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Review: DAS MEER IN MIR – Wenn das Leben keine Würde mehr hat

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Fakten:
Das Meer in mir (Mar adentro)
Spanien, Frankreich, Italien. 2004. Regie: Alejandro Amenábar. Buch: Alejandro Amenábar, Mateo Gil. Mit: Javier Bardem, Belén Rueda, Lola Duenas, Mabel Rivera, Celso Bugallo, Tamar Novas u.a. Länge: 125 Minuten. FSK: Ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.


Story:
Der gallicische Seemann Ramón ist seit 27 Jahren nach einem Badeunfall querschnittsgelähmt. Dieses für ihn menschenunwürdige Dasein will er nun endlich beenden, doch da er sich nicht bewegen kann, braucht er Hilfe. Diese wird ihm aber von Staat und Kirche in Spanien verwehrt, Sterbehilfe ist strengstens verboten. Also kämpft er. Mit den Behörden, aber auch mit unterschiedlichen Ansichten dazu innerhalb seiner Familie und seinem Freundeskreis und begibt sich auf eine Reise, von der es vielleicht kein Zurück geben wird.





Meinung:
Zwischen Leben und Tod kann manchmal nur ein kleiner Wimpernschlag liegen. Einen Augenblick nur nicht aufgepasst, eine kleine Unaufmerksamkeit nur. Pech. Leichtsinn. Doch für den Gallicier Ramón (Javier Bardem) scheint der Tod unendlich weit entfernt, auch wenn er ihn sich mehr wünscht als alles andere. Aber warum? Warum will dieser Mann sterben? Nun, im Alter von 25 Jahren sprang er, er weiß heute selbst nicht mehr wieso, mit den Kopf voran ins Meer. An einer Stelle, an der es nicht tief genug war. Er sprang, sah das Wasser auf sich zukommen, tauchte ein und prallte auf den Boden. Sein Genick brach und Ramón war vom Hals abwärts gelähmt.


Rosa bringt Lebensfreude zu Ramón...
Das ist 27 Jahre her und Ramon ist seitdem auf Pflege angewiesen. So viele Selbstverständlichkeiten kann er nicht mehr selbst erledigen. Er kann nicht alleine essen, nicht auf die Toilette gehen, ja, er kann sich nicht mal am Kopf kratzen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Aber für Ramón ist das kein menschenwürdiges Leben mehr. Er will sterben. Doch wie bereits erwähnt, scheint das unendlich weit entfernt. Selbstmord ist nicht möglich, ein „Unfall“ im Haushalt oder sonst wo ebenso wenig. Er braucht also Hilfe und Sterbehilfe scheint in der Tat der einzige Ausweg für Ramón zu sein. Doch die ist in Spanien von Staat und Kirche verboten. Und auch seine Familie und Freunde, hin und her gerissen vom Plan Ramòns, können und wollen ihn in letzter Konsequenz nicht unterstützen. So kämpft er dafür, endlich sterben zu können, seinen größten Wunsch zu erfüllt zu bekommen.


...und Julia Tabak, doch Ramón will Selbstbestimmung.
Ramón wird gespielt vom spanischen Charaktermimen Javier Bardem, der hier, mal wieder mit anderer Frisur, dem echten Ramón optisch sehr nahe kommt. Bardem schafft es, dem Gelähmten Lebensfreude zu schenken und doch gleichzeitig deutlich zu machen, dass ihm das Leben, so wie es für ihn ist, nichts mehr bedeutet. Freude am Leben, das er nun nicht mehr hat und das er nun beenden will, eben weil er das für sich wahre Leben liebt. Zu sehr belastet ihn die ewige Gefangenschaft in seinem Körper. Frei ist nur sein Geist, frei ist er nur in seinen Träumen. Dort kann er laufen und das Meer sehen. Emotional und analytisch gleichzeitig. Bardem ist fantastisch. Dazu kommen überzeugende Nebendarsteller, die als Arme und Beine des Gelähmten fungieren und verschiedene thematische Aspekte symbolisieren wie Liebe, Freundschaft, Religion, Tradition, Familie und Trauer.


