Review: DR. SELTSAM, ODER: WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN - Satirischer Blick auf den Kalten Krieg


Fakten:
Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb)
UK. 1964. Regie: Stanley Kubrick. Buch: Stanley Kubrick, Terry Southern, Peter Byant. Mit: Peter Sellers, George C. Scott, Sterling Hayden, Slim Pickens, Keenan Wynn, James Earl Jones, Peter Bull u.a. Länge: 93 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.


Inhalt:
General Jack D. Ripper, von der „Reinheit der kostbaren Körperflüssigkeiten“ besessen, lässt durch den Befehl, einige B-52-Bomber gegen die Sowjetunion fliegen zu lassen, eine Einzelkampagne gegen den Kommunismus starten. Die Sowjets reagieren mit der „Vorrichtung des jüngsten Tages“, was die Welt kurz vor ihre Vernichtung bringt. Der US-Präsident (Peter Sellers) versucht derweil mit seinem Mitarbeiterstab, diese Katastrophe aufzuhalten – und das auf höchst skurrile Weise.





Meinung:
Oktober 1962. Die Welt steht am Abgrund. Ein atomarer Krieg droht. Und damit das Ende der Erde, wie man es kennt. Im Streit zwischen den Vereinigten Staaten auf der einen und Kuba und der UdSSR auf der anderen Seite spitzt sich bedrohlich zusammen. Die heiße Phase der Kuba-Krise war da. Wie wir wissen, konnte dieser atomare Krieg glücklicherweise verhindert werden. Und nicht nur die handelnden Politiker in den beiden Lagern waren es, die diese Krise nach gut zwei Wochen wieder entschärfen konnten, stattdessen waren in großem Maße Glück und Zufall für das Verhindern eines atomaren Konflikts zwischen West und Ost verantwortlich. Auch in Stanley Kubricks Film „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ steht die Welt am Abgrund. Auslöser ist der durchgeknallte amerikanische General Jack D. Ripper, der einen atomaren Luftangriff auf die Sowjetunion anordnet. Präsident und Politiker wollen einen solchen Angriff aber nicht, den Angriff abzublasen ist aus verschiedenen Gründen aber nicht möglich. Aber es kommt noch schlimmer: Die UdSSR besitzt eine Weltvernichtungsmaschine. Bei einem atomaren Angriff würde sie sich automatisch aktivieren, abgeschaltet werden kann sie nicht. Tja, blöd gelaufen.


Dr. Strangelove - ein genial-verrückter Wissenschaftler
Regisseur Stanley Kubrick schafft mit seinem Film eine grandiose Satire auf den Kalten Krieg, auf die Problematik des atomaren Patts und auf die Unfähigkeit der Politiker in den beiden großen Lagern, richtig zu handeln und den Konflikt zu lösen. Besonders wichtig für das Gelingen der Satire ist Hauptdarsteller Peter Sellers, der gleich drei Rollen übernimmt. Mit dem besonnenen britischen Austauschoffizier Captain Mandrake stellt er einen guten Gegenpol zum verrückten General Ripper dar. Darüber hinaus spielt er den überforderten aber dennoch vernünftigen US-Präsidenten Muffley, doch seine Glanzrolle ist die des deutschen und ehemaligen Nazi-Wissenschaftlers Dr. Seltsam (oder im Original: Dr. Strangelove). Schleimig, verrückt, virtuos mit Sprache und Körper macht es einfach Spaß, diesen Charakter zu beobachten. Besonders das unkontrollierte Hochschnellen seines rechten Armes und der verzweifelte Versuch, dies mit dem anderen Arm zu verhindern, sind witzig. Irrwitzig.


Aber überhaupt hat diese Satire enorm viel Witz und Humor. Slapstick (Colaautomat) gibt sich die Hand mit geschliffenen Dialogen. Und natürlich auch Parodien und Anspielungen, von denen es mehr als genug gibt. Der „Heiße Draht“ zwischen Kreml und dem Weißen Haus zum Beispiel wird in verschiedenen Telefongesprächen zwischen dem US-Präsidenten und der UdSSR persifliert, zeigt die Unfähigkeit der Politiker und die Probleme durch Bürokratie. Eines der absoluten Highlights.


Ob es Muffley schafft, den Krieg zu verhindern?
Der in Schwarz-Weiß gedrehte Film hat schon fast Kammerspiel-Atmosphäre, zumindest beschränkt er sich auf nur wenige Räume und relative wenige handelnde Personen. Vollkommen überzeichnet und mit sprechenden Namen, dabei aber nie lächerlich, sondern mit ernstem Hintergrund und Anspielungen schafft es Kubrick, die Skurrilität, den Wahnsinn und den Einfluss von verrückten Zufällen auf die Spitze zu treiben. Legendär ist wohl der berühmte Ritt auf der Bombe, der mittlerweile schon oft adaptiert und parodiert wurde. Das beste daran aber: es erscheint alles absolut logisch. So skurril die Geschichte anmuten mag, so überzeichnet alles erscheinen mag, so real wirkt sie. Und genau das zeichnet eine gute Satire aus. Dass sie trotz aller Übertreibung so wirklich passieren könnte. Ein bisschen too much war für meinen Geschmack dann nur das Ende, auch wenn es letztlich nur konsequent war. Und einfach noch erwähnen, ohne wirklichen Zusammenhang, ohne Anbindung, einfach, weil es für mich so ein genialer Ohrwurm war, möchte ich das Musikstück „When Johnny Comes Marching Home“, das im Film allgegenwärtig ist. Grandios.


Zum Abschluss noch ein Problem aus heutiger Sicht: Nur, wenn man sich mit Geschichte, hier dem Kalten Krieg beschäftigt, dann wird man heute diese Anspielungen und Parodien auch verstehen. Damals waren sie wohl für alle (vor allem natürlich amerikanischen) Zuschauer offensichtlich. Also: Für Leute mit vertieft geschichtlichem Interesse können sich in diesem Film noch ganz andere Dimensionen eröffnen (Anspielungen auf McCarthy, die Zar-Bombe, U2-Aufklärungsflüge und vieles mehr), für alle anderen bleibt eine hervorragende Satire auf den Kalten Krieg oder, wenn man selbst damit nichts anfangen kann, eine verrückte Komödie mit einem tollen Peter Sellers.


9 von 10 Ritte auf einer Bombe

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