Review: TONI ERDMANN - Maren Ade räumt mit dem Furzkissen im Selbstverständnis der Spießer auf



Fakten:
Toni Erdmann
BRD. 2015. Regie und Buch: Maren Ade. Mit: Peter Simonischek, Sandra Hüller, Michael Wittenborn, Thomas Loibl, Trystan Pütter, Hadewych Minis, Lucy Russell, Ingrid Bisu, Vlad Ivanov, Victoria Cocias, Radu Banzaru, Anna Maria Bergold, Niels Bormann, Ingrid Burkhard, Manuela Ciucur, Cezara Dafinescu u.a. Länge: 162 Minuten. FSK: noch keine Freigabe. Ab 14.Juli 2016 im Kino.


Story:
Winfried Lau (Peter Simonischek) ist 65 Jahre alt, Musiklehrer und für jeden Spaß zu haben. Als allerdings sein langjähriger Begleiter und treuer Hund stirbt, entschließt er sich zu einer spontanen Reise nach Rumänien. In Bukarest, der Hauptstadt des osteuropäischen Landes, will er seine Tochter Ines Conradi (Sandra Hüller) mit seinem Auftauchen überraschen.




Meinung:
So langsam hat es sich ja allmählich herumgesprochen, dass der deutsche Beitrag der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes, „Toni Erdmann“, mit reichlich Wohlwollen beschenkt wurde. Maren Ade hat offenbar den Nerv der Zeit getroffen und bereits Meinungen eingeholt, nach denen es schwer wird, noch Ergänzungen zu finden. Ich weiß nicht, ob bereits jemand anderes darauf gekommen ist, aber von der grundlegenden Geschichte her könnte man ja zunächst etwas vom Kaliber eines „Tommy Boy“ erwarten.


Toni und Ines auf engstem Raum
Was aber jener eben genannte und thematisch ähnliche Vertreter von Komödien, welche die Wandlung von Karrieremenschen in bodenständige Zeitgenossen der Eigenarten zeichnen, eher aus dem Auge lassen, ist die Empathie jenseits der Stilisierung ins bewusst Komödiantische. Regisseurin und Autorin Ade erdet ihren Humor stattdessen in der Schlichtheit der Menschenkenntnis, lenkt die Dynamik von Vater Winfried (Peter Simonischek) und Tochter Ines (Sandra Hüller) ohne externe Emotionalisierungen, aber dennoch treffsicher zu Konflikten, Herz und Verständnis. Wie sieht es da mit Klischees und Lebensweisheiten aus? Gründlich mager gottseidank. Ade lässt ihre Charaktere keine Szene machen, wenn die Individuen sich aneinander reiben, dafür wird das mehr oder weniger gebilligte Einverständnis zur Demut zentral angewandt. Selbst ein notorischer Witzbold wie Winfried findet da also nicht den Anschluss, bleibt aber der nette Chaot sowie die Art von Vaterfigur, die sich nicht zu forciert ins Leben (also auch das seiner Kinder) einmischen und dennoch daran teilhaben will. Solche Eigenarten reflektiert man wohlgemerkt in der Beobachtung der Person an sich, weniger an dialoggeschwängerter Erklärungsmasche.