Der Film thematisiert aber in erster Linie die Selbstbestimmung des Menschen. Wie weit sie gehen kann, wie weit sie gehen darf. Und wo sie endet, eingeschränkt von Behörden und Gesetze, und ob das alles richtig ist. Darf man selbst entscheiden, wann man stirbt, wie man stirbt? Damit einher geht die ethische Frage, wann ein Leben lebenswert ist. Ist es einfach nur das Atmen, ein schlagendes Herz? Sind es emotionale Dinge wie Liebe oder Freundschaft? Oder aber sind es die kleinen, die alltäglichen Dinge, die uns erst wirklich auffallen, wenn wir sie nicht mehr haben? Schwimmen, Gehen, die Berührung einer Hand auf der eigenen. Für Ramón sind es eindeutig die kleinen Dinge. Doch auch für die anderen Sichtweisen gibt es Vertreter.


Wer glaubt, dass der Film aufgrund seiner Thematik rund um den Tod ein schweres, depressives Monstrum ist, das den Zuschauer mit sich in die Abgründe zieht, der irrt gewaltig. Denn irgendwie schwingt trotz dieses Themas der Sterbehilfe und des nahenden Todes eine Leichtigkeit mit, die den Film angenehm macht. Dadurch wird die Figur des Ramón sympathisch, zugänglich und wir als Zuschauer können uns viel leichter in ihn hineinversetzen. Der Film wirkt aber nie aufdringlich. Gut, natürlich ist er ziemlich klar in Schwarz und Weiß unterteilt, aber der Film will auch nicht das Thema der Sterbehilfe bis ins kleinste Detail ausdiskutieren, dazu ist ein Spielfilm ohnehin nie in der Lage, sondern anhand der wahren Lebensgeschichte von Ramón Sampedro auf dieses heikle Thema aufmerksam machen. Das schafft er auf unglaublich berührende und emotionale Weise. Kein Film über das Sterben, sondern ein Film für das Leben. Ein Leben, wie man es nicht von außen aufgedrückt bekommt, sondern wie man es sich selbst wünscht und erträumt. Ein Leben in Freiheit und wahrer Selbstbestimmung.


9 von 10 Becher mit Trinkhalm

Review: SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE - Gefangen im eigenen Körper

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Fakten:
Schmetterling und Taucherglocke (Le scaphandre et le papillon)
Frankreich, USA. 2007. Regie: Julian Schnabel. Buch: Ronald Harwood. Mit: Mathieu Almaric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Anne Consigny, Patrick Chesnays, Niels Arestrup, Olatz Lopez Garmendia, Jean-Pierre Cassel, Max von Sydow, Isaach De Bankolé u.a. Länge: 112 Minuten. FSK: ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.


Story:
Jean-Dominique Bauby, Chefredakteur der Modezeitschrift “Elle”, wacht nach einem Schlaganfall im Krankenhaus auf. Zwar bekommt er alle mit, was um ihn herum geschieht, er hört alles und kann durch sein linkes Auge auch sehen. Aber er kann seinen Körper nicht bewegen. Lähmung, Locked-in-Syndrom. Das bedeutet auch, dass er mit seiner Umwelt nicht kommunizieren kann. Anfangs will Jean-Do einfach nur noch sterben, doch mit Hilfe seiner Therapeutinnen fasst er neuen Lebensmut und durch Fantasie und Erinnerung merkt er, worauf es wirklich ankommt im Leben. Und dass er trotz seiner Lähmung frei ist, so frei wie vielleicht nie zuvor.




Meinung:
Zuerst ist das Aufwachen. Alles ist dunkel, dann verschwommen, dumpf und ungewöhnlich. Stimmen und Bilder werden aber langsam klarer. Ich fange an, mich zurechtzufinden. Aber es sieht immer noch merkwürdig aus. Ich rede, aber keiner hört mich. Aber ich kann die anderen hören. Und da merke ich: Ich bin gefangen. Gefangen von diesem Film, der einen ab da auch nicht mehr gehen lassen will. Aber vor allem gefangen im Körper der Hauptperson. Ich bin gefangen, so wie es auch Jean-Dominique Bauby ist. Gefangen in seinem nutzlosen, lahmen, schweren Klotz, was einst sein Körper war. Jetzt ist keine Bewegung mehr möglich. Nicht den Kopf kann er rühren, nicht die Arme, nicht die Beine. Sein, mein, unser Körper ist schlaff, kein Gefühl mehr. Nur aus einem Auge, das andere wurde mir zugenäht, kann ich noch kucken. Eine ganz neue Form von Klaustrophobie. Gefangen in der engsten aller möglichen Einengungen. Gefangen im eigenen Körper. Und es gibt keine Flucht.


