Review: HERBSTSONATE - Das unsichtbare Band zwischen Mutter und Tochter



Fakten:
Herbstsonate (Höhstsonaten)
BRD, Schweden. 1978. Regie und Buch: IngmarBergman. Mit: Liv Ullman, Ingrid Bergman, Lena Nyman, Halvar Björk, Erland Josephson, Gunnar Björnstrand, Marianne Aminoff, Arne Bang-Hansewn, Mimi Pollak u.a. Länge: 93 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Die bekannte Pianistin Charlotte besucht ihre Tochter Eva in Norwegen.  Ihre letzte Begegnung ist schon Jahre her und viel hat sich im Leben von Eva geändert. Sie ist mittlerweile mit einem Pfarrer verheiratet, empfindet für ihn aber nichts. Dazu kommt, dass Eva die Pflege ihrer Schwester übernommen hat, die Charlotte einst in eine Privatklinik unterbrachte. Genau dieser Umstand sorgt dafür, dass das Wiedersehen von Charlotte und Eva konfliktbelastet wird.





Meinung:
Die verfassten Zeilen Evas (Liv Ullmann) in dem Brief für ihre Mutter Charlotte (Ingrid Bergman), lassen am Ende tatsächlich einen Funken Hoffnung aufkeimen, den Eva wohl selbst Zeit ihres Lebens nicht für möglich gehalten hat. Doch bis es überhaupt zu diesem Moment kommen darf, dessen Bestätigung folgerichtig im Verborgenen bleibt, lässt der schwedische Meisterregisseur Ingmar Bergman den Zuschauer mit „Herbstsonate“ durch die emotionale Hölle der dissonanten Beziehung zwischen Tochter und Mutter schreiten. Bis auf wenige Ausnahmen in einem Pfarrhaus angesiedelt, weiß Bergman die räumliche Beengtheit nicht nur als Sinndbild der Gefühle seiner Protagonisten zu funktionieren, er hat schlicht und ergreifend auch nicht mehr Schauplätze nötig, um die Geschichte in ihrer Effizienz  zu entfalten. Und diese kolossale Effizienz ist rein psychologischer Natur und saugt in ihrer unermesslichen Kraft alles und jeden ohne Rücksicht auf Verluste an sich.


Tochter und Mutter beim gemeinsamen Schweigen
„Herbstsonate“ ist ein Kammerspiel, durch und durch, und während Bergman den Fokus strikt auf seine beiden Hauptdarstellerinnen lenkt, blendet er das Umfeld der beiden Frauen dahingehend aus, dass es keinerlei Einfluss auf die Geschehnisse nehmen kann. Evas an Epilepsie erkrankter Schwester Helena (Lena Nyman), die Charlotte eigentlich in eine Privatklinik abgegeben hatte, weil in ihrem Leben kein Platz für Krankheiten war, nicht einmal die der eigenen Tochter, oder auch Evas Mann Viktor, ein Pfarrer und zeitweise auch Erzähler (Halvar Björk), sind zwar anwesend, ordnen sich aber der Zeichnung der beiden Frauen unter und setzen immer dann ein, wenn Eva oder Charlotte in ihren ganz eigenen, sich gegenseitig zerstörenden Lebensauffassung unterstützt werden sollen. Wie es dazu kommen konnte, dass sich Eva und Charlotte ganze sieben Jahre nicht mehr in die Augen blickten und der Grund, warum es unter der Oberfläche so vehement brodelt, formuliert Bergman in einer Klimax aus, in der sich eine hasserfüllte Schuldzuweisung an den nächsten Rechtfertigungsversuch klammert.


Play it again, Liv
Zu Anfang scheint alles gut, das Intro, untermalt von einer beschwingten Blockflöte, und Mutter und Tochter fallen sich nach Jahren endlich wieder in die Arme. Natürlich trügt der Schein und spätestens wenn Eva am Piano Frédéric Chopins „Prélude Nr. 2 a-moll“ spielt und in den Augen der Mutter vollkommen fehlinterpretiert, weil man Chopin nicht sentimental, sondern kalt spielen müsse, um dann von ihr eine fröstelnde Lektion darin gelehrt zu bekommen, bahnt sich die Explosion an. „Herbstsonate“ ist nicht weniger als der Inbegriff eines Seelendramas, in dem sich zwei Menschen aus dem Schatten ihres Seins wagen und die verbale Konfrontation finden, die eigentlich viel, viel früher nötig gewesen ist. Wie Bergman aufzeigt, dass Mutter und Tochter immer miteinander verbunden sein werden, egal wie weit sie durch die Fehler der Vergangenheit – die nicht allein von Charlottes Erziehung ausgingen, sondern viel tiefer greifen – ist ein so ehrlicher Schlag ins Gesicht, dessen Nachwirkung auch noch Stunden nach dem Abspann anhält. Eva gibt Charlotte die Schuld für ihre Unfähigkeit zu lieben, doch Charlotte hatte ebenso ihre eigenes seelisches Kreuz zu tragen, von dessen Last sie sich nie befreien konnte.


Eva kümmert sich um ihre kranke Schwester
Die „vererbte“ Belastung, mit der Eva so kämpft, die sie in ihrem Entwicklungsprozess irgendwann stehen bleiben ließ, ist auf eine kulturelle Tradition innerhalb von familiären Strukturen zurückzuführen, in denen Zärtlichkeit nicht gestattet wurde. Charlottes Egomanie, ihre permanente Ichbezogenheit, hat sie sich nicht ausgesucht, es wurde ihr eingetrichtert, wie die Distanz auch Eva darauf konsequent eingetrichter wurde. Und nur der Rückzug in das Reich der Musik gab ihr die Möglichkeit, eine Gefühlswelt zu betreten, die sie im Umgang mit ihren Mitmenschen, nicht einmal mit ihrem Ehemann oder ihren Kindern, einfach nicht erreichen konnte. Die Analepsen, die Bergman in seine Narration einbaut, wirken wie eine Wanderung durch das Fotoalbum der Familie, in dem nur die Fotos eingeklebt wurden, die die traurigen, depressiven, schmerzenhafte und damit die prägenden Momente festhielten. „Herbstsonate“ steht für die emotionale Abhängigkeit vom einem Kind zu seiner Mutter, egal was vorgefallen ist und egal wie tief die Wunden auch sein mögen, die durch diese Vorfälle entstanden: Das psychische Zerwürfnis wird immer nach einer emotionalen Ordnung flehen.


Hinter all den Selbstschutzmechanismen, die ihr nicht erlaubten, sich irgendwelche Schwächen einzugestehen, hat Charlotte ihre Tochter immer geliebt, wie eine Mutter nun mal jedes ihrer Kinder liebt. Und auch Eva, die meint nicht zu wissen, was Liebe ist und durch den Egoismus ihrer Mutter nie Chance bekam, selber Liebe zu schenken, ist sicher dadurch darin erdrückt worden, eine vollends eigenständige Persönlichkeit zu entfalten, doch geliebt hat auch sie ihre Mutter, wie sie auch ihre Schwester liebt. Sie kann diese Dimensionen nur nicht verstehen. Aber wer könnte das in einer solchen Lage schon?


9 von 10 Streicheleinheiten


von souli

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