Fakten:
Miracle Mile – Die Nacht der
Entscheidung (Miracle Mile)
USA, 1988. Regie & Buch: Steve
De Jarnatt. Mit: Anthony Edwards, Mare Winningham, John Agar, Lou Hancock,
Mykelti Williamson, Kelly Jo Minter, Kurt Fuller, Denise Crosby, Robert DoQui,
Claude Earl Jones u.a. Länge: 88 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf
DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Endlich hat Harry mit Julie seine
Traumfrau kennengelernt und ausgerechnet nun steht das Ende bevor. Zufällig
erfährt er mitten in der Nacht von der unmittelbaren Eskalation des Kalten
Krieges. Noch eine Stunde, dann fliegen die Nuklearraketen. Mit diesem
Wissensvorsprung könnte es ihm und seinen spontanen Weggefährten vielleicht
gelingen sich, in Sicherheit zu bringen. Aber Harry will Julie nicht so einfach
aufgeben…
Meinung:
„Es passiert!“
Was wäre wenn? Nicht nur der Kalte
Krieg tatsächlich irgendwann ganz spontan zur waschechten, nuklearen
Katastrophe eskaliert wäre, sondern Steven De Jarnatt’s „Lebenswerk“ Miracle
Mile entweder schon zehn Jahre vorher hätte realisiert werden können (alles
stand bereit, nur scheiterte es ein Jahrzehnt an der finalen Umsetzung) oder es
wenigstens dann die ihm gebührende Würdigung erfahren hätte? Alles rein
spekulativ, aber vermutlich wäre der zweite nicht gleichzeitig der letzte
Spielfilm von De Jarnatt (davor der Sci-Fi-Kult-Trash Cherry 2000) gewesen, der
seine Karriere danach als TV-Serien-Jobber in Vergessenheit ausklinken ließ. Nicht
nur bedauerlich, nicht nur unfair, sondern in erster Linie unglaublich tragisch.
Denn Miracle Mile ist eine wahre Perle und zählt definitiv zu den verkanntesten
Filmen seiner Dekade.
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Telefonstreich ausnahmsweise mal erwünscht |
Ursprünglich schon Ende der 70er
geschrieben und auf den Weg gebracht musste De Jarnatt lange kämpfen, bis
Miracle Mile 1988 dann doch noch gedreht wurde und 1989 in den US-Kinos anlief.
Gerade noch rechtzeitig, ein Jahr später wurde das ewig baumelnde Damoklesschwert
zwischen Ost und West abgehängt. Der Kalte Krieg war Geschichte, was zu diesem
Zeitpunkt nicht zu glauben war. Und mit ihm die stetige Panik vor dem fatalen
Erstschlag. Sei es von uns oder denen, das Resultat wäre wohl identisch. Ob
dort oder hier zuerst etwas einschlägt spielte bei dieser hochgerüsteten
Lauerstellung wohl kaum eine Rolle, eine Aktion würde eine direkte Reaktion
hervorrufen, noch bevor der erste Schade angerichtet wäre. Eine Pattsituation,
bei der eine nervöse Kurzschlussreaktion zur absoluten Katastrophe geführt
hätte. Genau das geschieht bei Miracle Mile. Es ist kurz nach vier Uhr morgens
in L.A. und Harry hat gerade das Date mit seiner neuen Flamme Julie verpennt,
das eigentlich auf kurz nach Mitternacht angesetzt war. Dumm gelaufen, da Harry
eh nicht so der Aufreißer-Typ ist und er
glaubt in Julie „die Eine“ endlich gefunden zu haben, aber es kommt noch
dicker: Der Glückspilz erhält versehentlich einen Telefonanruf eines Soldaten,
der eigentlich seinen Vater vor dem drohenden Atom-Angriff in Kenntnis setzen
wollte.
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Es gibt bessere zweite Dates, keine Frage... |
Von nun an bleibt Harry (wie dem
Zuschauer, denn jetzt ist Echtzeit angesagt) nur eine Stunde Zeit. Wie seine
Zufallsbekanntschaften aus dem Diner würde es wohl nahezu jeder in dieser
speziellen Situation angehen: Rette sich wer kann! Eine Stunde ist angesichts
des großen Knalls verdammt wenig Zeit, aber es ist immerhin eine Chance und
definitiv ein deutlicher Vorsprung den es zu nutzen gilt, bevor die Massepanik
ausbricht. Doch Harry ist nicht gewillt, sein frisches Glück einfach so
aufzugeben. Entweder er geht mit Julie oder nirgendwo hin. Der Auftakt einer
wilden Reise durch das nächtliche Los Angeles, das in seiner Ruhe vor dem Sturm
schon eine irritierend-apokalyptische Stimmung annimmt, obwohl noch gar nichts
passiert ist. Von einem mal wieder aufsaugenden Tangerine Dream-Soundtrack
begleitetes, ganz leises B-Movie-Spektakel. Ein Tsunami im Wasserglas, der mit
seiner kauzigen Art natürlich gefahrläuft übergangen und übersehen zu werden,
zudem seiner Zeit einfach unglücklich und falsch als Actionthriller vermarktet.
Von einer glasklaren Genre-Kategorisierung isoliert tanzt Miracle Mile
federleicht zwischen Katastrophen-, Science-Fiction-, Kriegs-, Survival- und ganz
besonders Liebesfilm, als wäre das keine große Sache.
Von Konventionen und Klischees hält
dieser warmherzige wie schonungslose, kreative Sonderling verdammt wenig. Nimmt
ein eigentlich naheliegendes Szenario und verwendet es auf eine ganz frische,
erstaunlich überraschende Weise, die sich nicht dogmatischen Mustern
unterwerfen will und erst recht nicht muss. Dafür funktioniert er auch so zu
einwandfrei. Ästhetisch von hoher Eleganz, mit schönen Zwischentönen aus Komik
und Romantik ausgestattet (Ivan & Lucy…oder Liebe besiegt das Chaos) und in
seinem furiosen Finale steckt er sogar jeden modernen CGI-Weltuntergang locker
in die Tasche, obwohl er das gar nicht dürfte. Die geben sich so viel Mühe beim
unermüdlichen Kaputtmachen und dieser kleine Frechdachs kommt mit seinem
selbstgeschmierten Pausenbrot daher, da bleibt jedem Emmerich in Sachen
Intensität das Kobe-Steak im Hals stecken. Weil er einem richtig ans Herz geht
und einen nicht mit Pauken und Trompeten dazu zwingen will.
8 von 10 Last-Minute-Antarktis-Flügen