Nein, Moment, es ist ja nicht mein Körper. Es ist Jean-Dos. Aber als Zuschauer bekomme ich diesen Eindruck, da große Teile des Films aus der Position von Jean-Do, dem (ehemaligen) Chefredakteur der Zeitschrift „Elle“ und eigentlich strahlenden Lebemann, heraus gefilmt werden. Nach einem Schlaganfall leidet er am „Locked-in-Syndrom“. Er bekommt zwar alles mit, sein Gehirn funktioniert einwandfrei, aber er kann weder reden, noch sich selbst bewegen – bis auf sein linkes Auge.


Ohne Hilfe kann Jean-Do sicher nicht telefonieren
Eine neuartige Situation, eine erst mal schockierende und deprimierende Situation. Nichts geht mehr, nicht mal die einfachste Kommunikation. Er kann nicht sagen, dass er Hunger oder Durst hat. Nicht mal schreien wie ein kleines Kind. Nichts. Wer kann da nicht verstehen, dass Jean-Do einfach nur sterben will. Aber – auch das kriegt er natürlich nicht hin, denn wie soll er das denn anstellen, so ganz ohne sich Bewegen zu können? Nicht mal dazu ist er mehr in der Lage. Hilfloser als ein Baby. Und das, obwohl er doch zuvor so erfolgreich im Leben gestanden ist. Es scheint, dass Jean-Do ein trostloses Dasein in ewiger Starre fristen muss. Bis ihn sein geschundener Körper und sein angeschlagenes Herz endlich sterben lassen.


„Mir ist gerade aufgefallen, dass, abgesehen von meinem Auge, zwei Dinge nicht gelähmt sind.
Meine Fantasie und meine Erinnerung.“


 
Die Assistentin zeigt Jean-Do die fertige Biographie
Aber sein Gehirn und damit eben Fantasie und Erinnerung, die funktionieren. Und sie geben ihm Hoffnung. Hoffnung, dass er das Beste aus seiner Situation machen kann. Dass er doch noch nützlich sein kann, und wenn es nur ein bisschen ist. Durch Blinzeln und genauso geduldige wie hübsche Therapeutinnen schafft er es sogar, mit der Welt außerhalb seines Körpers zu kommunizieren. Und er diktiert seine Biographie. Er erinnert sich dabei an manche schönen Momente aus seinem Leben zurück, sehnt sich nach manch schönen Stunden, erkennt, was seine wahren Schätze waren, seine wahren Schätze sind. Familie, Freunde, Liebe, Fantasie, Erinnerung und Leben. Das wahre, echte Leben.


Der Film lässt einen, lässt mich nicht mehr los mit seinem wunderbaren Soundtrack, mit seiner tollen und ungewöhnlichen Kameraarbeit von Janusz Kaminski, der herausragenden (und auch Oscar-nominierten) Regie von Julian Schnabel, den sympathischen Darstellern, die so natürlich wirken. Und vor allem mit der Geschichte, die den Fall des echten Jean-Dominique Bauby erzählt, der im Dezember 1995 eben diesen Schlaganfall erlitt. Dargestellt wird er von Mathieu Almaric, der als Jean-Do mal zynisch und ironisch, dann tieftraurig, ehrlich und dann wieder hoffnungsvoll das Geschehen kommentiert. Eine Stimme, die nur Jean-Do hören kann. Und ich. Und darum ist es wohl nicht zu weit gegriffen, wenn der gelähmte Jean-Do auch an uns appelliert, wir sollen uns nicht selbst unter unserer eigenen Taucherglocke einengen, uns selbst gefangen nehmen. Wo wir doch jederzeit frei sein können wie ein Schmetterling. So wie es uns Jean-Do vormacht.


9,5 von 10 Mal Zwinkern mit dem linken Auge