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Review: DIE FÜNFTE JAHRESZEIT - Wenn der Fremdenhass überkocht
Fakten: Die Fünfte Jahreszeit (La cinquième saison)
BEL/ F/ UK. 2012. Regie: Peter Brosens und Jessica Hope Woodworth. Buch: Peter
Brosens. Mit: Sam Louwyck, Peter van den Begin, Nathalie Laroche, Aurélia
Poirier, Django Schrevens, Gill Vancompernolle, Damien Marchal, Véronique Appert, Bruno Georis u.a. Länge: 93 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf
DVD erhältlich (Import).
Story:
Nach einem langen und harten Winter scheint der
Frühling nicht zurückzukehren, was für das abgelegene Dorf und seine Bevölkerung
ein Unglück ist - schließlich leben sie alle als Landwirte. Wenn die Ressourcen
knapp werden, kommen nicht nur Neid und Gier an die Oberfläche, sondern auch
Chauvinismus und Fremdenhass.
Meinung:
Man stolpert immer mal wieder über (ältere) Filme, bei
denen man überrascht auf das Entstehungsdatum schielt. Entweder, weil die
Effekte nichts an ihrer eindruckschindenden Kraft eingebüßt haben, oder weil
sie nach Jahren thematisch noch brandaktuell erscheinen. „Terminator 2 -
Judgement Day“ wäre ein Beispiel für Ersteres, „Reporter des Satans“ von Billy
Wilder eines für Letzteres. „Die fünfte Jahreszeit“ jedoch ist weder alt, noch
(wie die genannten Filme) wirklich bekannt - und das ist schade, weil sich hier
doch ein wirklich treffender Kommentar auf das Deutschland der Gegenwart
herauslesen lässt.
Gut, dass wir drüber gegackert haben
Der Zuschauer findet sich unmittelbar in einem abgelegenen Dorfe mitten im
Nirgendwo wieder. Ein Mann sitzt an einem Tisch, auf dem ein Hahn Platz
genommen hat. Der Mann imitiert ein Krähen des Hahnes, das Tier selbst bleibt
still. Der Mann möchte den Hahn zum Krähen bringen, aber der lässt sich nicht
beeindrucken. Die Zeit ist stehen geblieben in dieser Ortschaft, in der es
keine Wochen, keine Tage gibt, sondern nur das zäh fließende Sein an sich. Die
Bewohner selbst wissen nicht, wo sie sich zeitlich genau befinden. Die
Aussichten in die Zukunft und in die Vergangenheit scheinen bloß eine
Endlosschleife zu sein - aus Kälte, Frost und Trägheit. Und doch zeugt die
anfangs noch etwas optimistische Stimmung auf die Zukunft von einem tief
verankerten Wissen. Hoffnung auf Besserung, Hoffnung darauf, dass der Frühling
zurückkehrt und der lange und beschwerliche Winter ein Ende nimmt. Dann, im
Frühling nämlich, können die Bewohner wenigstens einer Beschäftigung nachgehen,
die ihrer dortigen Existenz einen Sinn verleiht. In den kalten Monaten bleibt
ihnen nichts anderes übrig, als zu warten. Zu warten, dass die Natur ihren
Zyklus von vorne beginnt und dem Menschen die Arbeit ermöglicht. Diese extreme
Abhängigkeit von der Natur wird schnell sträflich unterschlagen.
Die fünfte Jahreszeit scheint ungemütlich zu sein
Schließlich aber bleibt der Frühling aus, die Kälte bleibt, die Sprossen
sprießen nicht, die Pflanzen bleiben tot, die Luft erfroren, die Bienen kehren
nicht zurück und die Tiere sind ertragslos. Der Mensch hat seine Rechnung ohne
die Natur gemacht - obwohl sie der einzige Faktor ist. Schließlich werden die
Ressourcen „knapp“ in diesem abgeschiedenen Dorf und die Stimmung schlägt um.
Das armselige Leben der Menschen in Nichtigkeit wird zur Trägheit. Die Trägheit
zur Langeweile, die Langeweile zur Verzweiflung und die Verzweiflung mündet
schließlich im Wahnsinn. Die Regisseure Jessica Hoop Woodworth und Peter
Brosens zeichnen mit ihren eiskalten grauen Bildern und starren oder sehr
langsamen Bewegungen eine Gesellschaft, vor er sich stets Abgründe auftaten,
die sie jedoch notdürftig ignorierten. Wird schon werden. Das geht so lange
gut, bis es nicht mehr gut geht. Sobald aber der Mensch aus seinem Trott
gerissen wird, kocht der stumme Chauvinismus hoch, der hier wie
selbstverständlich gegen die Fremden gerichtet wird. Gier und Neid sind hier
weitaus stärker als Respekt und Fürsorge. Der Mensch entblößt seine hässliche
Fratze. Etwas, worauf der Film ganz bewusst hinarbeitet und dennoch trifft er
in seiner Ruhe den Zuschauer unglücklich in die Magengegend.
Gleich passiert was, ganz bestimmt
Diese gezeigten Reaktionen der Bevölkerung gegenüber Fremden sind beinahe
allegorisch auf die Welt zu übertragen - und eben heutzutage schmerzlich
treffend, wenn man über das Verhalten der deutschen Bevölkerung nachdenkt.
Sobald der ach so liberale Deutsche aus seinem egozentrischen Trott heraus
muss, wird er radikal feindlich gegen alles und jeden, was in seiner Nähe ist.
Konkret: Am wenigsten schlimm sind da noch die hirnverbrannten Krakehler, die
allgemein gegen Flüchtlinge wettern. Das sind Individuen, die weder den Schuss,
noch irgendwelche Fakten gehört zu haben scheinen. Die können gerne laut
schreien, das beweist nur, dass sie verzweifelt aber bewusst in die falsche
Richtung laufen. Schlimmer sind da fast schon die verkappten Asyl-Kritiker, die
man immer wieder gerne sagen hört: „Ja, den Flüchtlingen muss geholfen werden,
aber doch nicht bei mir in der Nähe.“ Es sind alarmierende Zeiten, um in
Deutschland zu leben. Man hat alles im Überfluss, aber nicht genug. Lieber
werden Nahrung und Textilien täglich weggeschmissen, als an Bedürftige
abgegeben. Es ist, gelinde gesagt, pervers. Rechtspopulismus scheint wieder
hoftauglich zu werden und das kann, das darf nicht sein. Nicht im 21.
Jahrhundert, nicht bei uns mit einer solchen Geschichte.
Der belgische Film aus dem Jahr 2012 ist natürlich mitnichten ein Film, der
sich spezifisch mit der deutschen Bevölkerung auseinandersetzt, aber er ist so
zielgenau und passend inszeniert und zeigt so treffend dramatisch die
gesellschaftlichen Vorgänge, die sich nun auch in Deutschland wiederfinden
lassen, dass man nicht umhin kommt, das Fingerspitzengefühl des Regie-Duos
anzuerkennen. Die Bilder erinnern in ihrer Ruhe und bittersüßen Nüchternheit an
die Arbeit von Bela Tarr, auch wenn „Die fünfte Jahreszeit“ mit knapp 90
Minuten nicht einmal fast in die Länge der Werke des ungarischen Regisseurs
gelangen. Ein kraftvoller Film, der immer wieder mit seiner Intensität das Herz
bis zum Halse schlagen lässt, sodass man am liebsten eine Pause für ein paar
Sekunden einlegen möchte. Nur dass das nicht geht, ebenso wenig wie in der
Realität. Pflichtprogramm.
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