Review: GANGS OF NEW YORK - Scorseses unvollendetes Meisterwerk



Fakten:
Gangs of New York
USA, Deutschland, Italien. 2002. Regie: Martin Scorsese. Buch: Jay Cocks, Kenneth Lonergan, Steven Zaillian. Mit: Daniel Day-Lewis, Leonardo DiCaprio, Cameron Diaz, Jim Broadbent, Brendan Gleeson, Liam Neeson, John C. Reilly, Stephen Graham, Eddie Marsan u.a. Länge: 160 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu- Ray erhältlich.


Story:
„Gangs of New York“ ist die Geschichte von Amsterdam (Di Caprio), dessen Vater von Bill „The Butcher“ Cutting (Day-Lewis) getötet wurde. Dafür will er jetzt, mittlerweile zu einem jungen Mann herangewachsen, Rache. Dafür schließt er sich der Gruppe um den Butcher an, um eine günstige Gelegenheit abzuwarten. Doch der skrupellose und grausame Butcher ist mit allen Wassern gewaschen.




Meinung:
"Unser Glaube ist die Waffe, die unsere Feinde am meisten fürchten, denn es gibt unserem Volk die Kraft, sich gegen diejenigen zu erheben, die uns vernichten wollen."


Schon die Eröffnung, dieser Kampf zwischen den „Natives“ und den „Dead Rabbits“, er hat eine tolle Mixtur aus Brutalität und viel Blut. Aus Gewalt und Abschlachten. Tolle Kameraeinstellungen, Großaufnahmen der Fratzen und dazu die moderne Musik machen daraus eine (wie zumindest ich finde) künstlerisch große Sequenz. Danach ist man sofort mitten in dieser Welt drin. In den Five Points, einem heruntergekommenen Viertel in New York um das Jahr 1850.


"Komm in meine Arme!"
Die Geschichte von „Gangs of New York“ wird oft als „dünn“ beschrieben und oberflächlich könnte man sie, wie oben getan, auch schnell zusammenfassen. Es ist die Geschichte von Amsterdam, dessen Vater von Bill „The Butcher“ Cutting getötet wurde. Dafür will er, jetzt als junger Mann, Rache. Und er will etwas gegen die Herrschaft des skrupellosen und grausamen Butchers tun. Aber diese Zusammenfassung würde diesem Film nicht gerecht werden. Denn sie ist viel mehr. So haben wir die echten historischen Hintergründe der „Draft Riots“ im Jahr 1863. Und wir haben neben der Geschichte über Rache auch die Geschichte von Macht und Vorherrschaft. Von Einfluss. Es geht um Freundschaft, Liebe und Verrat. Um Bürgerkrieg, um Politik, um Gewalt. Die Geschichte zeigt, dass man für seine Überzeugungen, dass man für seine Ideale und sein Glück kämpfen muss.

In New York regelt man Streitigkeiten noch wie Männer
Ich habe eine gewisse Zuneigung für Kostümfilme. Für Kostüme und für Zeiten, die mehr als 100 Jahre her sind. In denen man die Historie förmlich fühlen kann. Und gerade in der Hinsicht ist der Film einfach fantastisch. Kombiniert mit den tollen Kulissen und der vor allem mit Trommeln, Flöten und Geigen eingespielten Musik vermittelt der Film ein glaube ich wirklich gutes Bild der damaligen Zeit, vor allem aber, und das ist viel wichtiger, lässt er den Zuschauer in diese Welt eintauchen, bringt einem das Gefühl näher. Auch ästhetisch kann der Film so einiges bieten. Nicht nur in der bereits erwähnten Eröffnungsszene, eigentlich den ganzen Film hindurch. Durch Rückblenden, durch tolle Kameraeinstellungen und vor allem durch die Darstellung der Gewalt. Grausam, brutal, blutig. Roh und ungeschönt. Phasenweise auch zur Kunst stilisiert und gleichzeitig erniedrigt, wenn zum Beispiel das Töten mit dem Schlachten von Schweinen gleichgesetzt wird.

 „Durch das Fleischerhandwerk lernst du so einiges. Wir sind alle gleich geschaffen, aus Fleisch und Blut, Gewebe und Knochen." 


Die "Dead Rabbits" sind bereit zur Schlacht.
Schauspielerisch ist der Film nicht weniger als überragend: Leonardo DiCaprio spielt den jungen Amsterdam super. Man nimmt ihn den rachsüchtigen jungen Heißsporn und den charismatischen Anführer gleichermaßen ab. Wer, warum auch immer, behauptet, DiCaprio sei ein schlechter Schauspieler, der wird hier mal wieder eines besseren belehrt. Er gehört zu den besten Männern seiner Generation. Ja, und sein Gegenspieler ist der vielleicht beste. Der dreifache Oscar-Gewinner Daniel Day-Lewis. Ausgerechnet in der Rolle, die einem vielleicht am längsten im Gedächtnis bleibt, die Rolle des Bill „The Butcher“ Cutting, ist ihm „nur“ eine Nominierung für den Goldjungen zu Teil geworden. Und dam man seine Performance sowieso nur versteht, wenn man sie gesehen hat, kann ich auch eigentlich gar keine angemessenen Worte dafür finden. Nur eines: Solche Leistungen sieht man so gut wie nie. Selbst für den genialen Schauspieler Day-Lewis ist der Butcher wohl nicht unbedingt alltäglich. Neben den beiden Hauptdarstellern sind da dann noch die für meinen Geschmack exquisiten Nebenfiguren. So ziemlich jeder der Darsteller gehört zu meinen Lieblingen: Liam Neeson als Amsterdams Vater, Jim Broadbent als einflussreicher Politiker, Brendan Gleeson als hervorragender Straßenkämpfer und später gewählter Sheriff oder John C. Reilly als korrupter Polizist. Und sogar die sonst ziemlich nervige Cameron Diaz ist diesmal nicht schlecht (auch wenn sie optisch nicht so recht passen will). Weil aber der Cast ansonsten so außergewöhnlich perfekt ist, ist sie doch so ein kleiner Schwachpunkt im Ensemble.


Dass der Film keine Höchstwertung bekommt liegt aber vor allem an einer Sache. Wie schon erwähnt, wirkt die Story für manche etwas dünn und zu lang. Ich sehe das nicht so, ganz im Gegenteil. Sie ist zu kurz! Das mag bei einer Laufzeit von über zweieinhalb Stunden zwar vielleicht etwas merkwürdig klingen, aber es ist so. Sie ist so voll mit spannenden Geschichten, mit interessanten Persönlichkeiten, über die ich so gerne mehr erfahren hätte. Und oft wird deren Einzelgeschichte auch begonnen, aber irgendwo verläuft sie dann meistens im Sand, bleibt leider zu oberflächlich. Ich habe einfach den Eindruck, dass Scorsese eigentlich noch viel mehr erzählen wollte. Aber um das angemessen für dieses wie ich finde epochale Historienwerk zu machen, hätte es mindestens noch eine halbe Stunde mehr gebraucht. Wahrscheinlich noch viel viel mehr. Wirklich schade.


Aber bis auf diesen kleinen Schönheitsfehler ist „Gangs of New York“ dennoch ein wahrhaftig großer Film, ein toll gespieltes, optisch starkes, rohes, brutales und blutiges Historiendrama. Und ein leider viel zu unterschätztes Werk, das eigentlich alles hat, was ein großer, epochaler Film so braucht.


9 von 10 Kerben in der Keule

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