Review: DER NANNY – Wie buchstabiert man soziale Realität?




Fakten:
Der Nanny
BRD, 2015. Regie: Matthias Schweighöfer, Thorsten Künstler. Buch: Lucy Astner, Murmel Clausen. Mit: Milan Peschel, Matthias Schweighöfer, Paula Hartmann, Arved Friese, Joko Winterscheidt, Veronica Ferres, Alina Süggeler, Tim Sander, Andreas Osvárt, Friedrich Liechtenstein u.a. Länge: 111 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 8. Oktober auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Clemens hat kaum Zeit für seine Kinder. Er plant gerade eines der größten Bauprojekte der Stadt und die Verträge sind so gut wie unterschrieben. Lediglich ein paar letzte Mieter müssen noch ihre Wohnungen räumen und der Bau kann beginnen. Doch als auch Rolf seine Wohnung verliert, schwört er Rache und heuert undercover als männliche Nanny in Clemens Haushalt an. Sein Plan: Sabotage. Da hat er die Rechnung allerdings ohne Clemens Kinder gemacht. Die beiden haben es sich zum Ziel gesetzt, neue Nannies innerhalb kürzester Zeit aus dem Haus zu vertreiben. Dafür ist ihnen jedes Mittel Recht und sie zeigen bei der Wahl ihrer Waffen kein Erbarmen. So muss Rolf schmerzlich feststellen, dass Nanny sein kein einfacher Job ist und dass nun auch er zu härteren Mitteln greifen muss. Doch während er versucht, seine Wohnung und Heimat zu retten, entsteht aus seiner Sabotage mehr und mehr eine neue Familie.




Meinung:
Matthias Schweighöfer hat wieder zugeschlagen. Die Schlüpfer der Damen mögen rutschen, die Gesichtszüge der männlichen Seite formieren sich zurecht in eine entnervte Stellung. Ja, man ist tatsächlich gerne mal gewillt, die Filme von Matthias Schweighöfer unter dem Stigma abzulagern, dass sie sich in erster Linie einem weiblichen Publikum zuträglich erweisen. Solche geschlechtsspezifischen Vorbehalte aber sind in ihrer Antiquiertheit nicht nur lächerlich, sie sind auch ebenso unangebracht, haben wir doch unlängst ein Kinozeitalter erreicht, in dem derlei Gender-Diskussionen überflüssig geworden sind – jedenfalls wäre es wünschenswert, wenn dieser Punkt endlich in allen Köpfen realisiert werden würde. „Der Nanny“ baut dieses Mal auch weniger (oder genau: gar nicht) auf romantische Anwandlungen, sondern glaubt zeitweise tatsächlich, eine Art modernisierte Variation des altehrwürdigen Heimatfilms zu sein. Allerdings bedeutet Modernisierung in diesem Fall keinesfalls, dass Matthias Schweighöfer eine intellektuelle Revision vorzogen hat, sondern bezieht sich explizit auf den Gebrauch der heutigen (formalen)  Filmtechnik.


Einer der beiden ist sehr wandelbar
Sicherlich verfügt „Der Nanny“ über elaborierte Kamerafahrten, von jedem groben Korn freigesprochen, gnadenlos auf Hochglanz poliert - so aseptisch wie asketisch eben. Was in Bezug auf seine Bilder allerdings positiv auffällt, ist, dass sich die Großstadtimpressionen (in diesem Fall Berlin und nicht Frankfurt) nicht mit der obligatorischen Überbelichtung herumschlagen müssen, wie es von Til Schweiger und seinem damaligen Megaerfolg „Keinohrhase“ im deutschen Mainstream kultiviert wurde. „Der Nanny“ wirkt marginal weniger verzerrt, ist aber immer noch von einem so penetranten Color Grading belegt, dass man nicht von Natürlichkeit sprechen möchte. Und da kommen wir zu einem ganz zentralen Punkt, der das Schweighöfer'sche Schaffen seit jeher einholt: Natürlich ist an seinen imaginierten filmischen Wirklichkeit rein gar nichts. In „Der Nanny“ fällt das noch noch mehr auf, weil soziale Realitäten auch in den Primärtext rutschen, was in seinen vorherigen Werken (wir sprechen da von „Schlussmacher“ und „Vaterfreuden“) nicht zu den Gegebenheiten zählte.


Schweighöfer riskiert mit "Der Nanny" eigentlich keine dicke Lippe
Man musste eben akzeptieren, dass diese Welt einzig und allein von steinreichen Arschgesichtern bewohnt ist, die es sich einfach erlauben können, ihren Job hinzuschmeißen, nur die dicksten Karren fahren und ausschließlich die luxuriösesten Häuser/Apartments beziehen. In „Der Nanny“ geht es nun bisweilen auch um Gentrifizierung, was nicht bedeutet, Matthias Schweighöfer würde dieses aktuelle Thema zum Diskurs stellen, stattdessen benutzt er diesen Aspekt als hohlen Plot Point, um die Geschichte schnellstmöglich ins Rollen zu bringen: Clemens (Schweighöfer) ist ein Paradebeispiel für die Auswüchse des Turbokapitalismus, ihm geht es um den Profit, nicht um die Menschen. Und wenn für ein neues Bauprojekt ein ganzer Berliner Kiez dem Erdboden gleichgemacht werden muss, dann ist das eben so. Was kümmern ihn die Sentimentalitäten der Anwohner? Für seine Kinder Winnie (Paula Hartmann) und Theo (Arved Friese) findet Clemens zudem schon lange keine Zeit mehr und die Kindermädchen, die er anheuert, werden von den beiden Arschlochbalgen in Windeseile zum Nervenzusammenbruch getrieben.


Und da kommt dann der tolle Milan Peschel ins Spiel, der wohl eine gute Freundschaft zu Matthias Schweighöfer pflegt, angesichts seines Talents aber riechen seine Auftritte in den jeweiligen Schweighöfer-Peschel-Kollaborationen immer ein Stück weit nach Prostitution. Peschel jedenfalls gibt Rolf, ein Mann des Volks, und mit dem klaren Ziel vor Augen, dem Clemens für seine Herzlosigkeit mal richtig auf die Omme zu kloppen. Ehe es aber zu Handgreiflichkeiten kommen kann, wird Rolf von Clemens kurzerhand als neue Nanny eingestellt. Gut, so weit, so abenteuerlich, so erträglich. Was folgt, ist die altbackene Läuterungsgeschichte, die uns Schweighöfer seit Beginn seiner Regiekarriere in die Suppenschale rotzt: Der Immobilienhai wird durch wahre Güte in seiner Gefühlskalte gebrochen und daran erinnert, was im Leben wirklich zählt. Natürlich pflegt der leidlich komische „Der Nanny“ die konservative Botschaft, dass Familie immer über die Karriere geht. Was ja auch nicht verwerflich wäre, würde Schweighöfers Kapitalismuskritik nicht so unfassbar grobmotorisch und rückständig ausfallen.


3 von 10 Schäferstündchen auf Meeresfrüchten


von souli

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