Gordons Sci-Fi-Actioner „Fortress – Die Festung“ mit
Christopher Lambert verbindet und somit verwechseln könnte, dieser „Fortress“
schlägt in eine ganz andere Kerbe. Lange bleibt dem Zuschauer auch rätselhaft,
wieso er denn diesen Titel trägt. Völlig egal, dafür bleibt eh kaum Zeit.
Dieses kostbare Gut, gerade bei schlanken 85 Minuten, wird nicht großzügig
verplempert, „Fortress“ macht seine Gefangenen recht flott und lässt sie fortan
durch eine Odyssee aus konstanter Todesangst und Überlebenswillen schlittern,
was sich erst überraschend anders verkauft, als es das martialische,
exploitativ nicht nur angehauchte Filmplakat vermuten lässt. Nur grob auf einem
realen Fall basierend (auch dort wurde ein Schulklasse entführt, der spätere
Verlauf ist reine Fiktion), entwickelt sich ein Abenteuer-Survival-Drama, das
direkte, explizit-physische Gewalt lange höchstens androht. Die Bedrohung durch
die unmenschlichen Tiere von Entführern ist zwar spürbar, die verschwinden allerdings
so schnell wie sie auch gekommen sind für eine ganze Weile wieder von der
Bildfläche. In der Zwischenzeit formieren sich die besonnene, dabei niemals
sich ihrem möglichen Schicksal ergebene Lehrerin mit leichten
MacGyver-Qualitäten (macht darstellerisch wie optisch eine gute Figur: Rachel
Ward) und ihre durch alle schulpflichtigen Altersgruppen quer gemischten
Schützlinge zu einer verschworenen Einheit.
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Karneval in Australien, da läuft das etwas anders... |
Naturgemäß, auch mit der
Beschützerrolle für die Kleineren im Hinterkopf, steht zunächst reiner
Fluchtinstinkt im Vordergrund. Zu ihrem Glück (womit schon einer der klaren
Kritikpunkte des Films erwähnt wäre), sind die Kidnapper zwar rücksichtlos
durch und durch, gleichzeitig und offensichtlich aber nicht gerade die hellsten
Kerzen auf der Torte, zumindest erschreckend schlecht vorbereitet und später
schon fahrlässig naiv. Mehr als etwas Mut und dem Willen zur Rettung der
eigenen Haut benötigt es nicht, um den Geiselnehmern gleich mehrfach zu
entkommen, die entweder ihre „Gefängnisse“ niemals vorher inspiziert haben oder
sich mit schon bald lächerlichen Tricks überrumpeln lassen, die ihnen trotz der
präsentierten Skrupellosigkeit etwas den Schrecken nehmen. Dummheit schützt
zwar nicht vor potenzieller Brutalität, aber macht sie schon ein gutes Stück
schwächer, verletzlicher. An den direkten Gegenstoß denken die verängstigten
Opfer zunächst nicht, was nur logisch ist, schließlich handelt es sich hier um
eine junge Frau mit Verantwortung für neun Kinder, von denen nur wenige
überhaupt in der Lage wären, sich aktiv zur Wehr zu setzen. Bis der Film – und mit
ihm seine Figuren – an einen ganz entscheidenden Punkt kommen: Das letzte Drittel,
das Finale, in dem sich nun nicht nur der Filmtitel erschließt, sondern es zu
einem aus der Not und Verzweiflung geborenen Umdenken kommt, der im ersten
Moment vielleicht sogar wie ein radikaler Bruch erscheinen mag, in seiner
Konsequenz und Psychologie allerdings nur eine logische, wenn auch nicht minder
erschreckend Schlussfolgerung ist.
