Review: AUGEN DER ANGST - PEEPING TOM - Der verkannte Geniestreich


                                                                        

Fakten:
Augen der Angst - Peeping Tom (Peeping Tom)
GB, 1960. Regie: Michael Powell. Buch: Leo Marks. Mit: Karlheinz Böhm, Anna Massey, Moira Shearer, Maxine Audley, Brenda Bruce, Esmond Knight, Michael Goodliffe, Martin Miller, Jack Watson u.a. Länge: 98 Minuten. FSK: ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.




Story:
Mark Lester ist ein in sich gekehrter Kameramann und Fotograf, ein unscheinbarer Mensch, den seine Vergangenheit jedoch zu einem Monster gemacht hat. Als Kind diente er als Versuchsobjekt für seinen Vater, der die Auswirkungen von Angst auf ein Kind studieren wollte. Dazu quälte er ihn mit Psychoterror, hielt all dies auf Video fest. Das Werk seines Vaters setzt Mark heute fort. Er filmt Frauen, versetzt sie in Todesangst und tötet sie anschließend. Als er seine Untermieterin Helen näher kennen lernt, ergreift ihn die Angst, auch sie irgendwann vor seine Kamera zu locken.



 

Meinung:
"Peeping Tom" wird oft in einem Atemzug mit Alfred Hitchcocks "Psycho" genannt, was ihm einerseits nicht unbedingt gut getan hat, andererseits sind die Parallelen kaum von der Hand zu weisen. Dazu muss gesagt werden, "Peeping Tom" kam vor "Psycho" in die Kinos, allerdings ist der Erscheinungszeitraum so gering, dass sich unmöglich einem der beiden Filme vorwerfen lassen kann, in irgendeiner Form den anderen zu kopieren. Die Ähnlichkeiten sind somit purer Zufall...oder Schicksal. Während Hitchcocks Film (zu recht) auf große Gegenliebe stieß, scheiterte der Film von Michael Powell bei Publikum und Kritikern. Erst Jahre später wurde er rückwirkend geadelt.

 
Bitte lächeln, Kamera läuft
Um auf die Parallelen zu kommen: "Peeping Tom" wie "Psycho" entfernen sich deutlich von den gängigen Horrorfilmen ihrer Zeit, im Prinzip sind sie heute gar nicht mehr als Horrorfilme zu bezeichnen. Sie bildeten die Geburtsstunde des Psychothrillers, auf einer sehr ähnliche Art und Weise. Im Mittelpunkt steht jeweils ein introvertierter Außenseiter, der allgemein als unauffällig und höflich bezeichnet werden kann. Niemand würde in ihm eine Gefahr sehen, dafür sind sie schlicht zu unscheinbar. Doch ist ihr Wesen kein naturgegebener Charakterzug, sie sind Produkte ihrer Kindheit. Mark Lester wie Norman Bates haben traumatisches miterlebt, psychische Gewalt ausgeübt durch ein Elternteil. Was Normans Mutter war, ist Marks Vater. Beide führen nun das Werk ihrer Peiniger fort, obwohl sie es eigentlich verabscheuen. Diese, tatsächlich zufällige, Gemeinsamkeit ist verblüffend, gerade weil es Anfang der 60er etwas neues und sehr gewagtes war.


Um den "Psycho" Vergleich endlich abzuschließen, denn "Peeping Tom" verdient eindeutig sein eigenes Podium, nur noch folgendes, der klare Unterschied der Herangehensweise: Während "Psycho" eine lange Zeit dem Whodunit Prinzip folgt, liegen hier die Karten von Beginn an auf dem Tisch. Mark wird ohne Vertuschungsversuche sofort als Mörder enttarnt. Dadurch ermöglicht es dem Zuschauer, sich als Mitwisser zu beteiligen, direkt dem Mörder zu folgen. Ein ungewöhnlicher Perspektivwechsel, denn es steht nie die Frage im Raum, wer der Bösewicht ist, im Gegenteil. Das Publikum schreitet an der Seite des Killers durch die Geschichte, erlebt ihn von Anfang an ungeschminkt und in seiner gestörten Psyche hautnahe. Kein Twist muss erst am Ende erklären, warum er zum Mörder wurde, "Peeping Tom" beantwortet diese Frage nach wenigen Minuten direkt. Das macht den besonderen Reiz dieses Werks aus. Die Frage nach dem Täter stellt sich nicht, nur nach dem nächsten Opfer oder vielmehr, wie kann er den Drang zu töten bei einer bestimmten Person verhindern.

 
Dagegen erscheinen Papas Urlaubsdias doppelt langweilig.
"Peeping Tom" ist inzwischen durch die FSK ab 12 Jahren freigegeben, was thematisch leicht verwundert, aber durch die tatsächlich gezeigte Gewalt total vertretbar erscheint. Denn ein hoher Bodycount oder blutige Szenen werden nicht geboten. Das benötigt er auch gar nicht, denn seine Spannung und Bedrohung erzeugt er rein auf seine täterfokussierte Erzählweise. Interessant, da "Peeping Tom" unter anderen Bedingungen bzw. einer anderen Erzählweise sogar als Giallo funktionieren könnte. Dafür enthüllt er nur seinen Täter zu früh und ist nicht blutig genug. Aber grundsätzlich sind da Ähnlichkeiten vorhanden. Der Film legt sehr viel Wert auf seine Bildsprache und Inszenierung, der Killer hat es rein auf weibliche Opfer abgesehen, die Kameraperspektive ist vergleichbar mit der in einem Giallo typischen Ego-Perspektive, die Tatwaffe ist ein Phallussymbol. Ist nur eine Randnotiz, aber es sollte erwähnt werden.

 
"Peeping Tom" erzielt seine Spannung und Faszination somit nicht durch die damals gängigen Genremittel, sondern durch seine konträre Umsetzung. Dem Täter so nahe zu sein wie nie zuvor, niemals durch Unwissenheit mitfiebernd, gerade immer auf Augenhöhe zu sein macht den Unterschied. Für die Rolle des Mark wurde ausgerechnet Karlheinz Böhm (hier als Carl Boehm) besetzt, der in erster Linie durch seine Rolle als Kaiser Franz in den "Sissi"-Filmen bekannt ist. Für alle Beteiligten ein gewagter Schritt, der sich als goldrichtig erweißt. Böhm verkörpert seinen Charakter extrem glaubwürdig, erschreckend verstörend. In so einem Film hängt viel am Hauptdarsteller, Böhm meistert die schwierige Aufgabe mit bravour.

 
Ein erstaunlich visionäres, beklemmendes und mit einem so konsequenten wie hervorragenden Finale versehenes Werk. Das der Film so lange als Fehlschlag galt ist bedauerlich, aber damit ist er ja in guter Gesellschaft (z.B. "Heaven's Gate"). Tatsächlich ist es die brillante Studie eines Mörders, der gleichzeitig Opfer seiner Vergangenheit ist, geprägt durch sie und gefangen in ihr.  

8,5 von 10 versteckten Stilettos

1 Kommentar: