Review: PSYCHO RAMAN - Psychopathen unter sich



                                                                               

Fakten:
Psycho Raman (Raman Raghav 2.0)
IND, 2016. Regie: Anurag Kashyap. Buch: Vasan Bala, Anurag Kashyap. Mit: Nawazuddin Siddiqui, Vicky Kaushal, Sobhita Dhulipala, Mukesh Chhabra, Anuschka Sawhney, Vipin Sharma u.a. Länge: 133 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Inspiriert von dem Serienkiller Raman Raghav, der in den 60ern mindestens 41 Menschen tötete, mordet sich Ramanna durch die Slums von Mumbai. Ihm auf den Fersen ist der nicht gerade mustergültige Cop Raghavan. Was dieser nicht ahnt: Ramanna beobachtet ihn schon seit seinem ersten Mord. Denn er sieht eine schicksalhafte Verbindung zwischen sich und seinem Jäger…

                                                                                 

Meinung:
Das Indien die wohl produktivste Filmnation der Welt ist dürfte sich inzwischen auch bei uns rumgesprochen haben, oftmals mit der automatischen Assoziation zu dreistündigen, quietschbunten Bollywood Kitsch-Granaten, die den meisten immer noch vorkommen wie von einem anderen Stern. Aber die Inder können auch anders. Mit Psycho Raman erreicht uns nun das Gegenstück zu dieser epischen Gute-Laune-Zuckerwatte. Ein bitter-böser, bald schon nihilistischer Psychothriller, tendenziell angesiedelt irgendwo zwischen Sieben und I Saw The Devil, um nur grob eine Orientierungshilfe zu geben.


Funny Games auf Mumbai-Art
Ramanna (beängstigend bedrohlich: Nawazuddin Siddiqui) ist eine Serienkiller. Tötet ohne ersichtliches, naheliegendes Motiv. Es ist seine Passion. Er führt Buch über seine Opfer, ist besessen und angetrieben von den Taten seines Vorbilds Raman Raghav, dem vor über 50 Jahren 41 Morde nachgewiesen werden konnten. Dessen Bestmarke hat er noch nicht geknackt, aber ist auf einem guten Weg. Ausgerechnet zu dem Mann der ihm das Handwerk legen will, fühlt er sich insgeheim hingezogen. Sucht seine Nähe anstatt sich vor ihm zu verstecken, zumindest zaghaft. Das Objekt der Begierde ist der gewalttätige, drogenabhängige und egomanische Polizist Raghavan, der – ohne sich dessen bewusst zu sein – ihn schon beinah bei seinem ersten Mord zufällig hätte erwischen können. Stattdessen spürt Ramanna seitdem dieses unsichtbare Band, was ihre beiden düsteren Seelen miteinander verbindet. Nun hat er das, was er immer wollte: Er wird gejagt von seinem Zielobjekt. Muss ihm nicht mehr heimlich nachstellen, sondern nur den Moment erwischen, wenn der Zeitpunkt des Aufeinandertreffens und der angestrebten Vereinigung angemessen ist. 


Augen auf bei der Partnerwahl
Psycho Raman ist den westlichen Sehgewohnheiten sicherlich entgegenkommend angepasst, wirkt dennoch sichtlich exotischer als die gewohnte Hausmannskost. Selbst auf dezent eingestreute „Gesangseinlagen“ wird nicht verzichtet, allerdings in völlig anderem Zusammenhang, als man jetzt in Bezug auf indisches (Bollywood)Kino vermuten mag. Statt überdrehter Musical-Einlagen wird in ausgesuchten Situation die Stimmungslage und das brodelnde Innenleben der stets angespannten Figuren musikalisch Ausdruck verliehen, ausschließlich begleitend auf der Tonspur, nicht etwa durch dem Rahmen völlig entrückte Tanz- und Showchoreographien. Klingt ohne es gesehen (oder eher gehört) zu haben vielleicht strange, ist es allerdings erstaunlich gering. Ebenso erstaunlich, wie er mutmaßliche Stolpersteine durch seine teilweise ungewöhnliche Vorgehensweise und Erzählrhythmen vermeidet, sie sogar in eine Stärke umwandelt. 


Den Wechsel zwischen pulsierender Umtriebigkeit und immer wieder auftretender Entschleunigung hat der Film bemerkenswert gut im Griff, verlagert den Plot-Fokus spielend ohne dabei ungelenk oder zu sprunghaft zu wirken, verfügt über ein ungewöhnlich-abgebrühtes Pacing, sowohl inszenatorisch wie vom Script. Die tiefe Charakterisierung der Hauptfiguren bleibt dabei ein stückweit auf der Strecke, was durch die soghafte Präsentation meistens aufgefangen wird. Trotz etlicher ruhiger Passagen vergehen die mehr als zwei Stunden wie im Flug, saugen den Zuschauer tief in die beinah Labyrinth-artigen Welt der Slums von Mumbai, ein Paradies für Verbrechen unter dem Schutzmantel der wuseligen, nicht gänzlich zu kontrollierenden Anonymität, in die der Killer mal bewusst – im wahrsten Sinne des Wortes – abtaucht, um dann seinem Jagdhund wieder schleichend nahe zu kommen. Mit bestechender Ästhetik vorgetragene, abgründige Ying-und-Yang-Geschichte, in der die Nadel im Heuhaufen von der Nase im Kokshaufen gesucht und sogar gefunden werden will, damit sie zu einer, verabscheuenswürdigen Figur verschmelzen können. Ob das jetzt im Detail alles völlig schlüssig ist spielt nur eine untergeordnete Rolle, dieser Film funktioniert in erster Linie über seine individuelle Vorgehensweise, die exzellente Präsentation und seine perfide Grundstimmung, die man so weder im üblichen B-Movie-Discounter noch im Hollywood-Delikatessen Geschäft in der Regel angeboten bekommt.

7,5 von 10 Abtreibungen statt Gummis

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