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Wer will schon auf diesem Schoß sitzen? |
In die Enge getrieben in ihrer
Felsenfestung bläst die bis dahin stets auf den reinen Schutz durch Entziehen
der direkten Konfrontation konzentrierte Gruppe (gezielt gesteuert von der
Pädagogin, die nun auf den ethischen Erziehungsauftrag bewusst pfeift und sogar extrem manipulativ
auf ihre Schutzbefohlenen einwirkt) zum Gegenangriff und nun nimmt der Film
eine Wendung, die sich in ihrer drastischen Art von Minute zu Minute selbst
übertrifft. Überdeutlich werden nun sehr direkte, teilweise schon identische
Bezüge zum Literaturklassiker „Herr der Fliegen“ genommen, mit zwei
entscheidenden Unterschieden: Der Antrieb entsteht diesmal nicht aus der
unkontrollierten Eigendynamik der Kinder heraus und die Gewalt richtet sich
ausschließlich gegen eine externe Bedrohung, nicht gegen die eigenen Reihen. An
der Stelle sollte unbedingt der (abermals) brillante Audiokommentar von
Filmwissenschaftler Dr. Marcus Stiglegger erwähnt werden, der das Ganze auf
einer sehr weitsichtige Art hinterfragt: Da es sich bei der treibenden Kraft um
eine Lehrerin handelt, kann man davon ausgehen, dass ihr das Buch von William
Golding bekannt ist. Das gibt der Manipulation ihrerseits eine ganz andere
Dimension, da man nur noch bedingt von einem unterbewussten Handeln aus dem
Affekt sprechen kann. Alles leicht spekulativ, dennoch ein nicht unwichtiger
Punkt. Denn was in diesen letzten 20 Minuten passiert, ist in seiner
reaktionären Weise zwar schon leicht kritisch und moralisch eventuell
grenzwertig, in seiner Logik dabei nicht weniger als menschlich und so was unterliegt
in Extremsituationen mit der entsprechenden Vorgeschichte nun mal selten bis
nie irgendeiner Form von Moral, Anstand, richtig oder falsch.
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Coming-of-Age auf die harte Tour. |
Der steigende Gewaltpegel ist dabei
nicht mal großartig schockierend, damit war zu rechnen und in Anbetracht der
äußeren Erscheinung des Films (bzw. der DVD) fast schon überfällig. Genau
genommen lässt „Fortress“ in der ersten Stunde einiges an Potenzial sogar außen
vor, denn obwohl sich nie Langatmigkeit einstellt, er strukturiert, gradlinig vorgetragen
wird, niemals billig aussieht und sogar einige grandiose Optik- und Stimmungsmomente
bietet (die Silhouette der Gruppe vor der untergehende Sonne im Outback, das
Licht im Mondschein, der bedrohliche Nebel während der Flucht), er könnte
durchaus spannender, packender sein, gemessen an den Voraussetzungen und den
hier gelegentlich präsentierten, formellen Ansätzen. Das, gepaart mit den bereits
erwähnten Schwachstellen in Bezug auf das Vorgehen der Bad-Guys, lässt den Film
zu lange schwächer wirken, als er sich schlussendlich darstellt. Denn diese
offensichtlichen Schwächen scheinen bald nichtig, wenn sich das Gesamtbild
offenlegt, zumindest in dieser gezielt aufgebauten Entladung. Selbst abgebrühte
Zuschauer dürften gegen Ende mindestens zweimal tief durchatmen, was nicht an
einer sehr plastischen Darstellung von Gewalt, sondern mehr an seiner Wirkung
und dem durchaus schockierenden Umgang mit ihr liegt. Nicht WAS, sondern WIE,
und vor allem sind es die letzten fünf Minuten, die einem Tritt in den Magen
gleichkommen. Dann, wenn eigentlich alles vorbei ist.
Diese Szenen, die unreflektierte
Filmemacher womöglich gar nicht eingebaut hätten, sind kontrovers und
provokativ bis ins Letzte, genauso bewusst als Waffe eingesetzt wie vorher die
Schüler seitens der Lehrerin. Man könnte dem Film sogar die
Rechtfertigung von roher, barbarischer Gewalt vorwerfen, dadurch dass er diesen
Aspekt jedoch direkt benennt und ihm ein (oder eher zwei) erschrockene(s),
verstörende(s) Gesicht(er) gibt, wird klar, dass er genau das nich tut. Er liefert ein Resultat, ohne Reue, ohne Traumatisierung und dadurch
bleibt er hängen. Was er eindeutig will, was deutlich macht, dass ihm die
Tragweite seiner Wirkung bewusst ist. Was es wert macht, sich intensiver mit
ihm auseinanderzusetzen und wohlwollend über diverse Schwächen hinwegzusehen.
Dieser Film hat zumindest diesen Diskurs über ihn und seine Intention, seinen
mutigen Ausklang verdient und ist damit prädestiniert, um endlich wieder öfter
gesehen zu werden.
7 von 10 angespitzten Linealen
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