Nicht das Einzige Mal, dass Ines eine Peinlichkeit durchstehen muss
Im Kontrast dazu ist Tochter Ines als Unternehmensberaterin binnen Rumänien ebenso etwas abgetrennt vom Leben dort, eben in der Männerwelt der Chefetagen unterwegs. Im Rahmen des Team Spirit des Kapitalismus, der entkoffiniert auf die Bilanz menschlicher Ressourcen blickt und Frauen sowieso nicht wirklich ernst nimmt, versucht sie sogar ihre Hoffnung auf echtes Glück der Diplomatie halber auszuklammern, doch sobald das Patriarch zu Besuch kommt, gerät jenes Gerüst ins Wanken. Winfried nimmt die Herrschaften und Hierarchien eben doch nicht ganz so ernst, begegnet ihnen eher vom face value her, auch wenn diese von oben herab auf ihn blicken. In jenen Begegnungen mausert sich Ade's Film recht natürlich zum Crowdpleaser, trotz 162 Minuten an Laufzeit. Die Erfahrung bleibt aber stets bittersüß, wenn Ines sich für das Leichtfüßige und Clowngehabe ihres Vaters schämt, obgleich die Scham der Contenance halber kein Vergleich zur Misogynie der Vorstandslappen mit Wanst im Boss-Jackett darstellt. Die Unterdrückung des Eigenen hat hier eben echtes Gewicht und muss sich nicht als Cartoon äußern, wenn die reale Lage globalen Finanzmanagements eben soziales Taktgefühl vermissen lässt. Man wird aber auch sehen, dass Ines Kontrolle über die Unverschämtheiten der Männlichkeit haben kann, Biss vorweist und Ideale vertritt, doch es stehen noch zu viele Hürden der Verletzlichkeit im Raum, solange sie als Tochter ihren Vater rechtfertigen zu müssen glaubt. Also denkt der sich eine abgekoppelte Identität aus und überrascht mit Furzkissen, ohne die Liebe zu seiner Tochter direkt mit hineinziehen zu müssen, wenn er spielerisch die High Society unterwandert.


Vater Winfried in Natura
An seinem Ansatz findet Ines schon Gefallen, auf dass sie ihn sogar ohne Vorankündigung mit ins Geschäft reinlässt, so ein Spiel der Identitäten ist an sich aber durchaus auch ein trauriger Umstand fürs Vater-Tochter-Verhältnis, der in seinen Pointen sowohl den größten Lacher als auch den emotionalen Herzstich schlechthin zurücklässt. In der Wechselwirkung einer klassischen Dramödie muss man hier aber festhalten, dass Ade eben nicht auf Gagdichte setzt oder Dialoge bewusst mit dem anhäuft, was man für gewöhnlich an vermeintlich witzigem Schlagabtausch und popkulturellen Referenzen serviert bekommt. Improvisatorische Impulse vermengen sich durchaus mit Alltäglichkeit und an sich schon absurdem Business-Talk, aber es wird sich gewiss nicht durch reißerische Eindrücke gehetzt, so wie ja im Folgenden nicht nur behauptet werden soll, dass sich Ines wieder dem Eigenen und Menschlichen nähert. Die Schere von ihrer Stellung und derer anderer wird auch nicht mit Nachdruck in den Vordergrund gerückt, gleichsam werden die Antagonisten in diesem Rahmen nicht grundlos Arschlöcher bleiben.


„Toni Erdmann“ (den Kontext zu diesem Namen lass ich mal ausgeklammert) besitzt da reelles Feingefühl und schöpft seine Liebe abseits jedweder Genre-Regeln aus dem Unausgesprochenem, konstruiert die Katharsis in seinen Charakteren auch nicht aus vorgefertigten Wegbeschreibungen, sondern eben aus der Wertigkeit des Moments, aus Impuls und Willkür das zeigend, was man wirklich ist und was man sich zu schenken hat. Wie viel Kitsch in solchen Pfaden drin stecken könnte, braucht man mit fixem Blick aufs Feelgood-Programmkino ja wohl nicht erwähnen (siehe „Ein Hologramm für den König“), für etwaiges Spießertum bietet Maren Ade höchstens zum Schluss einen womöglichen Sinn des Lebens an, ansonsten macht sie es durchweg ihrem Winfried gleich: Ein freier und wuschiger Umgang mit der Welt und den Erwachsenen ihrerseits, keineswegs deren Belange aus den Augen lassend, Kurzweiligkeit und Stille, Leichtes wie Schweres wertschätzend, wie die menschliche Erfahrung in ihrer Offenheit eben für immer spannend bleibt, wenn man sie denn fördert.


8 von 10 Whitney Schnucks


vom Witte

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